Michelangelo als NFT

Wenn Alte Meister die Museumskasse aufbessern

Die altehrwürdigen Uffizien in Florenz gehören inzwischen zu den Vorreitern für digitale Kunstvermittlung. Nun verkauft das Museum einige seiner berühmtesten Bilder als Krypto-Version

Was wäre ein geeignetes Geschenk zum 60. Geburtstag? Eine 30-jährige Frau aus Rom entschied sich für Michelangelos Gemälde der heiligen Familie, "Doni Tondo", einer der wichtigsten Alten Meister aus den Uffizien in Florenz. Nicht das Original, natürlich, das bleibt wo es ist, und es handelt sich auch um keine skandalträchtige Kopie oder eine heimlich angefertigte Fälschung. Für ihren Ehemann, einen Kunstsammler, erstand die junge Frau die Doni-Tondo-Krypto-Version, für 140.000 Euro. Ein Avatar des Originals quasi, ein NFT, kurz für non-fungible token.

Dabei handelt es sich um ein digitales Asset, ein "öffentlich verifizierbares, intellektuelles Gut, das via Blockchain gesichert ist". Sie sei mit einem Handy in der Hand geboren worden, und so gefalle es ihr auch sehr, die digitale Ausführung des Meisterwerks auf dem Bildschirm zu betrachten, erzählte die Schenkende dem "Corriere della Sera". "Was zählt ist das, was ich in der Arbeit sehe, unabhängig vom Medium. Auf diese Weise kann das Gemälde überall hin transportiert werden, ohne extreme Kosten, ohne die Erlaubnis der Denkmalschutzbehörde, ohne die Angst, dass es beschädigt wird. Und dann die Erhabenheit dieses prächtigen Rahmens, der ein integraler Bestandteil des Gemäldes ist! Dieses Meisterwerk in den eigenen vier Wänden zu haben, ist unvergleichlich."

Die Uffizien in Florenz hatten sich, angetrieben durch enorme Verluste seit Beginn der Corona-Pandemie, dazu entschlossen, einige ihrer teuersten und wichtigsten Kunstwerke als NFTs anfertigen zu lassen und an digitalaffine Liebhaber Alter Meister oder Krypto-Enthusiasten zu verkaufen. Dafür tat sich Italiens bekanntestes Museum mit der italienischen Firma Cinello zusammen, die eine patentierte Methode dazu benutzt, digitale, detailgetreue Nachbildungen von berühmten Kunstwerken anzufertigen, DAWs (Digital Artworks) genannt. Diese behalten die originalen Maße, werden streng limitiert hergestellt und gegen Diebstahl gesichert. Für jede DAW wird ein NFT-Token auf der Blockchain erstellt, der sie als Eigentum verifiziert und jedem gedoppelten Werk, das für die Uffizien produziert wird, liegt dazu ein Authentizitätszertifikat bei, unterschrieben von Museumsdirektor Eike Schmidt.


Doch nicht nur von Schätzen aus den Uffizien wird ein Avatar erstellt. Cinellos Katalog umfasst etwa 100 Alte Meister, von Mantegna über Raffaello, Caravaggio, Tiziano bis zu Canaletto, von denen eine digitale Version kaufbar sein wird. Sie entstehen unter anderem in Zusammenarbeit mit der Gallerie dell’Accademia in Venedig, der Pinacoteca di Brera und der Pinacoteca Ambrosiana in Mailand, der Galleria Nazionale delle Marche in Urbino und den Musei Reali in Turin. "Ein neues Leben für ein Meisterwerk" heißt es auf Cinellos Website, "stell' dir vor, du könntest jedes Meisterwerk der Kunstgeschichte überall auf der Welt betrachten, stell dir vor, du könntest es besitzen, stell dir vor, du könntest dein Lieblingsmuseum unterstützen, in dem du Werke seiner Kollektion erwirbst." All dies sei nun möglich.

Kunst-Puristen, die NFTs vor allem für ein Krypto-Spielzeug für Investoren halten, dürften bei der Aussicht auf Alte Meister als Digitalversion Schnappatmung bekommen. Doch gerade der Aspekt der Unterstützung für Museen ist nicht zu unterschätzen. Die Besucherzahlen der Uffizien etwa gingen im vergangenen Jahr von jährlich 4,4 Millionen auf 1,2 Millionen zurück, da immer wieder strikte Lockdowns das komplette kulturelle Leben Italiens stilllegten und die Touristenmassen ausblieben. Somit schrumpften die Gesamteinnahmen von 34 Millionen Euro im Jahr 2019 auf 8,8 Millionen in 2020.

Seit dem 6. Mai ist das Museum nun wieder geöffnet, am ersten Tag wurden 1516 Besucher gezählt, Prä-Covid waren es 5000 bis 6000 am Tag. Ob die NFTs die Verluste etwas mindern können, bleibt laut Eike Schmidt abzuwarten: “Mittelfristig werden sie einen Beitrag zu den Finanzen eines Museums leisten können, vergleichbar mit den Einnahmen aus der Gastronomie. Es ist kein game changer in Bezug auf die Einnahmequelle, es ist eine zusätzliche Einnahme. Aber einen solchen Markt zu schaffen, ist keine schnelle Sache."

Plötzlich digitaler Pionier

Der Direktor der Uffizien spricht bei der Arbeit mit DAWs nicht von Klonen, sondern von einer "Übersetzung" des Originals in eine Technologie. Zunächst sind es 17 Werke, die die Uffizien zum minten zur Verfügung stellen und dafür 50 Prozent des Verkaufspreises von Cinello erhalten werden. "Diese DAW-Werke sind somit ein 'Teil' der Uffizien. Für jedes Gemälde im Projekt wollen wir neun identische digitale Exemplare anfertigen lassen, die sich nicht vom Original unterscheiden lassen."

Obwohl die Uffizien erst seit 2015 eine eigene Website besitzen und vor dem Pandemie-Beginn noch nicht mal eine Facebook-Seite führten, gehören sie seit dem ersten Lockwdown zu den innovativsten und aktivsten Kunsthäusern, als es darum ging, den Museumsbesuch auf eine digitale Ebene zu überführen. Täglich posteten die Mitarbeiter ein Video auf der neuen Facebook-Seite, in dem sie ein ein Werk vorstellten und erklärten. "Wir haben gesehen, dass die Leute das nutzen. Wir haben einen Zuwachs von 3500 Prozent für diese virtuellen Ausstellungen. Mehr als 3,8 Millionen Besucher haben sich die angeschaut," so berichtete Schmidt über die Nutzung des neuen, digitalen Angebots im Mai 2020.

Genauso wurden auch die Social-Media-Plattformen Instagram und vor allem TikTok bespielt, ein Medium dem Schmidt eine Chance geben wollte, um gerade die ganz junge Zielgruppe zu erreichen. In kurzen Videos zu Hits aus den italienischen Charts wurden auf dem Kanal @uffiziegalleries Alte Meister auf Gen-Z-gerechte Weise eingefangen und inszeniert. In einem Clip nähert man sich etwa den Körperteilen von Botticellis Venus an, in einem anderen fliegt ein animiertes Corona-Virus an Caravaggios Medusa vorbei, und dann wiederum steigt Bronzinos Zwerg Morgante aus seinem Gemälde, um nackt durch den Museumsgarten zu rennen.

"Kunst ist nicht langweilig"

"The Renaissance. Now." heißt es in der TikTok-Bio, dem Kanal folgen mittlerweile über 80.000 User, die alle paar Tage einen neuen Einblick ins vermemte Renaissance-Geschehen erhalten. Auch diese Aktion zog am Anfang die Kritik auf sich, dass die lustige Malerei-Party respektlos gegenüber der Kunst sei, doch inzwischen setzen immer mehr Museen auf verschiedene Ansprache für verschiedene Teile ihres Publikums im Netz. "Jetzt könnte man natürlich wieder sagen, das sei anbiedernd und eine Verzweiflungstat. Oder man kann es als das sehen, was es ist. Kunstvermittlung für ein Publikum, das sonst eher nicht ins Museum geht und so einen ersten Zugang zu Kunst und Kultur findet", schrieb Monopol-Kolumnistin Anika Meier im Juli 2020 über die Uffizien auf TikTok.

In einem Interview mit der "New York Times" sagte Ilde Forgione, die den Account am Anfang betreute: "Vielleicht sieht es etwas schräg aus, aber du musst Menschen einen anderen Blickwinkel anbieten, etwas das sagt 'Kunst ist nicht langweilig. Kunst ist nichts, was du bloß in der Schule lernst. Es ist etwas, das du für dich selber entdecken kannst.'" Alte Meister kennenlernen geht inzwischen im Museum, bei Online-Führungen, auf sämtlichen Plattformen oder auch zuhause, im Avatar Krypto-Format. Die Möglichkeiten werden immer vielfältiger, genauso wie Geschenkideen für vermögende Kunstliebhaberinnen.