Neue Forschungen

Versteckte Pollock Symbole in seinen Tröpfelbildern?

Jackson Pollock um 1950
Foto: Actionpress

Jackson Pollock um 1950

Wissenschaftler wollen in den Bildern Jackson Pollocks geheime Botschaften entdeckt haben. Kann diese Einsicht wirklich überraschen? Die abstrakten Gemälde des US-Malers sind doch seit jeher voller gegenständlicher Bezüge

Vor Jahren kursierte das Gerücht, dass in einen bestimmten, weitverbreiteten Teppichboden geheime Muster eingewebt seien. Manche wollten die Umrisse von Micky Maus erkannt haben, andere von Donald Duck. Ob dies bloße Sinnestäuschungen waren, verursacht von einer Überdosis Comic-Lektüre oder auch einer Überdosis ganz anderer Art, blieb naturgemäß offen. Was bei einem Teppichboden eher nach einem Jux klingt, hat bei einem Kunstwerk eine ganz andere Qualität. Unlängst trat ein Team von Wissenschaftlern mit der Vermutung an die Öffentlichkeit, in Gemälden von Jackson Pollock (1912-1956) seien figurative Elemente verborgen – Schemen, die sich beispielsweise als Figuren von Affen oder aber Clowns deuten lassen oder als Umrisse von Flaschen.

In einem Beitrag für die von der Universität Cambridge herausgegebene Zeitschrift "CNS Spectrums" schreiben die Autoren um den Psychiatrie-Professor Stephen M. Stahl, Pollocks Maltechnik habe "bewusst oder unbewusst verrätselte Bilder verdeckt". Dafür prägen sie den Terminus "Polloglyphen", ein Neologismus, der auf die mögliche Bedeutungsvielfalt der so entdeckten Bildfiguren abzielt.

Schon immer haben Menschen in abstrakten Gebilden Abbildungen realer Gegenstände oder geheime Sinnzusammenhänge erblicken wollen. Felsen, Bäume, besonders aber Wolken in ihrer stets flüchtigen Erscheinung haben seit Jahrtausenden dazu angeregt, in ihnen Botschaften zu vermuten, die sich denjenigen offenbaren, die dafür ein Sensorium haben, wie Schamanen, Magier und Priester.

Jungs Archetypen-Lehre dürfte dem Maler bekannt gewesen sein

Jackson Pollock, der unbestrittene Held des Abstrakten Expressionismus im New York der 1940er-Jahre, hat mit den drip paintings, den Tröpfelbildern seiner reifen Zeit, das Extrem einer ungegenständlichen Malerei erreicht. Die auf dem Boden seines Ateliers auf Long Island liegende Leinwand hat er mit Farbe bespritzt, mit Schlieren bemalt oder hat Farbe aus Töpfen auslaufen lassen. Seine Malerei bestand nicht so sehr im Ergebnis der bemalten Leinwand als vielmehr im Malvorgang selbst, für den der Begriff des action painting geprägt wurde. Pollock war nicht der Maler vor dem Bild, sondern im Bild selbst.

Wie sollte bei einer solchen, dem bloßen, planlosen Vollzug gehorchenden Malweise irgendein Abbild eines realen Gegenstandes, irgendein Symbol im fertigen Bild versteckt sein? Und doch haben Pollocks Gemälde stets zu Interpretationen herausgefordert. Sie sind schließlich alles andere als wahllos verteilte Farbe, sondern folgen erkennbaren Formvorstellungen, und sei es nur der, die Leinwand von einem Ende bis zum anderen gleichmäßig zu füllen; daher der Begriff des all-over. Zudem machen die drip paintings nur einen, wenn auch herausragenden Teil seines künstlerischen Œuvres aus. Verfolgt man die enorm dynamische Entwicklung von Pollocks Malerei über ein Jahrzehnt vom Beginn der 1940er Jahre an, springt die Auseinandersetzung des Künstlers mit den Problemen von Form und Inhalt ins Auge.

Pollock hatte zeitlebens mit psychischen Problemen zu kämpfen. Bereits mit 25 Jahren begann er eine Psychotherapie bei einem Anhänger von C.G. Jung. Dessen Lehre von den Archetypen und Symbolen wird Pollock zumindest in Umrissen bekannt gewesen sein, zumal sich im kulturellen Milieu New Yorks, in dem sich der aus dem Mittleren Westen stammende Pollock seit den frühen 1930er-Jahren bewegte, Psychologie und Psychoanalyse gängige Themen bildeten. Pollocks große Mäzenin Peggy Guggenheim, die ihm ab Mitte 1943 mit einem Monatsscheck die Existenz als freischaffender Künstler ermöglichte, verkehrte ihrerseits im Kreis der Surrealisten, die das Un- und Vorbewusste zur Triebkraft ihrer Kunst erklärt hatten.

Mentale Disposition als wesentliches Element seiner Kunst

Inwieweit Pollock solche gedanklichen Ansätze bewusst verarbeitete, wird in der Kunstwissenschaft immer wieder diskutiert. Die Annahme liegt nahe, bedenkt man allein die Titel, die Pollock seinen frühe Arbeiten gegeben hat, in denen Figuration und Abstraktion gleichermaßen vorhanden sind, wie in "She-Wolf" von 1943, dem im Folgejahr ersten von einem Museum – dem MoMA in New York – angekauften Werk des Künstlers. "Jeder Versuch meinerseits, etwas dazu zu sagen", äußerte Pollock zu diesem Gemälde, "jeder Versuch, das Unerklärliche zu erklären, würde es nur zerstören".

Die Autoren der jetzigen Studie wollen beispielsweise in dem Gemälde "Unglückliche Königin" von 1945, sobald man es um 90 Grad dreht, einen "angreifenden Soldaten mit einem Beil und einer Pistole mit einer Kugel im Lauf; einen Hahn im Picasso-Stil; einen Affen mit Brille und Wein; und eines der deutlichsten Bilder, den Engel der Barmherzigkeit und sein Schwert" erkennen, wie der "Guardian" aus der Studie zitiert.

Stephen M. Stahl und sein Team diagnostizieren bei Pollock eine bipolare Störung. Dass Pollock Anzeichen einer solchen Störung zeigte, ist unstrittig; nicht zuletzt seine heftigen Stimmungsschwankungen und sein vielfach problematisches Sozialverhalten wie auch, Ursache und Folge gleichermaßen, sein lebenslanger Alkoholismus. Diese mentale Disposition sehen die Autoren der Studie als wesentliches Element seiner Kunst: "Seine bemerkenswerte Fähigkeit, diese Bilder vor aller Augen zu verstecken, könnte Teil seines kreativen Genies gewesen sein und könnte auch durch die Veranlagung zu außergewöhnlichen visuellen räumlichen Fähigkeiten verstärkt worden sein, die bei einigen bipolaren Patienten beschrieben worden sind." Die Wiederkehr bestimmter Formen in Pollocks Werken mache es "sehr unwahrscheinlich, dass es sich um zufällig provozierte Pareidolien handelt", also um Sinnestäuschungen, bei denen ein vorhandenes Objekt oder Bild in der Wahrnehmung zu einem anderen, bekannten ergänzt wird.

Jackson Pollock ist mit seinem Ruhm als "größter lebender Maler der USA", als den ihn das Magazin "Life" 1949 – wenn auch in Frageform – rühmte, nie zurande gekommen; auch das spricht für die posthume Diagnose seiner mentalen Verfassung. Er wurde von den führenden Kritikern seiner Zeit wie Clement Greenberg für die ungegenständliche Kunst der sogenannten New York School vereinnahmt. Dabei ist sein Œuvre, wie es zuletzt 1998 in der grandiosen Retrospektive des MoMA ausgebreitet wurde, voller gegenständlicher Bezüge. Pollock war sich des Unbewussten durchaus bewusst, wie schon das erwähnte Zitat von 1943 belegt. "Der Schlüssel" hat er ein abstraktes Gemälde von 1946 betitelt. Es bleibt dem Betrachter überlassen, sein Werk je für sich zu entschlüsseln.