Ich hatte die Redaktion schon gefragt, ob ich meine Kolumne mal ganz anders machen dürfte. Ein Dinner for One, ich probiere neue Rezepte aus und denke über die bisherigen ungelegten Eier nach: Ob die Themen der Gäste zu wild durcheinander gehen, ob ich erläutern muss, warum ich immer vegetarisch koche – und ob ich auch mal ein eigenes ungelegtes Ei preisgeben sollte.
Aber dann fällt mir zum Glück ein, dass die Schriftstellerin Nora Bossong mir im Mai geschrieben hatte, dass sie im August wieder in Berlin sei und dann gerne mit einem Ei zum Mittagessen kommt. Und die Ethnologin Katharina von Sohlern und der Architekt Sönke Hartmann haben auch spontan Zeit. Also: normales Prozedere, Vorstellungsrunde, Ei, Nachtisch.
Katharina von Sohlern ist nicht nur Ethnologin, sondern auch DJ-Jane und Mitglied im querfeministischen, transnationalen "Heart Chor". Ich kenne sie, weil sie Mitbegründerin von Redesign Democracy ist, einer Initiative, die mit Ansätzen aus der Welt des Designs die Demokratie zu verbessern versucht. Ab September ist sie für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Bayern unterwegs, um Menschen dabei zu unterstützen, ihr politisches Interesse in konkrete lokale Aktionen zu übersetzen. Ihr ungelegtes Ei dreht sich um die Frage, wie man mehr Bürgerbeteiligung ermöglichen kann, die nicht nur oberflächliche PR ist.
Um Demokratie geht es auch bei Nora Bossong. Sie kommt gerade aus Paris und wartet nun darauf, dass ihr neuer Roman "Schutzzone" in den Buchhandel kommt. Er handelt von der UNO und dem Völkermord in Burundi, eine Liebesgeschichte ist auch mit dabei, aber mehr darf ich noch nicht verraten, weil der Roman erst im September erscheint. Ihr ungelegtes Ei hat sie in Paris gelassen, dort hat sie nämlich für eine neuen Roman über die Gelbwesten und deren Demokratieskepsis recherchiert. Doch dann wurde ihr der Computer gestohlen, und nun sind alle Vorarbeiten weg. Den Dreh zu einem Roman hat sie bei den Protesten ohnehin nicht gefunden, weshalb sie das Projekt ad acta gelegt hat.
Auch bei Sönke Hartmann geht es um gesellschaftspolitische Fragen. Er hat die Baugenossenschaft Freiraum Kooperative mitbegründet, gerade wird das erste Projekt, die Sanierung eines alten Landhauses in Oranienburg, abgeschlossen. Im Annagarten sollen 30 - 40 Menschen gemeinschaftlich wohnen, gärtnern und leben. Solche Projekte sind gelebte Demokratie, schließlich müssen unterschiedliche Erwartungen unter einen Hut gebracht werden. Und sie sind architektonische Grenzerfahrungen, weil nicht nur viele unterschiedliche Geschmäcker aufeinander treffen, sondern meist auch wenig Geld da ist. Die Erfahrungen aus diesem Projekt möchte er jetzt nutzen, um weitere gemeinschaftliche Wohnprojekte ins Leben zu rufen.
Nun hätten wir noch weiter über Demokratie diskutieren können, aber das fällt mir erst jetzt beim Schreiben auf. Beim Essen hatte ich dafür nicht genug Offenheit, denn ich hatte mir vorher in den Kopf gesetzt, eine Sache anders zu machen als bisher. Da ich mich derzeit mit "Folgenlosigkeit" beschäftige, wollte ich meine Gäste nach ihrer Definition von "Erfolg" befragen – woraus sich aber auch eine spannende Diskussion entspannte: Legt man die Kriterien für Erfolg selber fest oder werden sie von außen bestimmt? Zählt das Ergebnis oder geht es um den Prozess? Und ist es eine Form von (erfolgreicher) feministischer Selbstermächtigung, wenn man etwas macht, was man sich vorher nicht zugetraut hat?
Wir sprechen über die verschiedenen "Währungen" von Erfolg, und wie in kollektiven Arbeitsweisen Erfolg geteilt oder von Einzelnen monopolisiert wird. Und wir sprechen über unangenehme Seiten von Erfolg: Katharina von Sohlern erzählt von der Überraschung, mit dem Chor auf den Festivals aufzutreten, auf dem sie gerne als DJane aufgelegt hätte; Nora Bossong von den Kompromissen, die sie früher gemacht hat, weil sie manchmal mehr auf Lektoren hörte als auf sich selbst, und Sönke Hartmann von den ästhetischen Ansprüchen, auf die er verzichten musste, um den Bewohnern der Annagärten kostengünstigen Wohnraum zu ermöglichen.
Natürlich haben wir über viel mehr geredet, aber ich kriege es nicht mehr alles zusammen. In meinen Notizen steht: "Dann würde ich keine Kompromisse mehr machen. Weniger Aufwand, um das Ziel zu erreichen. Die Schicht, die uns von den Zuständen trennt, ist sehr dünn." Welcher meiner Gäste das gesagt hat? Ich weiß es nicht mehr. Und in meinen Nachtisch war zu viel Agar-Agar. Aber das ist auch nicht schlimm.