Wer Thomas Scheibitz im Atelier besucht, betritt nacheinander zwei Studios. Im ersten entstehen Skulpturen, für die ein Assistent mit anpackt, im davon abgetrennten zweiten Atelier arbeitet der Künstler solo an seinen Gemälden. "Die Vorzeichnung gibt den Ausschlag dafür, ob die Idee eine räumliche Lösung erfordert oder nicht", sagt Scheibitz, der in einem Steinmetzbetrieb aufgewachsen ist und sich von jeher in beiden Disziplinen zu Hause fühlt.
Dass Scheibitz seine halb fremdartig, halb vertraut wirkenden Bildzeichen immer wieder im Realraum austestet, zeigt, wie sinnfrei das Gegensatzpaar Abstrakt–Gegenständlich für ihn ist. Die Bildräume und Skulpturen des 1968 geborenen, an der Dresdner Akademie ausgebildeten Scheibitz ankern im Realen. Als müsste er das beweisen, klappt der Künstler einen seiner Sammelordner voller Abbildungen auf: natürliche, gebaute oder designte Dinge, die Scheibitz miteinander fusioniert und in seine industriefarbenen Bildräume einspeist – in eine antiillusionistische, aber naturidentische Scheibitz-Welt "mit Verdacht auf Realität", wie er sich ausdrückt.
Vor allem das verbindet ihn mit Pablo Picasso, der in seinen kühnsten Formexperimenten nie das Gegenständliche losließ. "Duchamp und Picasso sind meine beiden Hauptstraßen", sagt Scheibitz. Die Doppelschau "Picasso x Scheibitz" ist die zweite im Museum Berggruen, in denen ein Gegenwartskünstler in einen Dialog mit der Sammlung eintritt. Doch anders als 2016/17, als George Condo die durchaus spöttische "Confrontation" mit der Berggruen-Kollektion suchte, will Scheibitz seinem Vorbild die Reverenz erweisen. Rund 40 Picasso-Gemälde aus acht Schaffensjahrzehnten (!) sind nach thematischen Gesichtspunkten im Museum gehängt, Scheibitz reagiert mit knapp 50 Werken aus 24 Jahren, darunter sieben Skulpturen. So fügte er als Mittzwanziger "Splitter (Kopf)" aus Holzstücken zusammen, der nun auf Picassos bronzenen "Frauenkopf (Fernande)" von 1909 trifft.
Abenteuer Malerei geht weiter
Bereits am Raummodell mit eingeklebten Miniaturrepliken in Scheibitz’ Atelier zeigt sich, dass es nicht um oberflächliche Ähnlichkeiten geht. Zwischen Picassos mal toniger, mal koloristischer Palette und Scheibitz’ zeitgenössischer, teils neongreller Farbskala liegen ohnehin Welten. "Es geht um einen Methodenvergleich", stellt Scheibitz klar – wobei der von Picasso ab 1906 mitentwickelte Kubismus für ihn die "letzte Revolution im Umgang mit der Bildfläche" darstellt. Als "Gesamtkunstwerk" rangiert für Scheibitz Picassos Schaffen vor dem von Georges Braque und Juan Gris, die am Kubismus festhielten, während Picasso später virtuos zwischen den Methoden hin und her sprang. "Für mich ist sein frühes ,Studienblatt‘ von 1897 ein Schlüsselwerk", sagt Scheibitz, "Toulouse-Lautrec, Comic, Tachismus, da ist so viel drin, das verspricht: Picasso wird sich sehr breit aufstellen."
In einen Raum mit Picasso-Bildern des synthetischen Kubismus stellt Scheibitz ganz neue Bilder dazu. Erstmals hat er Fragmente aus früheren Bildern drucktechnisch auf die Leinwand übertragen und dann weitergemalt. Er bezieht sich auf Picassos Collagetechnik ab 1912, wenn er von "meinen eingeklebten Spielkarten" spricht. Mag sein, dass man das Bildermachen nicht neu erfinden kann. Aber Thomas Scheibitz’ Kunst demonstriert auch, dass das Abenteuer Malerei längst nicht zu Ende ist.