Das Publikum bei der Mailänder Fashion Week hatte keine Skrupel. Bei der Laufstegshow des Labels Avavav wurden die Models mit Essensresten und Müll beworfen. Die Zuschauenden waren von der Modemarke ermuntert worden, den Inhalt von präparierten Abfalleimern auf den Laufsteg zu befördern. Sie langten ordentlich zu.
Das Ergebnis waren klebrig braun verschmierte Kleider, auf denen Bananenschalen und Kaffeebecher ihre Spuren hinterlassen hatten. Der Sinn des Ganzen: Den Hass, die die noch junge Modemarke (Avavav existiert seit 2017) im Internet bekommt, verbildlichen. Autsch.
Ähnlich ging es bei der Show der Punk-Ikone Vivienne Westwood vor einigen Tagen bei der Pariser Fashion Week zu. Dort wurde zwar nicht mit Müll geschmissen, aber die Performance, die Andreas Kronthaler rund um die Präsentation seiner Entwürfe inszenierte, war ziemlich trashig. Seit dem Tod Vivienne Westwoods im Jahr 2022 designt Kronthaler allein für die Marke seiner verstorbenen Ehefrau. Für die Präsentation seiner neuesten Entwürfe hüpften und drehten sich drei Männer auf wackligen Baumstümpfen, versohlten einander den Hintern und taten so, als würden sie live vogelartige Laute performen. Das Ganze wirkte wie ein Theaterstück mit zu wenig Budget.
Der beste Moment der Show war der, als endlich die Models den Saal betraten und Kronthalers fantastische Entwürfe präsentierten: Wild geschnittene Kleider, Sam Smith, der in schwindelerregend hohen Absätzen und mit Wanderstock durch die Halle lief, dreieckige Lendenschurze aus Schaumstoff für Frauen und Männer. Mutige, fabelhaft-verrückte Mode.
Wozu also das Trashi-Beiwerk? Müssen Modeschauen heute unbedingt müllig sein, um innovativ zu wirken?
Weg vom Bling Bling, hin zu Schmutz
Die Art und Weise, wie Mode gezeigt wurde, war schon immer maßgebend für die Rezeption. Azzedine Alaïas Shows bei sich zu Hause brachten ihm und seinen Entwürfen beispielsweise den Ruf einer künstlerischen Unkonventionalität ein. Noch heute schwärmen Leute, die damals dabei waren, von dem knarzenden Parkett und den Models, die so nah am Publikum vorbeiliefen, dass die Kleider die Schuhspitzen der Zuschauenden berührten.
Spektakulär ging es auch bei Karl Lagerfeld zu. Der ließ 2007 für seine Fendi-Kollektion einen Teil der chinesischen Mauer sperren und funktionierte das Weltkulturerbe zum Catwalk um. Demna Gvasalia produzierte 2021 für Balenciaga eine Folge mit den Simpsons, in der die Figur Marge in Haute Couture über den Laufsteg lief. Fashion Shows sind seit Jahrzehnten spektakulär und pompös.
Vielleicht braucht die zeitgenössische Modewelt also den Trash, um sich von der strahlenden Geschichte der Fashion-Shows abzugrenzen? Weg vom Bling Bling, hin zu Schmutz, Ekel und einer inszenierten Mittelmäßigkeit? Vielleicht. Zumindest wäre das eine Erklärung, die den Auftritten von Avavav und Westwood einen rebellischen Anschein geben würde. Vielleicht sind die Shows aber auch einfach nur schlecht?
Immerhin haben beide Formate es erreicht, zum Nachdenken anzuregen. Sie stellen Fragen nach der Ästhetik und den Ansprüchen einer performativen Fashion Show. Mit ihnen haben gleich zwei Darbietungen bei wichtigen Mode-Events in Mailand und Paris die elitäre Aura der Branche hinter sich gelassen. Denn bei Avavav und Westwood wird die Performance zu etwas Radikalem, Ekligen und Albernen. Das Performative ist nicht Ornat, sondern Störfaktor.
Damit nähern sich die Fashion-Shows dem Performance-Begriff aus der freien Kunst an. Die berühmtesten Performances sprengen dort jegliche Konventionen und sind alles andere als schön anzusehen. Aber auch da lassen sich gute von weniger guten Positionen unterscheiden. Man könnte sagen: Anders-Sein allein reicht nicht aus für gute Kunst. Reicht Trash also aus für eine gute Fashion-Show?
Ein neuer Ästhetik-Begriff
Die Antwort liefert ein Blick auf andere Labels, die in Paris ihre Mode präsentiert haben. Für Balenciaga liefen die Models auf einem vergleichsweise schlichten Laufsteg, der von einer auf die Wände gedruckten ruhigen Bergkulisse umgeben war. Die Show hatte eine spürbare Ausstrahlung, die vor allem durch den einmaligen Soundtrack – und eben durch die Mode selbst ausgelöst wurde. Sie präsentierte Coolness par excellence, von der man die Augen nicht abwenden kann. Eine gelungene, völlig trash-freie Show.
Vielleicht ist 2024 wirklich das Jahr, in dem sich ein neuer Ästhetik-Begriff in der Mode-Präsentation entwickelt. Vielleicht waren die Shows von Avavav und Westwood aber auch nur bizarre Einzelfälle.