"Fresh Window"-Ausstellung in Basel

Und das soll Kunst sein?

Irritation auf kleinstem Raum: Das Museum Tinguely leuchtet mit der assoziativen Schau "Fresh Window" die lange Liaison zwischen Schaufenstern und Kunst aus: vom Spielplatz für Anfänger bis zur performativen Bühne für ein großes Publikum

Dieses Rollenspiel war ganz nach ihrem Geschmack. 1976 tauschte Marina Abramović für die Performance "Role Exchange" den Arbeitsplatz mit einer Frau aus dem Rotlichtviertel in Amsterdam. Die Prostituierte nahm an der Eröffnung einer Kunstausstellung teil, während sich Abramović in ihrem Schaufenster als Ware anbot und den Blicken der Passanten auslieferte. Der Vorhang schützte nicht wirklich, denn hätte sie ihn benutzt und ihrer Scham nachgegeben, wäre es das Eingeständnis der Kapitulation vor den geltenden Moralvorstellungen.

Ein Jahrzehnt früher verweigerte Christo noch den kommerziellen Anspruch von Schaufenstern, indem er sie als "Store Fronts" nachbaute, in denen zwar ein grelles Licht die Neugier weckte, dank einer Stoffbarriere aber nichts zu sehen war. Die Idee zu einem mit schwarzem Leder verdeckten Fenster, das weder Kaufanreize schaffte noch Illusionen beförderte, hatte allerdings schon Marcel Duchamp 1920 mit der Skulptur "Fresh Widow". Dies war die Bezeichnung von Witwen der im Ersten Weltkrieg gefallener Soldaten, was ihn später nicht daran hinderte, immer wieder verkaufsfördernd Geschäftsfronten zu dekorieren. 

Für den jungen Andy Warhol kam diese Camouflage nicht in Frage. Wie Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein oder Jasper Johns experimentierte er in New Yorker Schaufenstern mit der fließenden Grenze zwischen Dekoration und Kunst. Bereits 1961 zeigte er seine ersten Gemälde im Kaufhaus Bonwit Teller, das wöchentlich umdekorierte und damit für einen Massenauflauf sorgte. 

Kollaboration mit dem Kapital                    

Warhol steuerte auch eine erstaunlich verspielte, mit Katzen und Spielkarten bekritzelte Holzbrett-Auslage für die Parfümmarke Mistigri bei. Aus heutiger Sicht handelt es sich um legendäre "Ausstellungen", die aber den meisten der späteren Berühmtheiten peinlich waren, denn nichts wog damals schwerer als die Kollaboration mit dem Kapital.

Ohnehin war der Höhepunkt der hintergründigen Schaufensterkunst mit dem Aufkommen von Einkaufszentren und Katalogen überschritten. Wie sehr sich die Perspektive auf den "Nebenjob" danach verändert hatte, beweist in der über drei Stockwerke nach möglichst vielfältigen Schauwerten beschwingt suchenden Ausstellung der ikonische Filmstill aus "Prada Marfa" von Elmgreen & Dragset. Der für Irritationen sorgende Mode-Shop mitten in der texanischen Wüste ist längst ein Klassiker des Duos und verfällt pittoresk als Mahnmal der Luxusgüterindustrie.

Auch auf den Fotografien von Gregory Crewdson verbreiten leere Schaufenster eine melancholische Niedergangstimmung, während Beca Lipscombe und Lucy McKenzie als Atelier E.B. ihre Modekreationen nostalgisch in Vitrinen ausstellen, die den Verkaufsflair von gestern nochmal aufleben lassen. Das kunsthistorisch erfreulich fruchtbare Thema ist im Museum Tinguely nicht zufällig gewählt. Tinguely, dessen 100. Geburtstag sich im Mai 2025 nähert, arbeitete zuerst als Schaufenster-Dekorateur für das Warenhaus Globus, das mit dem Lehrling unzufrieden war und den Vertrag auflöste. Den Abschluss bekam er dann bei einem Profi-Dekorateur. Dieser erkannte ihn als Fehlbesetzung und riet zum Besuch der Basler Kunstgewerbeschule.

Maskeraden für den heimlichen Verkauf

Eine Einnahmequelle blieben die Schaufenster noch eine Weile für den Metallskulpteur. Dass er ihnen aber keinen Wert beimaß, zeigt sich daran, dass sich nur Fotografien der Auslagen erhalten haben. Bis auf zwei zum Einsatz gekommene Abstraktionen, die heute als die einzigen zwei erhaltenen Gemälde gelten. Den Weg von der Gestaltung zum Motiv haben die meisten Künstler und Künstlerinnen der zweiten Parcourshälfte mehr oder weniger effektvoll in diversen Medien bestritten. Etwa Martha Rosler, die in Fotografien nüchtern dokumentiert hat, wie aus kleinen Gemischtwaren-Läden Internetcafés für Hipster wurden.

Oder die Video-Künstlerin Martina Morger, die während des Lockdowns den französischen Ausdruck für Schaufensterbummel "Lèche Vitrine" performte und in den geisterhaft leeren Einkaufsstraßen die Glasscheiben ableckte. Eine bemitleidenswerte Flaneurin des 21. Jahrhunderts, die der Trennwand zum Schlaraffenland der Waren und Objekte nur noch ihr verzweifeltes Begehren entgegensetzen konnte. 

Von der Pandemie zur Rezession hat sich das Schaufenstermodell zuletzt nochmals gewandelt, wie R.I.P. Germain mit seinen nachgebauten und stets verschlossenen Scheinfassaden beklagt. Es sind Maskeraden für den heimlichen Verkauf von Waren wie Drogen und Waffen, die noch existieren, wenn alle anderen Waren nicht mehr zu kaufen sind - ein letzter Verkaufsexzess und ein fulminanter Schlusspunkt.