Sie sei wie eine "Cheerleaderin auf Speed", schrieb Ali Subotnick einmal, die Kaari Upson als Erste im Hammer Museum in Los Angeles ausstellte, und auch wenn das auf die spätere Künstlerin nicht mehr zutraf, konnte man ahnen, was die Kuratorin 2007 damit meinte. Eine irre Geschwindigkeit und eine Offenheit, die fast schon fordernd ist, gingen von Kaari Upson aus. Damals, 2007, war im Hammer Museum eine verstörende Videoinstallation zu sehen, in der eine junge Frau mit Mundschutz die Puppe eines Mannes aufschlitzte, ihn irgendwie gleichzeitig bestieg und ausweidete. Und das war bei Weitem nicht das Beunruhigendste an der Geschichte, die sich über viele Jahre hinzog und in deren Verlauf Kaari Upson sich so sehr in die Identität einer fremden Person hineinsteigerte, dass es beklemmend wurde.
Irgendwann hatte Kaari Upson in ihrem Studio in Koreatown, Los Angeles, das plötzliche Bedürfnis, etwas mit Pepsi-Dosen zu machen. Zuvor hatte sie mehrere Jahre lang ausgiebig gefundene Matratzen in Latex nachgegossen, aus denen viel beachtete Wandobjekte zwischen Malerei und Skulptur wurden. "Ich wusste nicht, warum ich mit Pepsi arbeiten wollte.", sagte die Künstlerin 2017 im Monopol-Interview. "Es fing ganz einfach mit dem Objekt an, über das wir im Studio lachten, weil es doch eigentlich nur irgendwelche Dosen waren. Aber dann fiel mir ein, dass meine Mutter mit großer Ernsthaftigkeit Pepsi trinkt. Das ist etwas sehr Amerikanisches – Pepsi statt Coke." My Mother Drinks Pepsi – "MMDP", so hieß eine fortlaufende Serie von Skulpturen aus Getränkedosen.
Bei Recherchen über den Konzern stieß sie schnell auf Joan Crawford, die böseste Mutter von Hollywood ("Mommy dearest"), die als Pepsi-Markenbotschafterin zahllose Werbefilme in Supermärkten gedreht hatte, den Konzernchef heiratete und nach seinem Tod die Geschäfte weiterführte. Von da an mäanderte das Thema wie von selbst durch das große popkulturelle und kunsthistorische Wissen von Kaari Upson, die sich schon im Studium am CalArts mit Frauen, die töten, und mit schlechten Müttern beschäftigt hatte. Und die ihre Bezüge auch immer wieder zu ihrer eigenen Herkunft im kalifonischen San Bernardino setzte, einem Ort mit hoher Kriminalität, Großfeuern und extremem Wetter, und zu ihren Eltern. Kaari Upsons Mutter floh als Kind aus der DDR.
Wo die Komfortzone endet, ging die Reise erst los
Sie erinnerte sich während des Prozesses auch an einen speziellen, unangenehmen Moment in ihrer Kindheit: "Wenn meine Mutter die erste Dose Pepsi des Tages öffnete, machte sie einen bestimmten genüsslichen Laut, der mich in den Wahnsinn trieb." Misophonia, die Angst vor Geräuschen, tritt meist zwischen sieben und neun Jahren ein. "Niemand möchte Zeuge sein, wenn die eigenen Eltern Sex haben, niemand möchte sie miteinander tanzen sehen. Dieser tägliche Laut der Befriedigung aus dem Mund meiner Mutter war quälend."
Da, wo die Komfortzone endet, ging für Kaari Upson die Reise erst los, und an jedem Schritt ließ sie die Zuschauer teilnehmen, auch an denen, die zu weit führen, und an denen, die nirgendwohin führen. Jahrelang hatte sie das Tagebuch ihrer Mutter in ihrem Besitz, ohne zu wissen, was sie damit machen sollte – bis sie es in einem Katalog veröffentlichte. Es enthüllt eine deutsche Nachkriegsbiografie aus krassem Verlust, Verzicht und einer radikalen Neuerfindung in den USA. Vielleicht ist das die Lücke, die Kaari Upson zu füllen versuchte.
Was sieht man in den Skulpturen, ohne irgendetwas über das Universum von Kaari Upson zu wissen?Postapokalyptische Pop-Art vielleicht oder ein ins Schmutzige pervertiertes Objekt der Minimal Art. Das wäre schon ganz okay, ist aber weniger als die halbe Wahrheit. Denn Kaari Upsons Kunst ist das genaue Gegenteil des minimalistischen Endpunktes eines intellektuellen Prozesses. Sie ist maximal erzählerisch, Grenzen ignorierend, kräftezehrend, indiskret, verschwenderisch.
Einmal ließ sie die Schrift von Larry, dem Mann, von dem sie besessen war, von einer Grafologin untersuchen und ihre eigene dazu, um zu sehen, wie sie als Paar funktioniert hätten. Das ganze Gutachten, das sich wie das Resümee eines Psychiaters liest, legte sie einem Katalog über das Larry-Projekt bei.
Stream of unconsciousness
Larry ist ein erfundener Name, doch der Mensch existiert: ein laute Partys schmeißender, berüchtigter Nachbar ihrer Eltern. Als 2003 sein Haus brannte, saß er vermutlich gerade im Gefängnis. Das Feuer ermöglichte Kaari Upson, sich im Haus umzusehen und Fotos zu machen. "Er war eine Art Hugh Hefner für Arme", stellte sie fest: elf Schlafzimmer, in jedem Raum Matratzen. Sie sichtete seine Dinge, nahm sein Tagebuch mit und verlor es wieder und beschloss, die Lücken einfach selbst zu füllen. Jahrelang bastelte sie an einer Larry-Narration aus Dingen, die sie herausgefunden hatte oder vermutete, aus Fakten und Boulevardnachrichten. Als Hugh Hefner bekanntgab, mit Zwillingen zusammen zu sein, kreierte sie Zwillingsidentitäten für eine Beziehung mit Larry, rief in dieser Rolle bei Telefon-Psychotherapeuten und Sex-Hotlines an, dokumentierte all das, machte eine Puppe von Larry wie einst Oskar Kokoschka von Alma Mahler, lynchte sie schließlich in einer auf Video festgehaltenen Zeremonie und setzte sich ihren Kopf selbst auf, um endgültig Larry zu werden.
Kaari Upsons Kunst balanciert immer an der Grenze zum Verlorensein, ist immer in Gefahr, den roten Faden zu verlieren. Als Betrachter wird man in dem Strudel mitgerissen, ein stream of unconsciousness. Verloren zwischen unfreiwilligem voyeuristischem Fasziniertsein und dem Versuch, routiniert die Codes zu knacken. Doch dann kommt der Moment, an dem man erkennt, dass es hinter all dem manischen Chaos einen sehr klaren Blick gibt und das Bedürfnis, zu tiefer liegenden Wahrheiten vorzudringen und alles in größere Zusammenhänge zu stellen. Damit wurde die Künstlerin international wahrgenommen, nahm an der Whitney Biennale, der Istanbul-Biennale und der Venedig-Biennale teil, hatte 2017 eine Einzelausstellung im New Yorker New Museum und wird von den Galerien White Cube und Sprüth Magers vertreten.
Am heutigen Donnerstag wurde bekannt, dass Kaari Upson am Mittwoch im Alter von 51 Jahren einem Krebsleiden erlegen ist.
Diesem Text liegt ein Porträt zugrunde, das in Monopol 2/2017 erschienen ist