Kolumne

Ungelegte Eier (3)

Es ist nicht leicht, im Sommer eine Lunch-Runde zusammenzubekommen, wenn halb Berlin aufs Land zieht. Bei der dritten Ausgabe der "Ungelegten Eier"-Kolumne geht es dann aber gleich um Existenzielles: Europa, Migration und kulturelle Identität

Der Sommer ist in Berlin angekommen. Die ganze Stadt, so scheint es, zieht es aufs Land. Zu meinem Mittagessen kommt deshalb nur eine kleine, dafür aber feine Runde: Die Kuratorin, Künstlerin und Ethnologin Clémentine Deliss, der Architekt, Designer und Aktivist Van Bo Le-Mentzel und der Filmemacher und Hochschullehrer Pepe Danquart. Sehr unterschiedliche Personen, die sich alle vorher nicht kannten, deren ungelegte Eier aber miteinander verwandte Themen haben. Kurz zusammengefasst: Unser Gespräch dreht sich um Europa, Migration und kulturelle Identität – was nicht nur an den ungelegten Eiern, sondern auch an den Biografien und Namen der Gäste liegt.

Den Anfang macht Van Bo Le-Mentzel mit der Anekdote, dass sein Name fast immer falsch geschrieben werde, was für ihn inzwischen Teil seiner Identität sei. In Laos, wo er geboren wurde, hätten die Menschen eh mehrere verschiedene Namen, so Le-Mentzel, und sein Name sei auch nicht sein Geburtsname, sondern der, der ihm bei seiner Einwanderung gegeben wurde. Seine Eltern nannten ihn bei Geburt "Jumbo Jet", und dass er nun Van Bo Le-Mentzel heißt, ist das Ergebnis des strategischen Umgangs Geflüchteter mit bürokratischen Reglementierungen.

Van Bo Le-Mentzel
Foto: Friedrich von Borries

Van Bo Le-Mentzel

Clémentine Deliss' Großvater hieß Delitz, als er vor den Nazis nach England flüchtete, und Pepe Danquarts Nachname rührt von französischen Hugenotten her. Deshalb wird er manchmal für einen Franzosen gehalten, was ihm ganz gut gefällt. Meine Gäste haben also hybride Identitäten, die mit viel mit Flucht und Politik zu tun haben. Womit wir bei Europa angekommen wären.

Le-Mentzel will ein kleines Europa bauen, eine kleine Siedlung, in der jedes Land durch ein Tiny-Houses repräsentiert wird. Das Europa, das er dabei im Kopf hat, ist weniger die EU als, wie er sagt, ein "Eurovision-Songcontest-Europa", mit Israel und der Türkei und Australien. Und diese kleine Siedlung – er nennt sie "Europia" – will er am liebsten vor dem Bundeskanzleramt errichten, auf der leeren Wiese, auf der ursprünglich mal ein Bürgerforum vorgesehen war. Eine kleine Skizze hat er auch dabei.

Clémentine Deliss fragt sich, ob Le-Mentzels "Europia" eine Art Weltausstellung sein solle, und damit letztlich ein koloniales Projekt, und Pepe Danquart kritisiert, dass ihm dieses Bild von Europa zu nett, zu niedlich, zu apolitisch sei. Warum, fragt er, zeigt man Europa nicht als das, was es ist: Eine Trutzburg, deren Mauern errichtet werden, damit niemand Ungebetenes hineinkommt. In diese Mauern, so Pepe Danquart, sind wir einbetoniert, damit uns niemand – wie zum Beispiel "Flüchtlinge" aus Afrika – in unser sonntägliches Mittagessen hineinspuckt. 

Clémentine Deliss
Foto: Friedrich von Borries

Clémentine Deliss

Mit der Trutzburg Europa beschäftigt sich Pepe Danquarts auch in seinem neuen Dokumentarfilm "Vor mir der Süden". Vor 50 Jahren hat Pier Paolo Pasolini im Auftrag der Zeitschrift "Successo" die italienische Halbinsel umrundet. Schon damals, so Danquart, habe Pasolini Zukunftsvisionen gehabt, die heute bedrückende Realität geworden sind: Er sah den zerstörerische Massentourismus, den hedonistischen Faschismus und die globalen Migrationsbewegungen voraus – in die Pasolini die Hoffnung setzte, so Pepe Danquart, dass von ihr ein revolutionäres, die Gesellschaft veränderndes Moment ausginge.

Danquart hat nun denselben Weg wie Pasolini zurückgelegt, hat den überlaufenen Markusplatz genauso besucht wie Flüchtlingslager und Airbnb-Wohnungen. Nun ist der Film fast fertiggestellt, und Danquart hofft, dass er zum Beispiel auf der Biennale in Venedig gezeigt wird.

Pepe Danquart
Foto: Friedrich von Borries

Pepe Danquart

Biennalen gegenüber ist Clémentine Deliss kritisch eingestellt, auch sie sind für sie Fortsetzung eines kolonialen Projektes, Auswüchse des auch Kunst und Kultur okkupierenden Kapitalismus. Trotzdem – oder gerade deshalb – ist ihr Ei auf der Biennale von Ljubljana angesiedelt. Dort will sie eine neue Infrastruktur austesten. Mit sieben Studierenden der Hochschule für Gestaltung (HfG) Karlsruhe, an der sie derzeit unterrichtet, hat sie die "Metabolische Museums-Universität" ins Leben gerufen. Denn unser Körper, so Deliss, fühlt sich im Museum nicht wohl, er ist eingesperrt, genauso wie die Objekte im Depot.

Sie will den Körper und die Objekte befreien, aus dem Ort der Konservierung einen Ort des Wissens, Denkens und transdisziplinären Forschens machen. Deshalb wird die "Metabolische Museums-Universität" die Biennale besetzen. Wichtiges Instrument ist dabei ein Stuhl, der zum Verweilen einlädt. Der Stuhl kann aber noch mehr, er ist eine Art Regie-Stuhl, der mit einem Beamer ausgestattet ist, damit die Besucher eigene Inhalte in die Ausstellungsräume projizieren können. 25 dieser Stühle wurden vom Team der HfG entworfen und werden auf der Biennale von Ljubljana zum Einsatz kommen – was dabei passiert, ist natürlich noch offen.

Die Zeit ist zu kurz. Wir diskutieren die ungelegten Eier nicht zu Ende, dabei hätte noch viel gesagt werden können. Aber Van Bo Le-Mentzels Sohn will nach Hause, und auf Pepe Danquart wartet seine Frau, die er lange nicht gesehen hat. Als am späten Nachmittag die Gäste gehen, knallt die Sonne immer noch. Zum Abkühlen fahre ich schnell zum Teufelssee. Auf dem Weg vom S-Bahnhof zum See kommen mir Grüppchen entgegen, die Englisch, Spanisch, Französisch, Arabisch und Hebräisch sprechen. Und als ich dann zwischen nackten Sonnenanbetern, verliebten Rastafaris und tätowierten Jugendlichen auf dem Schwimmponton liege, freue ich mich, dass Berlin ein bunter wilder Haufen ist.