Ideen-Kolumne

Ungelegte Eier (14)

Nach langer Corona-Abstinenz endlich mal wieder Besuch: Der Filmemacher und Bühnenbildner Jakob Brossmann erzählt beim Picknick über ein geplantes Festival an der Universität für angewandte Kunst in Wien

Wir machen ein Picknick im Grünen, hören den Vögeln beim Zwitschern zu und springen zwischendurch ab und an ins Wasser: Jakob Brossmann und ich reden über vieles, vor allem über den Film über Folgenlosigkeit (siehe Ungelegte Eier (7)), an dem wir gemeinsam arbeiten, über die Frage, wie man sich selbst die Geschichte des eigenen Lebens erzählt und wie sich Liebesbeziehungen entwickeln. Es hat sich halt vieles aufgestaut.

Foto: Friedrich von Borries
Foto: Friedrich von Borries


Aber Jakob Brossmann hat auch ein ungelegtes Ei mitgebracht, das wieder – oder besser: immer noch – mit Covid-19 zu tun hat. Es geht um die Jahresausstellung, den Rundgang, oder wie es an der Universität für angewandte Kunst in Wien heißt, an der Jakob Brossmann unterrichtet, das "Angewandte Festival"; also das als Ausstellung getarnte Sommerfest, mit dem wohl jede Kunsthochschule das akademische Jahr beschließt.

Während meine Hochschule in Hamburg die Ausstellung dieses Jahr in den September verschoben hat, soll das "Angewandte Festival" dieses Jahr stattfinden, aber eben unter Corona-Bedingungen, also hauptsächlich digital. Was aber ausstellen, wenn das, was man eigentlich unterrichtet, dieses Semester nicht möglich war? Denn Jakob Brossmann unterrichtet in der Klasse für Bühnenbild – aber die Theater sind seit März alle geschlossen. Die Stadt Wien listet übrigens 99 kleine und große Theater, die genaue Anzahl an Theaterräumen in Wien ist unbekannt.

Mit zwei Kolleginnen, der leitenden Dramaturgin des Werk X Hannah Egenolf und der Operndramaturgin und Regisseurin Helga Utz, hat er eine alternative Ausstellungsform entwickelt, die am 26. Juni zur Erprobung kommen soll. Auf einem Zoom-Walk durch die Wiener Innenstadt sollen über 20 verschiedene Theater und Spielstätten besucht werden, um diese in ihrem städtebaulichen Kontext zu reflektieren. "Walk", weil alle Teilnehmenden – Studierende und interessierte Öffentlichkeit – wie in einer Prozession mit gebührendem Abstand durch die Stadt laufen. "Zoom", weil für die Kurzvorträge und Diskussion mit Akteuren vor den verschlossenen Türen der jeweiligen Theater über Zoom akustisch verstärkt und gleichzeitig ins Netz übertragen werden.

Von Theater zu Theater

Es geht, wie es in Wien heißt, einer "Mittelbühne" mit jüdischer Geschichte und Identität wie dem Hamakom im Nestroyhof, einen experimentell Ort wie dem Werk X, oder dem altehrwürdigem Burgtheater, das selbst als Kulisse für gesellschaftliche Konflikte instrumentalisiert wird, etwa wenn wie 2016, Identitäre aus Protest gegen die Uraufführung von Elfriede Jelineks "Die Schutzbefohlenen" vom Dach des Theaters ein Protestbanner entrollen.

Besucht werden aber nicht nur Theater, die es gibt, sondern auch die, die es nicht mehr gibt. Zum Beispiel der Schottenring 7. Dort befand sich von 1874 bis 1881 das Ringtheater. Die Spielstätte brannte 1881, als sich das Gas der Bühnenbeleuchtung entzündete. Bis zu 1.000 Besucher des Theaters kamen ums Leben, die genaue Zahl ist unbekannt geblieben.

In Folge wurde dort das sogenannte Sühnhaus errichtet, eine Mischung aus Mietshaus und Denkmal. Einer der ersten Mieter war der damals noch wenig bekannte Sigmund Freud. Er zog dort erst nach mehreren Jahren aus, nachdem sich, so Wikipedia, eine Patientin von ihm nach einer Therapiesitzung im Treppenhaus in den Tod gestürzt hatte. Doch auch das Sühnhaus brannte ab, als die benachbarten Polizeidirektion 1945 angezündet wurden, wohl, um dort Akten zu vernichten.

Wir stellen uns also vor: 50, vielleicht 100 Leute laufen mit Kopfhörern auf den Ohren und mit ein oder zwei Metern Abstand durch die Stadt. Sie bleiben vor jedem Theater stehen, treffen dort auf Repräsentanten der jeweiligen Institution. Und weil es in der Stadt so laut ist und man ja Abstand halten muss, hört jeder die Diskussionen und Gespräche via Zoon in seinem Kopfhörer.

Hybrides Format

Der Inhalt: Kunst und Gesellschaft, die Rolle des Theaters als Austragungsort politischer Konflikte und die Frage, wie Theaterräume im Stadtraum Identität schaffen und vermitteln. Die Form: Ein hybrides Format zwischen sinnlichem Erleben und digitaler Vermittlung, irgendwie gemeinsam und doch vereinzelt, jeder für sich und doch alle gemeinsam. Weird, so könnte man wohl sagen, aber eben ein Ausblick auf eine soziale Praxis, die uns wohl noch eine Zeit lang bestimmen wird.   

Ach so, los geht es am 26. Juni um 15 Uhr, Treffpunkt: Am Oskar-Kokoschka-Denkmal vor dem Hauptgebäude der Universität für Angewandte Kunst. Das Walk dauert rund zweieinhalb Stunden – und: Smartphone und Kopfhörer mitbringen. Den Onlinestream findet man über die Website angewandtefestival.at.