Ideen-Kolumne

Ungelegte Eier (12)

Beim Kreativ-Mittagessen geht es diesmal um Nachhaltigkeit: Alle ungelegten Eier haben etwas mit dem Kreislauf der Dinge zu tun - und mit den Emotionen beim Kulturgenuss

Eine Architektin, die auch Künstlerin ist, ein Designer, der mehr Prozesse als Produkte gestaltet, und ein Kultursoziologe, der Komposition studiert hat; so setzte sich meine zwölfte Eier-Runde zusammen. Die Architektin ist Heike Hanada, bekannt durch das von ihr entworfene Bauhaus-Museum in Weimar. Sie ist Professorin an der TU Dortmund, wo sie den Lehrstuhl für Gebäudetypologie leitet. Sie versteht sich aber auch als Künstlerin, die sich mit sozialen Fragestellungen auseinandersetzt.

Axel Kufus ist Professor für Design an der Universität der Künste (UdK) Berlin und leitet dort den Lehrstuhl für "Entwerfen und Entwickeln". Bekannt wurde er vor allem durch sein FNP-Regal, aber er beschreibt sich nicht als Produkt, sondern als "Prozess-Designer".

Und Martin Tröndle ist Professor für "Cultural Production" an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Ich kenne ihn, weil er ein Buch über "Nicht-Besucher-Forschung" geschrieben hat, in dem er der Frage nach geht, aus welche Beweggründen Menschen nicht in Ausstellungen gehen. Soweit also die Runde. Und wie immer hatte jede/r ein ungelegtes Ei dabei. Und die hatten merkwürdiger Weise alle etwas mit Nachhaltigkeit zu tun – und mit dem Verhältnis von Tradition und Zeitgemäßheit; kurzum: Es ging um kulturelle Nachhaltigkeit.


Axel Kufus, der Prozessdesigner, bereitet gerade ein Projekt vor, dass sich mit Produktzyklen auseinandersetzt. Schon am Anfang seiner Karriere, als er noch als Schreiner arbeitete, hat er sich mit Upcycling und Transformation auseinandergesetzt, und beispielsweise aus den Resten der Ausstellungsarchitekturen, die er für den Martin-Gropius-Bau baute, Möbel und andere Produkte entwickelt.

Sein ungelegtes Ei heißt "SUVUS", das Anagramm für Sports Utility Vehicle Utility Sport, und genau darum geht es: Wie sich der eindirektionale Weg der Produktentwicklung zu einem Kreislauf weiterentwickeln lässt, oder, um beim konkreten Fall zu bleiben: Was kann man aus den ganzen SUVs, die derzeit gebaut werden, etwas Vernünftiges machen; wie kann man die dazu benötigten Maschinen und Halbzeuge für neue, zukunftsfähige Produkte einsetzen? Und, viel wichtiger noch: Wie kann man das Wissen der hochausgebildeten Ingenieure, Techniker, Designer für eine sich wandelnde Gesellschaft nutzen? Es geht ihm dabei um eine doppelte Nachhaltigkeit: Die der Produkte, aber auch die der Kompetenzen der Menschen, die derzeit noch Produkte erarbeiten, die wir bald nicht mehr brauchen werden.


Auch Heike Hanada, die Architektin, hatte ein äußerst zukünftiges Ei dabei. Mit Kolleginnen und Kollegen der TU Dortmund plant sie ein Forschungsprojekt zu Nachhaltigkeit und Städtebau. Den Schwerpunkt will sie dabei auf den Block als neutrale, geradezu selbstvergessene Einheit setzen. Denn innerhalb der Architektur wird ihrer Meinung nach zu sehr in "Architekturobjekten" gedacht, in ästhetischen Kategorien und dem Wunsch, die eigene architektonische Haltung auszudrücken – und zu wenig in urbanen und vegetativen Zusammenhängen.

Die nun mehrere Jahrzehnte andauernde (und nur mäßig erfolgreiche) Debatte um Dachbegrünung veranschaulicht das deutlich. Sie kann sich deshalb sogar vorstellen, dass irgendwann das von ihr entworfene Weimarer Bauhaus-Museum überwuchern zu lassen – denn sie will vertikale Gärten innerhalb des urbanen Raumes readikal neu denken.

Die vermessenen Konzert-Besucher

Nicht in ferner Zukunft, sondern fast in der Gegenwart liegt das ungelegte Ei von Martin Tröndle. Denn er bereitet gerade ein Forschungsprojekt über die Wahrnehmung von Musikaufführungen vor. Die Idee dahinter: Gerade klassische Musik leidet unter einem Schwund an Besuchern – möglicherweise, weil sie an veralteten Darbietungsformen festhält.

Er will aber keine großen Theorien entwickeln, sondern empirische Ästhetik betreiben, in dem er 12 Konzerte im Radialsystem untersucht. Mit Big Data will er den kleinsten Empfindungen auf die Spur kommen. Dazu wird bei den Besuchern die Herzfrequenz, die Atmung und die Schweißproduktion gemessen, Kameras tasten die Besucher ab, um die Bewegungsenergie zu analysieren – alleine im Gesicht werden dazu 128 Muskeln gescannt. Im Anschluss werden den Besuchern die intensivsten Momente ihres Konzertbesuches nochmal gespiegelt, und eine qualitative Befragung gibt es natürlich auch.


Ziel des Ganzen: Herausfinden, was die Zuhörer wirklich bewegt, um dann neue Formen der Aufführung zu entwickeln. Denn die Aufführungspraxis verändert sich historisch immer wieder, die heutige Form des Konzerthauses, in dem man 90 Minuten stillsitzt, ist erst 150 Jahre als. Noch im 19. Jahrhundert, so berichtet Martin Tröndle, gab es Konzerte, die acht Stunden dauerten, bei denen gegessen wurde, man Pausen machte, wann es einem gefiel, und es sogar kostenfreien Alkohol gab.

Natürlich haben wir nicht nur über die Eier diskutiert, sondern auch über die Grenzen unserer Problemlösungskompetenzen, über das Verhältnis von Natur und Kultur, über Hyper-Intelligenz, Techno-Sphäre und Neo-Kolonialismus. Mir hat daran besonders gefallen, dass alle drei Gäste voller Optimismus mit Kunst, Design und Architektur die Welt verändern wollen – und dazu experimentelle wissenschaftliche Wege gehen.