Eine Form der Ekstase

Unterwegs auf der ersten Riga-Biennale

Jetzt hat auch Riga eine eigene Biennale. An den Eröffnungstagen und -nächten schwärmen die angereisten Besucher von einer Stadt, in der offenbar noch Platz ist, vom Licht, vom Meer - und harten Alkoholika. Daniel Völzke war dabei

Wenn niemand das Licht abdreht, geht auch keiner schlafen. Anfang Juni ist es in Riga um 23 Uhr immer noch hell, naja, jedenfalls nicht richtig dunkel. Die Sonne taucht nur ein paar Stunden in die Ostsee und kommt schnell mit einer neuen Zartheit zurück. Die Künstler und Gäste der Preview-Tage der ersten Riga-Biennale hangeln sich von Ausstellungsort zu VIP-Empfang, von Eröffnungsparty zum nächsten Ausstellungsort – und keiner klagt über Müdigkeit. "Die Geschwindigkeit ist die Form der Ekstase, mit der die technische Revolution den Menschen beschenkt hat", dieses Milan-Kundera-Zitat steht als Motto auf der ersten Seite des Biennale-Handbuchs, und wenn es neben den britischen Junggesellenhorden jemand schafft, in der eher beschaulichen lettischen Hauptstadt Ekstase und Geschwindigkeit zusammenzubringen, dann doch jutebeuteltragende Kunstwelt-Professionals.

Acht Ausstellungsorte hat die Kuratorin Katerina Gregos für die Riga International Biennale of Contemporary Art (RIBOCA) ausgesucht, Werke von ungefähr 100 Künstlern sind zu sehen, davon viele Auftragsarbeiten. Mit schwarzen Wänden und nur selektiven Spots in finsteren Hallen sind einige der Venues die perfekten Verstecke vor dem nordisch krossen Sommerlicht. In zwei, drei Tagen kann man alles sehen, auch ohne Geschwindigkeitsrausch. Es ist eine sinnliche Biennale geworden, viele Installationen, Video- und Filmarbeiten, und die Ausstellungsorte sind häufig an sich schon eine Attraktion und erinnern an das frühere Berlin. Die lettische Version von "XY ist das neue Berlin" geht so: In Riga ist noch Platz, es liegt am Meer, das Taxi kostet nur drei Euro und es ist politisch stabil. Einige sprechen schon davon, im Badeort Jūrmala am Rigaischen Meerbusen ein Häuschen zu kaufen.

Allerdings: Eine Kunstwelt ist hier praktisch nicht vorhanden, sagt Katerina Gregos. Auch wenn es natürlich genug Künstler gibt (ein Drittel der Teilnehmer kommt aus dem Baltikum), fehlt es doch an Institutionen. Das sei auch eine Motivation gewesen, hier neben der Baltic Triennial of International Art noch eine weitere internationale Ausstellungsreihe zu starten. Das Geld kommt vorerst zu fast 100 Prozent aus privater Hand: "Ich hätte nicht gedacht, dass mein Vater ja sagt, als ich ihn gefragt habe", meint die Biennale-Gründerin Agniya Mirgorodskaya. Ihr Vater, das ist ein Unternehmer aus Sankt Petersburg, Genaueres weiß hier keiner. Da russische Einflussnahme im Baltikum skeptisch gesehen wird, wird auch die Biennale von einigen misstrauisch beäugt.

"Private Finanzierung sehen manche als anrüchig an", sagt Gregos, "aber für uns bedeutet diese Situation, unabhängig von politischer Einmischung zu arbeiten." Die Künstler, mit denen ich spreche, freuen sich jedenfalls über ein Honorar. Denn dass sie für eine Ausstellungsteilnahme bezahlt werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Meistens bleiben sie auf den Vorbereitungskosten sitzen. Bei einer Biennale könne schon mal ein Arbeitsaufwand von einem Monat für einen Atelier-Assistenten anfallen, sagt ein Teilnehmer.

Ungerecht, wenn man dann nicht die komplette Aufmerksamkeit bekommt. Ein in Lettland weltberühmter Sänger, der eine gute ESC-Ikone abgeben würde, sitzt bei einer der vielen Eröffnungsfeiern am Piano, und als das Publikum nicht aufhört zu reden, fängt er an zu kreischen, bis eine erschrockende Stille herrscht. Bei einem anderen Empfang schmeißt eine Sängerin Obst (auf dem sie wundersamerweise eben noch Synthiemelodien gespielt hat) in die ununterbrochen labernde Menge. Ich fange einen Brokkoli und schmeiße ihn zurück auf die Bühne - was die Sängerin freut: Hallo, endlich eine Reaktion!

Am Samstag haben wir noch Zeit, am Strand von Jūrmala in die Ostsee zu springen. Noch kleben die Gerüche von Sissel Tolaas' Installation "Beyond SE(A)nce" in unseren Nasen: Die in Berlin lebende Duftkünstlerin hat an Ostsee-Stränden Gerüche konserviert, und manche Proben riechen algig, manche moderig oder noch schlimmer. Ist das wirklich unsere schöne Ostsee? Doch das Wasser ist dann klar und sauber und nicht allzu kalt.

Zurück in der Stadt sitzen wir noch in Badehose bei einem "Symposium", bei dem eben kein schlechter Filterkaffee getrunken wird, sondern Wodka, denn: "In Vodka Veritas". Wir lernen auf dieser Veranstaltung, die nicht wirklich zur Biennale gehört, aber einige Biennale-Künstler zugegen sind, dass Adorno eher nicht gesagt hat, dass gute Kunst einen unglücklich macht ... oder was war nochmal der Ausgangspunkt der Diskussion? Es läuft hier ein bisschen aus dem Ruder, aber alles gut, Hauptsache es ist noch hell und wir müssen noch nicht nach Hause.

Eine ausführliche, nüchterne Review der RIBOCA lesen Sie in der Juli-Ausgabe von Monopol