"Ich kam nach Berlin und meine Welt veränderte sich. Ein Teil von mir war auf der Flucht vor New York. Ich sprach kein Deutsch, ich war hier viel isolierter, ich war auf zu vielen Antidepressiva, es wurde immer härter für mich, raus in die Welt zu gehen und zu funktionieren. Ich kam an einen Punkt, an dem ich nicht mehr arbeiten konnte. Ich konnte einfach nichts mehr machen." Tony Just sitzt an dem schweren Holztisch in seinem Berliner Studio. "Das war das Ende." Pause. Lachen. Ein Strahlen huscht über sein Gesicht. Man sieht ihm die Erleichterung an, dass er davongekommen ist. Dann sagt er mit seiner sanften, immer etwas wackeligen Stimme, von der man nicht weiß, ob sie im nächsten Moment in ein Lachen oder Weinen umkippen könnte: "Das war der Moment, in dem ich wusste, dass ich etwas ändern muss."
Ich muss schlucken. Natürlich kenne auch ich diesen Punkt im Leben, an dem man nicht mehr weiterkann, aufgeben muss. Gemeinsam mit Just und dem Kurator Tenzing Barshee starre ich auf diese Szene auf dem Notebook vor uns. Sie wurde bereits vor Tagen aufgenommen. Wir sitzen im Besprechungsraum der Efremidis Gallery, an einem riesigen Konferenztisch. Am nächsten Tag wird Justs Ausstellung "Our inchoate love" eröffnet. Barshee muss wieder raus in die riesige, lichtdurchflutete Ausstellungshalle der Galerie im ehemaligen IBM-Gebäude am Ernst-Reuter-Platz. Draußen werden noch die letzten Feinarbeiten erledigt. Die Tür fällt zu. Da ist es wieder. Man kann dieses Ausweichen von Just fast körperlich spüren, wenn man ihn nach seiner New Yorker Vergangenheit, dem Frühwerk, nach den persönlichen Erfahrungen fragt, die seine abstrakten Bilder hervorgebracht haben. Schon nach 20 Minuten komme ich mir vor wie ein Pferdeflüsterer, der kläglich versagt.
Alkoholisches Zelebrieren der Einsamkeit
Das da auf dem Tisch vor uns ist ein perfekt gemachtes Image-Video, das der Kurator netterweise vor uns hingestellt hat, nachdem er mitbekam, wie mühsam ich Just jedes Häppchen von Information aus der Nase ziehen musste. Solche Filme kannte man lange Zeit nur von Museen wie der Londoner Tate. Jetzt, in Zeiten von Corona, nach den ersten Lockdowns, wird es zu einer ganz selbstverständlichen Erscheinung der Mode- und Kunstindustrie. So wie Designer ihre Kollektionen in kurzen, aber aufwendigen Filmen den Kunden vorstellen, die nicht kommen können, tun es jetzt auch die Galerien. Und im Falle von Efremidis klappt das erstaunlich professionell. Unterlegt mit Musik, unterbrochen von Farbwirbeln in einem Wasserglas erzählt Just von Abhängigkeit, Neuanfang, Trauer und der Heilung durch Kunst.
Der Weg zu den heutigen Gemälden begann vor etwa acht Jahren. Es seien immer das Zeichnen und Bücher gewesen, die ihm geholfen hätten, zur Ruhe zu kommen, sagt Just im Video: "Das erste Buch, das ich als Teil einer Serie anfertigte, war von Hans Falladas 'Der Trinker' inspiriert. Und ich wollte das Buch ganz buchstäblich in Bilder verwandeln. Also goss ich Rotwein über ein aufrechtstehendes Buch mit leeren Seiten und guckte mir die Formen an, die da entstanden, manche waren völlig abstrakt, andere glichen Figuren. Und die zerlaufenden Tropfen ließen an Weinen denken."
"Na, ob da nicht schon mal vorher eine Flasche Rotwein im Rausch über ein Buch gelaufen ist?", denke ich und stelle mir einen Menschen in einem dunklen Raum vor, in endlosen Loops immer wieder die gleichen Stücke hörend, wahrscheinlich Nick Cave oder Nick Drake, ketterauchend, immer weiter trinkend. Das alkoholische Zelebrieren der Einsamkeit und Isolation kam bei mir eher selten, aber in unerbittlicher Regelmäßigkeit vor. Diese poetischen Leidensfeste der Selbstzerstörung hatten für mich in der Rückschau immer etwas fast Pubertäres, den Geschmack von Gothic, Soul, Blues, von Baudelaires "Blumen des Bösen", der dandyhaften Dekadenz des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Manchmal enden sie tödlich, meistens schamvoll. Ein Vorhang wird zurückgezogen, das Sonnenlicht fällt gnadenlos auf den Dreck und die Selbstüberschätzung, die künstlich am Leben erhaltene Dramatik, die nur grenzenlose, banale Leere überdecken soll.
Purpurne Tränen, schwarz zerlaufener Eyeliner
Interessanterweise ist auch Falladas 1950 posthum erschienener Roman ein Dokument der Scham. Er entstand 1944 nach dem Totschlagversuch an seiner Frau im Gefängnis und verarbeitet seine eigenen Erfahrungen mit dem Alkoholismus. Fallada, der drei Jahre später an seiner Morphiumsucht stirbt, verfasste das sogenannte "Trinkermanuskript" in einer Art Geheimschrift, unleserlich, eng beschrieben, auf den Kopf gestellt, die Sätze winden sich zwischen den Zeilen weiter.
Diese Dichte, das Hermetische, die Aura von Alchemie und Geheimschrift besitzen auch Justs frühe Schütt- und Gießbücher, über die er Tinte und Wasserfarbe laufen lässt. Die Muster, die entstehen, erinnern an die Bilder von Rorschach-Tests, in denen man Schmetterlinge, mystische Wesen, Menschen erkennen kann. Just experimentiert weiter, mit malerischen Gesten, Zeichnung, Linien, mit denen er die Formen umrandet und hervorhebt. Er arbeitet mit gefundenen Bildern aus Kunstbüchern oder ganzen Bänden, wie "Spiritalis unicornis", einem Band, der sich mit dem Einhorn in der Literatur und Kunst des Mittelalters beschäftigt und dessen Verfasser komischerweise auch noch Jürgen W. Einhorn heißt.
Im Film sieht man Just wegen seines Tremors etwas wackelig Farben anrühren. Wässrig laufen sie aus der Pipette, rinnen wie orangene, schwefelgelbe, purpurne Tränen, schwarz zerlaufener Eyeliner über Bilder von mittelalterlichen Dämonen und gotischen Wasserspeiern. Der Künstler, das will die Dokumentation unmissverständlich klarmachen, ist eine Art moderner Schamane oder Alchimist.
Inszeniert und camp
Just erklärt in die Kamera, wie er vor einem Jahr damit begonnen habe, die Umrisse der verlaufenden Rorschach-Formen aus den Büchern auf Leinwände oder als Wandgemälde zu übertragen und zu vergrößern. "Ich benutzte eine Form, die für mich wie ein Trauernder aussah, eine Figur, die in einer Art zeremoniellem Prozess trauerte. Ich wollte auch mehr Zufall zulassen, nicht mehr so sicher sein, was ich da mache." Um die Gemälde zu machen, erklärt er in die Kamera, habe er einen Stock gebraucht, an den er seinen Stift befestigen konnte: "Der Stock wurde mir von einem Baum geschenkt, den ich darum bat." Man sieht Just mit geschlossenen Augen an einer Eiche lehnen, dann seine Hände mit einem Gandalf-Stock. Er muss im Film selbst grinsen: "I squeeezzed the tree and said thank you."
Ich sitze am Konferenztisch und fange auch an zu lachen. Nicht, weil das mit dem Baum dramaturgisch nicht stimmt oder man das Gefühl hat, dass er nicht daran glaubt. Ich muss lachen, weil das alles so inszeniert und camp ist. Weil ich selbst ab und zu an einem Kultstein hinter meinem Haus zu Kate Bush bete, meine Wicca-Rituale habe und genauso Stöcke oder andere Sachen in der Natur finde. Weil ich das als schwuler Mann genau kenne, diesen ganz schmalen Grat zwischen Komik und Spiritualität, dem "So-tun-als-ob" und dem wirklichen Glauben.
Das Lustige ist auch, dass Just in diesem Moment rüberkommt wie eine Mischung aus Mother Suspiria und Michelle Obama in "Becoming". Man spürt schlagartig, wie dekorativ der Film inszeniert ist, die verrinnende Farbe, die Blumenvase mit den Disteln auf dem Schreibtisch, die kosmischen Farbwirbel im Wasserglas. Und nun also der erdende Baum. Da wird nichts ausgelassen. Man ahnt, dass da jemand gefilmt wird, der nicht nur Bilder malt, sondern sein Leben lang Symbole, Gesten, mediale und kunstgeschichtliche Bilder studiert hat, der als Profi auch weiß, wie man ein Bild von sich als Künstler erzeugt.
"Ich muss diese Formen vom Schmerz befreien"
Doch gerade, als ich dieses hastige Urteil fälle, passiert auf dem Bildschirm etwas Unglaubliches. Just erzählt, dass er bei seinen drip images nicht nur an das Weinen gedacht habe, sondern buchstäblich weinen musste: "Das war so, als würde ich etwas aus mir herausholen und außerhalb meiner selbst wirken lassen. Das half. Ich begann, diesen schmerzhaften Prozess zu zeichnen und zu akzeptieren, dass ich an genau dieser Stelle in meinem Leben war. Und genau da konnte ich langsam anfangen, zu heilen und zu hören, was mir Leute sagten, die versuchten, mir zu helfen." Just ringt um Fassung, holt tief Luft. "In dieser Zeit entdeckte ich in den Büchern all dieses Zeug, das zwischen dem Weinen liegt. All diese Formen. Da liegt ein ganzes Leben dazwischen." Jetzt stehen ihm die Tränen in den Augen, während er gleichzeitig lachen muss, weil es einfach wahr ist. "Weißt du, ich sah das und dachte: 'Ich muss diese Formen vom Schmerz befreien.'"
Dieser Moment hat etwas absolut Verletzliches, Anrührendes, Mutiges. Man kann im Konferenzraum der Galerie eine Stecknadel fallen hören. Ich habe noch nie in irgendeinem Künstlerporträt gesehen, dass jemand emotional so weit gegangen ist. Just zeigt in diesem kleinen Augenblick etwas völlig Ungefiltertes, Zartes von sich. Er überschreitet eine Grenze, weil er in diesem Moment nicht souverän als Künstler spricht, sondern als Genesender, der von seiner Heilung überwältigt ist. In diesem Moment lässt er uns spüren, wie das ist, wenn der Vorhang zurückgezogen wird – was das für eine atemberaubende, komische, furchteinflößende Freiheit ist, die dieses Erwachen mit sich bringt.
Geist der New Yorker Malerei der Nullerjahre
Das Fantastische ist, dass Justs Malerei dieses künstlerische und spirituelle Erwachen genauso ambivalent vermittelt wie der Künstler selbst. Sie ist unverstellt, wahrhaftig, elementar – nicht nur auf einer emotionalen, sondern auch auf einer formalen, rein malerischen Ebene. Zugleich ist sie "re-enacted", also nachinszeniert, konzeptionell, gelegentlich ganz schön glamourös – ein Konstrukt, in dem der Geist der New Yorker Malerei der Nullerjahre nachhallt. In der spielte Just damals eine nicht so marginale Rolle. Seine aktuelle Malerei gehört zu dem Aufregendsten, was ich seit Langem gesehen habe. Aber bestimmt nicht, weil sie die Geschichte eines schamanischen Künstlers erzählt, der durch die Kunst zu sich selbst findet und dann als geheilt entlassen wird.
In dem in den frühen Sixties erbauten IBM-Gebäude lassen die klassisch, fast weihevoll gehängten Gemälde an die Avantgarden der Nachkriegszeit denken – an Abstrakten Expressionismus, Tachismus, Zero. Da ist der Geschmack von Clyfford Still oder Otto Piene, von dieser Erforschung des Unbewussten. Da ist das Gefühl eines Trips in das Innere der männlichen, vom Krieg traumatisierten Seele, den die Künstlerheroen nach dem Zweiten Weltkrieg antraten. Zugleich hat die Ausstellung eine total weibliche, kultische, druidische Aura, so hell wie die schwedische Landschaft in Ari Asters Horrorfilm "Midsommar". Auf den ersten Blick wirken Justs Bilder beinahe schockierend einfach, fast unfertig – wie eine Initiation. Nicht die "Letzten Bilder", die tiefschwarzen Gemälde, mit denen Ad Reinhardt in den 1950er-Jahren "das Ende der Malerei" verkündete, sollen hier entstehen. Die rudimentären, an Körper erinnernden Formen, die Just, wie auf dem silbern glänzenden "My darling one" (2020) oder "O for Adonis" (2020), ohne Pinsel, mit bloßen Händen aufträgt, lassen eher an die "Ersten Bilder" denken.
Eingänge zu einer anderen Welt
Da ist jemand, der die Malerei gerade erfährt, anfängt, sie im wahrsten Sinne zu begreifen und mit ihr in eine neue, magische, fast romantische Beziehung zu treten. Wie es der Titel "Our inchoate love" andeutet, geht es um eine beginnende, unfertige, im Entstehen begriffene Liebe. Das auf einer zartgelb leuchtenden Wandmalerei platzierte Sonnenbild "Aphrodite giver of blessings" (2020) wirkt wie ein vorzeitlicher Hochzeitsaltar. Justs monochrome, in Gelb, Violett oder Pink gehaltenen drip images haben organische Strukturen wie Äste, Adern. Sie könnten Eingänge zu einer anderen Welt sein, magische Portale.
Um diesen Eindruck noch zu verstärken, hat Tenzing Barshee, der die Schau mit Just zusammenstellte, noch zwei Bilder des rumänischen Künstlers und Visionärs Alexandru Chira (1947- 2011) von der Kölner Galerie Delmes & Zander ausgeliehen, die sich auf sogenannte "Outsider Art" spezialisiert. In einem kleinen Dorf in Transsylvanien geboren, entwickelte Chira als junger Künstler ein aufwändiges System von Kunstobjekten und symbolischen Bildern, um den Boden zu verbessern und wegen der anhaltenden Dürre den Regen zu beschwören. In Korrespondenz mit Justs Wandmalereien, für die er auch die japanische Heilmethode Reiki nutzt, hängen nun im Fenster der Galerie zwei Bilder Chiras, die erstaunlich dekorativ aussehen.
"Chiras Praxis orientierte sich dabei an bestimmten Vorstellungen von schamanischen Prinzipien, aber auf ziemlich verrückte Weise", erklärt Barshee, "denn er versuchte, mit seiner Kunst tatsächlich das Wetter zu kontrollieren. Er wollte mit seiner Arbeit die Erde heilen. Das ist im Hinblick auf Tonys Werk interessant, in dem Heilung heute ebenfalls ein ganz zentrales Thema ist. Wenn man Chiras Vorstellung von spiritueller Kontrolle anschaut, verhält es sich bei Tony eigentlich genau umgekehrt. Für ihn war es eine aufregende Erfahrung, mit all diesen unterschiedlichen Möglichkeiten zu experimentieren, um seine Bücher und Gemälde zu machen – und dabei eben viel weniger Kontrolle darüber zu haben, was da für ein Bild entsteht. Er erkannte dadurch, wie befreiend es sein kann, die Kontrolle aufzugeben."
Das gilt allerdings nicht für den Umgang mit Justs Biografie und seiner Vergangenheit. Tatsächlich möchte der 1969 auf einer Militärbasis in Maryland geborene Künstler nicht wirklich konkret über die emotionalen und seelischen Ursachen seines Schmerzes sprechen. Weder über seine Kindheit, noch über seine Zeit in der New Yorker Kunstszene in den 2000ern. Just, der ziemlich bald nach dem Abschluss an der Kunstschule in Chicago Ausstellungen bei der renommierten New Yorker Galerie Gavin Brown hatte, begann damals auch eine Liebesbeziehung mit Elizabeth Peyton, die wie er Beziehungen zu Männern und Frauen hatte.
Peyton ist zu Beginn der 2000er-Jahre ein It-Girl. Sie prägt den Begriff der aktuellen Malerei international mit und verbindet sie auf völlig neue Weise mit den Medienbildern und Mythen der Celebrity-Kultur. Peyton porträtiert Popstars, Literaten, Politiker, Künstler aus unterschiedlichen Zeiten oder Menschen, die ihr nahestehen und die sie bewundert, wie einen aristokratischen, dandyhaften Zirkel aus dem Fin de Siècle. Zu der Idee dieses nicht-hierarchischen Hofstaates gehört auch die androgyne Darstellung der Porträtierten, die sich auf den kleinen, unglaublich fragilen Gemälden nicht nur ihrer Zeit oder ihrer Klasse , sondern auch jeder eindeutigen sexuellen Zuordnung entziehen. Auch Just taucht auf vielen ihrer Gemälde auf, als eine Art Poète maudit, mit blutrotem Mund und zerzausten Haaren.
In der Feinheit ihrer Malerei, den kleinen Formaten, dem zarten Duktus bezieht Peyton ganz bewusst Gegenposition zu machtvollen malerischen Gesten und männlichem Geniekult. Sie erschafft dabei eine moderne Version von Oscar Wildes und Marcel Prousts Empfindsamkeit und Dekadenz, die ganz den Nerv der Debatten um Gender und Identität trifft – und den betont elitären Anspruch der institutionskritischen queeren Szene, die mit Galerien wie Buchholz, Neu oder Reena Spaulings in dieser Zeit auch kommerziell erfolgreich wird.
Medialisierung der Wirklichkeit
Peyton selbst gehört dabei immer mehr in die Proustsche Welt der Guermantes, zu der kulturellen Elite, die sie auch porträtiert. In den beginnenden 2000ern gewinnt das Internet auch in der Kunst immer mehr an Bedeutung. Just wächst als Künstler wahrscheinlich nicht nur in einem unglaublichen Power-Netzwerk der Gegenwartskunst heran, sondern auch in einer Szene, in der es um die Medialisierung der Wirklichkeit geht, um Bilder über Bilder über Bilder.
"In New York dokumentierte ich im Grunde meine Welt", sagt er rückblickend. "Meine Malerei kam von Bildern, die ich fand, von Postern auf der Straße, von Fotos, die ich selbst aufnahm, Fotos von Freunden, Graffiti. In diesen Arbeiten ging es sehr um die äußere Welt. Meine Arbeit heute fokussiert sich viel mehr auf die innere, emotionale Erfahrung." Über seine emotionalen Erfahrungen von damals spricht er nicht. Auch nicht über die Hintergründe der Trennung von Peyton. Das Einzige, was aus ihm raus zu quetschen ist, ist, dass sie ihn als Mensch und Künstlerin inspiriert hat und das noch immer tut. Ich komme mir vor, als ob ich für die "Bunte" arbeite. Ich kann verstehen, dass er nicht als Elizabeth Peytons Ex in die Kunstgeschichte eingehen will, sage ich. "Ach, das würde mir nichts ausmachen", entgegnet er. "Was mir etwas ausmacht, ist diese Geschichte zu nutzen, um jetzt für meine Arbeit mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, obwohl das 15 Jahre her ist."
Ein echter Offizier und Gentleman, denke ich und versuche etwas anderes: Wie sollen die Leute diese Bilder denn verstehen, wenn sie nicht wissen, was die Ursache des Schmerzes ist, der da verarbeitet wird? "Ich glaube, die Leute verstehen den inneren Schmerz, den meine Bilder ansprechen, auch ohne meine Geschichte zu kennen", antwortet Just. "Jeder hat seine eigenen Erfahrungen mit emotionalem Schmerz. Ich kann mit dir eine allgemeine Version teilen und dann könntest du mir bestimmte Aspekte deiner Geschichte erzählen. Das ist eigentlich der Heilungsprozess, dazu fähig zu sein, seine Geschichten miteinander zu teilen, aber aus einer Position der Sicherheit und des Mitgefühls."
Innere Erfahrungen werden abstrakt gemacht
Ich muss an eine Interviewpassage aus der Pressemappe der Galerie denken, in der Just vom Kurator gefragt wird, ob es eine Verbindung zwischen der Malerei und seinem Körper gibt. "Ich finde es schwierig, bewusst auf meinen Körper zu achten", sagt er da. "Das wurde mir nicht beigebracht. Mir meines Körpers bewusst zu werden, war eine Art abstraktes Konzept für mich. Mir wurde klar, dass er auch ein Ort des Traumas ist. Seitdem ich das verstanden habe, versuche ich, ihn zu heilen." Man kann an dieser Stelle die psychische und physische Gewalt nur erahnen, die er erlebt hat.
Ich liebe das mit der generellen Version. Denn so kann man auch Justs heutige Malerei sehen, als eine Membran, die das Anekdotische, die Storyline, die wir uns selbst wieder und wieder erzählen, herausfiltert und die innere Erfahrung abstrakt macht, wie eine Essenz. Da sind all die Bücher und Bilder, die er symbolisch und tatsächlich vollgeweint hat. Da ist dieser dunkle, eher männliche, feste Klumpen, das Fallada-Trinker-Buch, die Dämonen, Heiligen und Schmerzensfiguren, über die Farbe rinnt. Eine Art Generator, ein Block, aus dem dann diese hellen, zarten, fast mütterlichen Gemälde entstehen, auf denen die abstrakten Formen von all den Symbolen, Bildern und Metaphern des Leids völlig losgelöst sind. "Ich fühle wirklich, dass diese Ausstellung von Freude durchströmt ist", sagt Just. "Ich habe mich von einigen dieser dunklen emotionalen Aspekte wegbewegt und bin nun an einem Punkt angelangt, an dem die Arbeit eine andere Bedeutung bekommt."
Diese Bewegung ist auch eine Bewegung weg vom Pathos, der in der männerdominierten Malerei mit der Suche nach innerer Erfahrung, Transzendenz, dem Dionysischen einhergeht. Denkt man an die Abstrakten Expressionisten, an Rothko oder Pollock, an die deutschen Malerfürsten Baselitz, Lüpertz oder Kiefer, ist diese Erfahrung eine maskuline, lyrische, gewaltige, aber absolut bitterernste Angelegenheit.
Natürlich gibt es mit Martin Kippenberger oder US-Malerinnen wie Laura Owens, Amy Sillman oder Charline von Heyl eine starke Gegenfraktion zu dieser "Make Painting Great Again"-Haltung, und eigentlich würde man auch von Just da Kritik erwarten. Doch als ich meine Litanei über die Heteronormativität von Baselitz und Co ablasse, entgegnet er, dass Anselm Kiefer für ihn schon früh unglaublich wichtig war. "Er zeigte Gefühle. Er teilte Gefühle. Er war der Erste, von dem ich das lernte. Ich erinnere mich noch an seine erste große Wanderausstellung in den USA in den späten 1980ern. Das war kurz bevor ich mit dem Kunststudium anfing. Kiefer machte all diese riesigen, fantastischen Bücher. Er brachte die Literatur in seine Malerei."
Nur wenige Schwule haben sich wie Just in dieses mythische Männer-Maler Reich gewagt und Dionysos durch eine dionysische Ur-Frau, die Große Weiße Göttin und eine Schar von Hexen ersetzt. Die Energie, die seine Ausstellung verströmt, ist nährend, mütterlich. Aber da ist noch eine andere Kraft.
Hexen, die bei der Arbeit zuflüstern
Man sollte sich vor dieser Polarität hüten, dass Justs Malerei sich von "männlicher" dionysischer Zerstörung und Rage abwendet und "weiblicher" Heilung und Demeter-Nachhaltigkeit zuwendet. So schreibt die Kunsthistorikerin Camille Paglia in ihrem Buch "Die Masken der Sexualität": "Die weiblichen Fruchtbarkeitsreligionen sind immer zweischneidig. Die indische Naturgöttin Kali ist Schöpferin und Zerstörerin, die mit den Armen auf der einen Seite Segnungen verteilt und mit der anderen Seite Kehlen durchschlitzt. Sie ist die mit Schädeln behängte Lady. Die moralische Ambivalenz der großen Muttergottheiten wurde bequemerweise von den amerikanischen Feministinnen vergessen, die sie wieder auferstehen haben lassen. Wir können nicht nach der nackten Klinge der Natur greifen, ohne unser eigenes Blut zu vergießen."
Tony Just hat nach der Klinge gegriffen, sein Blut vergossen. Das merkt man seinen Bildern an. Aber er hat es nicht allein getan. Eines seiner Schlüsselwerke trägt den Titel "Listening to witches" (2020). Die Hexen, die ihm bei seiner Arbeit und seiner Heilung zugeflüstert haben, sind natürlich nicht nur magische Hexen, sondern auch die Diskurshexen aus der Kunstwelt, mit denen Just seit Jahrzehnten verbunden ist.
Der Griff zur Klinge geschieht in seiner Malerei mit dem Wissen um den queeren, campen Kanon der Kunstgeschichte, mit dem Sinn für Kindlichkeit, Komik, Dekoration. Da ist eine ornamentale, präraphaelitische Hysterie, der Manierismus von Ferdinand Hodler, der die Gliedmaßen von rachitischen Jünglingen und Jungfrauen wie Äste ausdehnte. Da ist ein Gefühl von Drag in dieser Ausstellung, die so unglaublich modernistisch-schön und transzendent rüberkommt, als sei sie das Setting für einen Film, der in einer Ausstellung spielt. Justs Bilder, die heimlich mit der Malerei seiner Zeitgenossen korrespondieren, sind magisch und zugleich knallhart reduziert auf Material, Farbe und Form. Das ist das Wunder, das diese Gemälde vollbringen, dass sie verkleidet, wie Zitate oder Inszenierungen erscheinen und zugleich nackt und bloß vor uns liegen, wie Seelen im Sonnenlicht.