Big Anthony ist bester Laune. Und erntet damit irritierte Blicke bei seinen Brüdern und Schwestern. Wie Colson Whiteheads Roman "Underground Railroad" beginnt die Serienverfilmung in der Hölle einer Baumwollplantage in Georgia, um 1850. Die Schwarzen müssen sich zu Tode schuften. Wer gut drauf ist, könnte den Verstand verloren haben. Wenn er nicht plant, sich aus dem Staub zu machen. Tatsächlich wagt Big Anthony die nächtliche Flucht aus dem Reich der Randall-Brüder. Um kurz darauf von einem Sklavenfänger namens Arnold Ridgeway wieder zurückverfrachtet zu werden. In einem Käfig. Dann wird sein Körper mit Peitschenhieben halb zerfetzt; schließlich wird Big Anthony bei lebendigem Leib verbrannt. Seine Leute müssen dabei zusehen, während die Weißen – die Richtstätte ist direkt am Herrenhaus aufgebaut – an einer Tafel vornehm gelangweilt ihren Lunch einnehmen.
Explizit geschilderte Grausamkeiten sind das Letzte, was man von Barry Jenkins erwartet hätte. Seit seinem Oscar-gekrönten "Moonlight" (2016) und der James-Baldwin-Verfilmung "Beale Street" (2018) ist der Filmregisseur bekannt für einfühlsame filmischen Porträts von Afroamerikanern im alltäglichen Ausnahmezustand. Der von Mitschülern gemobbte Junge und spätere Drogendealer Chiron in "Moonlight" lebt wie in einer Tagtraumblase seiner schwulen Sehnsucht. Ähnlich filtert Jenkins die Härten einer schwarzen Jugend im Harlem der 1970er, indem er die Verbindung zwischen Fonny und Tish, dem Liebespaar aus "If Beale Street Could Talk", wie einen Schutzraum inszeniert.
Obwohl unschuldig, muss Fonny für Jahre ins Gefängnis, der Knast könnte ihn brechen, aber seine Seele ist unantastbar. Jenkins findet Bilder für die innere Würde seiner Figuren. In der ersten Episode von "Underground Railroad" gewährt er dem verbrannten Big Anthony einen Blick auf seine Peiniger. Ein unmöglicher subjektiver Kameraschuss, ein eindringliches Bild.
Anschlüsse an die Jetztzeit
Solche Zäsuren, Gedankenstriche, Generalpausen sind typisch für Barry Jenkins. Wenn es zu schlimm wird, klinkt er sich gleichsam aus. Bei den Dreharbeiten, so berichtete der Regisseur, war eine Psychologin am Set, und er habe sie selbst mehrmals konsultieren müssen. Für Momente des Durchatmens sorgen auch immer wieder "Kamerablicke" – so nennt man den Kontakt, den Figuren ausnahmsweise zum Publikum aufnehmen. Immer wieder bauen sich Einzelcharaktere und Familien wie vor einem Fotoapparat auf, um direkt in die Linse zu schauen. Statt eine Kostümfilm-Illusion von Historizität zu faken, oder schlimmer: eine Geschichtsklitterung à la "Bridgerton" zu liefern (die US-Serie löst ethnische Schranken in der Londoner High Society anno 1813 einfach auf), sucht Jenkins regelmäßig den Anschluss an unsere Jetztzeit. Die weiterhin von Rassismen geprägt ist. Am Ende jeder Folge, wenn die oft bedrückenden Bilder verloschen und der Sinfonik, Blues, giftige Atonalität und geräuschige "musique concrète" überblendende Score von Nicholas Britell verklungen ist, lässt Jenkins Songs von Mahalia Jackson über Marvin Gaye bis zu Kendrick Lamar und OutKast zum Abspann spielen: Weckrufe in die Jetztzeit.
Über die zwölf Episoden der Miniserie hinweg lässt uns Jenkins mit Cora fiebern, einer jungen Sklavin der dritten Generation auf der Randall-Plantage, der die Flucht tatsächlich gelingt. Zehn Jahre zuvor verschwand ihre Mutter Mabel spurlos. Cora hasst die Frau, die ihr einzig verbliebenes Kind – fünf andere starben – offenbar im Stich ließ.
Für die anderen, die auf den Baumwollfeldern Zwangsarbeit verrichten, ist Mabel eine Lichtgestalt. Was die Mutter schaffte, müsste auch der Tochter glücken – glaubt Caesar, der mehrere Anläufe braucht, um Cora zur gemeinsamen Flucht in den Norden zu überreden. Nach Norden, wo die Schwarzen in Freiheit leben können. Nach New York oder Kanada, wo Mabel sich jetzt womöglich eine neue Existenz aufgebaut hat: Eine unerträgliche Vorstellung für den Sklavenjäger Ridgeway. Weil ihm die Mutter entwischte, muss er die Tochter aufspüren und lebend den grausigen Randalls ausliefern. Kopfgeldjäger-Ehrensache. Die Südafrikanerin Thuso Mbedu als todesmutige Cora und Joel Edgerton als ihr Gegenspieler Ridgeway verkörpern ihre Parts grandios. Das gilt übrigens für alle Darsteller und Darstellerinnen, bis in die kleinsten Rollen.
Anders als Steve McQueen in seinem Spielfilm "12 Years a Slave" (2013) greifen Colson Whitehead und Jenkins (der sich bereits vor der Buchpremiere 2016 die Filmrechte gesichert hatte) auf kein historisches Einzelschicksal zurück. McQueen adaptierte die autobiografische Erzählung von Solomon Northup, der als freier Afroamerikaner 1841 von New York nach Louisiana verschleppt wurde. Als Filmfigur begleitet uns Northup, der die Freiheit kennt, sozusagen ins Dantesche Inferno der Sklaverei. Das lässt sich vergleichen mit den unfreiwilligen Zeitsprüngen der schwarzen Heldin in Octavia E. Butlers Science-Fiction-Roman "Kindred", der 1979 erschien: Dana lebt im modernen Kalifornien, sie wird aber fortwährend – vermittelt über Ohnmachten – in die brutale Südstaaten-Vergangenheit ihrer Familie zurückgebeamt.
Stadien zwischen Versklavung und Freiheit
Coras Weg, verbunden mit einem (nach realistischen Maßstäben) eher unwahrscheinlichen Reifeprozess der Hauptfigur, verläuft in die andere Richtung, nach vorn. Ihre Reise führt Cora durch mehrere US-Bundesstaaten. Sie flieht nach South Carolina, sitzt monatelang in North Carolina in einer Dachkammer fest, wird von Ridgeway nach Tennessee verschleppt, dann von Abolitionisten aus den Ketten des Sklavenfängers befreit, lebt mit schwarzen Farmern in Indiana zusammen, muss nach einem Massaker auch von dort flüchten. Die Protagonistin erlebt verschiedene Stadien zwischen Versklavung und Freiheit, sie durchleidet Dystopien und sieht Utopien scheitern. Mit ihrer Fluchtgeschichte zeichnet Whitehead ein historisch informiertes Bild des Rassismus und der afroamerikanischen Diaspora, ohne der Vergangenheit wirklich verhaftet zu bleiben.
"Underground Railroad" spielt vor dem Sezessionskrieg, nimmt aber Motive auf, die bis ins 20. Jahrhundert ausgreifen. Etwa die berüchtigte Tuskegee-Syphilis-Studie, die ab 1932 in Alabama durchgeführt wurde und die der Autor nach South Carolina verlegt, wo Caesar und Cora erstmals Unterschlupf finden. In der fiktiven Stadt, in der Schwarze und Weiße in friedlicher Eintracht zu leben scheinen, arbeitet Cora in einem Museum voller Dioramen, die das Martyrium ihrer Leute in mildem Licht erscheinen lassen: "Das Sklavenschiff", "die Plantage". Cora und ihre afroamerikanischen Kolleginnen spielen "ihre Vergangenheit" hinter Museumsglas nach.
Jenkins und sein Autorenkollektiv inszenieren hier eine Whitehead-Erfindung, die wiederum von den "Völkerschauen" inspiriert ist, bei denen etwa zwischen 1870 und 1940 Menschen wie Zootiere in ihrer angeblich naturindentischen Umgebung vorgeführt wurden. Vor allem in Europa waren diese Zurschaustellungen beliebt, die erste deutsche "Kolonialausstellung" fand 1896 im Treptower Park von Berlin statt – mehr als 100 Schwarzafrikanerinnen und -afrikaner mussten in einem "N****dorf" vorgeblich typische Lebenssituationen nachspielen.
Ausgerechnet hinter der Scheibe des Cotton-Field-Dioramas sieht sich Cora plötzlich einem ihrer Häscher gegenüber: Es ist Homer, der sie im Museum entdeckt, der kindliche Handlanger Ridgeways. Chase Dillon, ein 2009 geborener Afroamerikaner, spielt dieses Babyface des Bösen, das Ridgeway in Nibelungentreue dient; noch ein Casting-Glücksgriff für die Verfilmung.
Der Gegenspieler bekommt Kontur
Ridgeway selbst glaubt an einen ominösen "Great Spirit", der die Weißen aus Europa in die Neue Welt rief, "damit wir erobern, aufbauen und zivilisieren", wie ihn Whitehead im Roman sagen lässt. "Und zerstören, was zerstört werden muss. Um die unbedeutenderen Rassen emporzuheben. Und wenn nicht emporzuheben, dann zu unterwerfen. Und wenn nicht zu unterwerfen, dann auszurotten. Unsere Bestimmung kraft göttlicher Vorschrift – der amerikanische Imperativ."
Im Roman bleibt Coras Gegenspieler ein Schatten, für die Verfilmung wurden die Figur und ihr biografischer Hintergrund stark ausgebaut. Ein rassistischer Mythos besagt, die Schwarzen seien Nachkommen von Kain und daher verflucht. Während Whitehead die Jugendzeit Ridgeways lediglich knapp skizziert, holt Jenkins zu einer Gegenerzählung aus. "Chapter 4: The Great Spirit" zeigt Ridgeway als Jugendlichen in Tennessee, der es nicht ertragen kann, dass sein Vater, ein Schmied, mehr Zuneigung für den jungen Schwarzen Mack aufbringt als für seinen leiblichen Sohn. Ridgeway senior, im Buch kurz geschildert, trägt in der Serie Züge des alttestamentarischen Gottvaters. Sein Sohn wird zum verschmähten Kain, der "Abel" – also Mack, der nur in der Serie vorkommt – in einem zynischen Experiment dazu überredet, in einen Brunnen zu springen.
Kurz nach dieser Episode schließt sich Ridgeway junior einer Bande von Kopfgeldjägern an. Mack überlebt, trägt eine Gehbehinderung davon, Jahre später wird er von Homer erschossen: Der delegierte Brudermord, wenn man so will.
Ist ein "Ende der Geschichte" denkbar?
Jenkins' Adaption steht Whiteheads Roman an Grausamkeit in nichts nach. Wahrscheinlich geht es nicht anders. Es ist die "Underground Railroad", die Cora wie das Publikum immer wieder aus der Fatalität der Geschichte herausholt. 1780 wurde ein Fluchthilfenetzwerk für schwarze Sklaven gegründet, das 70 Jahre später, im Eisenbahnzeitalter, seinen prägnanten Namen bekam. Gegner der Sklaverei, darunter viele Weiße, hatten dieses System aus geheimen Fluchtrouten und Schutzhäusern entwickelt, das vor dem Sezessionskrieg ungefähr 100 000 Menschen die Flucht aus dem Süden der USA in die sicheren Nordstaaten oder die Provinz Kanada ermöglichte.
Colson Whiteheads Kunstgriff besteht darin, den Namen wörtlich zu nehmen. Ursprünglich nur eine Metapher, materialisiert sich die Railroad im Roman – und dann auch in der Serie – als unterirdisches Eisenbahnnetz. Äußerlich unscheinbare Farmhäuser bergen Schächte, die zu Stationen führen. Ein Tunnelsystem erstreckt sich von Süden nach Norden. Was nach Fantasy klingt, ist in seiner fiktionalen Realisierung sehr störanfällig und andauernd bedroht. Streckenabschnitte werden stillgelegt, Stationshäuser von den Südstaaten-Schergen in Schutt und Asche gelegt. Die zentrale Denkfigur des Romans, die Railroad, figuriert als Symbol der Bewegung: "The foundational element for slave survival — and black survival more generally—is movement", bemerkte die US-Literaturwissenschaftlerin Nihad M. Farooq.
Stillstand ist der Tod. Auf den paradoxen Punkt bringt es Barry Jenkins gleich zu Beginn seiner großartigen Serie. Das erste Bild ist ein Slow-Motion-Shot, der Cora im freien Fall zeigt. Die (hier noch) rätselhafte Einstellung stammt aus der finalen Episode. Cora rudert mit den Armen, ihre Kleider wehen, sie taumelt in einen tiefen Schacht hinab. Ist das ihr Tod, ihre Rettung? Wenn man Cora als überindividuelle Figur nimmt, die exemplarisch für den Kampf um Freiheit und Gleichheit in der afroamerikanischen Diaspora steht, dann eine Gegenfrage: Ist ein "Ende der Geschichte" denkbar?