In dem unterirdischen Bahnhof außerhalb von Helsinki läuft Ambient-Musik, so als sollte der Übergang vom Ankunftsbereich des Flughafens in die Stadt ganz sanft sein. Von dort aus fahren wir, zwei Journalisten und ein guide, mit der Vorstadtbahn durch Birkenwälder und entstehende Trabantenstädte ins Stadtzentrum. Helsinki ist eine junge Stadt, wird unsere guide nicht müde zu betonen, und als Hauptstadt in einem jungen Staat bedacht darauf, sich der Welt zu öffnen.
Vor etwa eineinhalb Jahren starb ein Großprojekt in einer fünfstündigen Stadtratssitzung. An einem Dezembermorgen im Jahr 2017, stimmten die Abgeordneten gegen die Guggenheim-Filiale am Hafen von Helsinki, denn die Stadt hätte 80 Millionen Euro zu dem Projekt beitragen müssen. Für die Nationalistischen Finnen, eine rechtspopulistische Partei, die hier wie in vielen europäischen Staaten in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen hat, war das zu viel. Heute dient das für das Museum designierte Areal als Parkplatz.
Das nächste Großprojekt, diesmal allerdings auf eine private Initiative hin, ist der unterirdische Anbau des Glaspavillons Lasipalatsi, mitten in der Stadt, der ursprünglich für die olympischen Sommerspiele 1940 gebaut wurde. Die Olympiade wurde abgesagt, der Glaspalast blieb stehen. Darunter wird nun ein Raum für die Sammlung des Kunstmäzens Amos Anderson in den felsigen Untergrund gegraben. Neben Malerei aus der Sammlung des Unternehmers soll es hier demnächst Wechselausstellungen zeitgenössischer Kunst geben. Timo Riitamaa, Sprecher des Museums, erklärt: "Unsere Konkurrenz sind nicht die anderen Museen in der Stadt. Unser Konkurrent ist die Couch. Wir wollen die Leute ins Museum locken."
Die Räume sollen im August 2018 öffnen, und zu besichtigen sind jetzt schon die drei riesenhaften unterirdischen Kuppeln mit ihrem flirrenden Muster aus weißen Scheiben auf schwarzem Grund. Man mag vermuten: Die Architektur soll ein Statement sein, und man kann befürchten, dass sie sich allzu sehr in den Vordergrund drängt. "Hinter den Scheiben lassen sich Kabel und die ganze Technik verbergen", erklärt der Architekt Asmo Jaaksi von JKMM Architects.
"Kaum jemand weiß, was genau im Amos Rex in Zukunft passieren wird", sagt Mari Männistö, Kuratorin der Galerie Helsinki Contemporary im Stadtzentrum. "In der letzten Zeit spricht jeder darüber, und vorher ging es immer nur um das Guggenheim." Letzteres ist erst einmal gescheitert, aber: "Man muss darüber nachdenken, wie es weitergeht, schließlich gibt es internationale Konkurrenz."
Ein drittes Großprojekt zeichnet sich ab, oder besser gesagt, es wurde angekündigt. Auf der Website der Stadt Helsinki ist von einer Biennale für Kunst im öffentlichen Raum die Rede, geplant für das Jahr 2020. Der Schauplatz ist die Küste und das Archipel vor der Küste Helsinkis. Nicht, dass es in der Gegend an großen Kunstschauen mangelte: In diesem Jahr eröffnete gleich auf der anderen Seite der Ostsee zum Beispiel die Riga International Biennial of Contemporary Art, auf der anderen Seite Skandinaviens, in Norwegen, gibt es die Momentum Biennale in Moss — Letztere mit einem ganz ähnlichen Fokus. Ich will mehr wissen und beschließe, ab jetzt jeden, den ich in der Stadt treffe, danach zu fragen.
"Leider weiß ich nichts über die Biennale", sagt Männistö. "Das läuft alles über das Helsinki Kunstmuseum. Aber die Biennale wird wichtig: Der finnische Kunstmarkt ist winzig, es gibt hier vielleicht drei bis fünf große kommerzielle Akteure. Da kann eine Biennale zum Wachstum beitragen." Ich erinnere mich an die Kritik, die es in der letzten Zeit an den großen Kunstschauen gab: Maßgeschneidert für kommerzielle Galerien, lassen sie in der lokalen Kunstszene nur verbrannte Erde zurück. "Ich glaube nicht, dass Helsinki etwas weggenommen wird, es kommt eher etwas hinzu." Das ist mir noch zu vage. Was passiert mit den lokalen Ausstellungsräumen? "Klar, es gibt tolle und wichtige nichtkommerzielle Galerien. Ob eine Biennale einen unerwünschten Nebeneffekt hat, hängt ganz von dem Kontext ab."
In einem internationalen Kunstmagazin war kürzlich zu lesen, dass gleich eine Reihe von Off-Spaces nun ohne Räume dasteht. Am ehemaligen Frachthafen soll eine Smart City entstehen, mit Räume für Start-Ups, Schwerpunkt: digitale Technologie. Einst waren hier die nicht-kommerziellen Kunsträume. Das hat natürlich erst einmal nichts mit der Biennale zu tun. Nur auffällig sei es schon, hieß es dort, dass das mit den Plänen zu der Kunstschau zusammenfällt. Das legt zumindest der Artikel nahe.
Die Gentrifizierungsschelte ist beinahe schon ein eigenes Genre, aber Stadtteile verändern sich nun einmal. Das ist besonders deutlich im Norden Helsinkis zu sehen, in Harju. Dort ist die größte Bevölkerungsdichte im dünn besiedelten Finnland, außerdem die größte Dichte an Kneipen, Fast-Food-Restaurants und Massagesalons. Mittlerweile gibt es dort kleine Galerien, und geht man ein wenig in Richtung Osten, an Autobahnauffahrten vorbei durch eine trostlose Industriebrache, findet man die Kunsthalle Kohta.
"Der Raum ist organisiert von einer Künstlergruppe", erklärt mir Jaakko Uoti, einer der Betreiber, als ich ihn frage, was das überhaupt ist: eine Institution, eine Galerie, ein Museum? Die zwei Ausstellungsräume im Obergeschoss einer alten Fabrik sind groß. Und was leistet die Kunsthalle? "Wir zeigen, was andere Galerien in Helsinki nicht zeigen, ausländische Künstler zum Beispiel." Ich frage Jaakko, ob die kommende Biennale nicht vor allem ein Nationalprojekt wird, vor allem, wenn es gleich gegenüber die Baltic Triennial gibt: "Ja, das ist schon eine merkwürdige Positionierung." Und, wird die Kunstschau zum Problem für den lokalen Kunstbetrieb? "Das sehe ich nicht so. Aber man muss schon fragen, ob die Biennale wirklich die beste Art ist, Kunst zu zeigen. Das wurde von der Stadtverwaltung initiiert, und die Leute haben den Verdacht, dass das eine Touristenattraktion wird. Man weiß ja nur, dass das irgendwo im und um die Küste und die vorgelagerten Inseln stattfinden soll." Bloß, reicht das als kuratorisches Prinzip?
Die Suche nach der Helsinki-Biennale erinnert ein wenig an Kapitän Ahab und den weißen Wal. Jeder weiß davon, jeder vermutet, dass sie einen nachhaltigen Einfluss hat. Nur weiß kaum jemand etwas Konkretes darüber. Die Antwort liegt wahrscheinlich irgendwo zwischen dem Glaspalast, den Trabantenstädten und den verschwiegenen Birkenwäldern.