Basel ist schon an normalen Tagen eine seltsame Mischung aus Puppenstube und unglaublich viel Geld, und wenn die Art-Basel-Woche die reichen Menschen in die Stadt ruft, wird das nicht besser. Die französischen Fluglotsen versuchten mit einem Streik am vergangenen Montag noch kurzfristig das Schlimmste zu verhindern, aber trotz abgesagter Flüge – einige Berliner mussten ihren Platz im Easyjet-Flieger gegen acht Stunden in einem ICE der Deutschen Bahn tauschen – waren dann irgendwann doch alle eingetroffen in der perfekt renovierten Stadt am Rhein, fuhren mit dem perfekt funktionierenden Nahverkehr zu ihren Hotels (900 Franken pro Nacht, warum nicht?) und bereiteten sich auf den entscheidenden Moment vor: das Austernschlürfen am Dienstagmorgen.
Inhaber einer sogenannten First-Choice-VIP-Karte dürfen traditionellerweise am ersten Tag der Vorbesichtigung bereits um 9.30 Uhr in den Hof der Messe und sich an Meerestier und Champagner gütlich tun – was abgesehen vom stärkenden Eiweiß allein deshalb eine gute Idee ist, weil man dann den obligatorischen Security-Check schon hinter sich hat und um 11, wenn die Messe ihre Türen öffnet, schneller durch dieselbe gewitscht ist.
Dafür hätte man allerdings am Montagabend etwas früher ins Bett gehen müssen, was der Unterzeichnenden leider nicht gelungen ist, deshalb also: Schlange stehen um 11. Doch natürlich ist auch der Einlass hier so perfekt organisiert, dass man genau 12 Minuten später schon mitten im Sturm steht, in diesem Fall Gagosian genannt, wo es sich schon wieder knubbelt – irgendjemand erzählt später, dass die meisten derjenigen, die sich dort immer knubbeln, da arbeiten, der Mega-Galerist habe immer 20 Mitarbeiter am Stand.
Die Absurditäten von Kunstmessen sind häufig beschrieben worden und sollen hier nicht noch mal ausgebreitet werden. Die Verkaufsberichte, die im Laufe der Woche hereintröpfeln, sprechen jedenfalls eine deutliche Sprache: Ein Keith Haring für 4 Millionen Dollar, ein Bild von Joan Mitchell für 6 Millionen Dollar – und Kerry James Marshall bittet darum, den Verkaufspreis für sein Gemälde bei der Galerie Jack Shainman nicht zu nennen, er habe genug von diesen Zahlen und wolle einfach nur in seinem Atelier in Ruhe arbeiten.
Und während bei der Frieze in London oder auch der Art Basel in Miami Beach dieses ganze Verkaufsgeschäft immer so schön hinter dem Kunstnebel der Partys verschwimmt, ist "Basel Basel", wie man es hier nennt, so seriös, dass noch nicht mal übermäßig viel gefeiert wird. Die Galeristen verschwinden mit den reichen Sammlern ausnahmslos auf irgendeinem Dinner, ohne die sonst gern zur Dekoration dazu gebetenen armen Schlucker mit einzuladen, so dass unsereins sich bei dem Empfang für die "BMW Art Journey" die Beine in den Bauch steht, bis endlich genug Häppchen vorbeigekommen sind, um das Loch im Magen zu stopfen.
An der Campari-Bar am Kunsthaus, seit Menschengedenken der späte Treffpunkt in Basel, kommt dann ein junger und schöner Mensch vorbei und erzählt, er sei gerade bei der Party gewesen, die der Galerist Perrotin in der Kirche um die Ecke veranstalte: "Da gibt's alles! Ist aber total langweilig." Gut so! Hier legen die DJs gerade Lionel Richies "All night long" auf und die Umstehenden stoßen ein feuriges "Fiesta!" aus. Ähm, höchste Zeit zu gehen.
Wer wirklich noch "All night long" da rumgestanden hat, kann sich am nächsten Tag beim "Parcours" erholen. Julian Charrière zeigt seinen neuen Film im Naturhistorischen Museum, ein großartiges Haus mit ausgestopften Bären und Plastikdinos. Man liegt auf sehr gemütlichen Matten und schaut einer endlosen Kamerafahrt durch Palmenplantagen in Indonesien zu, und während das Vogelgezwitscher langsam in ein Techno-Set übergeht, kann der fehlende Nachtschlaf unauffällig nachgeholt werden.
Nur leider bleibt im Dunkeln die Orientierungskarte liegen – schnell also noch in die Info-Box auf dem Münsterplatz. Der junge Mitarbeiter dort begrüßt einen freundlich – und fällt plötzlich der Länge nach hin. Erst als er, immer noch auf dem Boden liegend, auf Englisch kluge Dinge über Kunstausstellungen von sich gibt, stellt sich Erleichterung ein: Der Mann ist weder baselkrank noch messeverrückt, er performt eine nicht angekündigte Arbeit von Tino Sehgal.
Das ist das Schöne am Kunstbetrieb: Die Selbstparodie wird immer schon mitgeliefert.