Im Mai 2021 verabschiedete der Bundestag den Beschluss, Clubs als Kulturgut anzuerkennen, sofern sie einen entsprechenden Bezug nachweisen können. Die bisher rechtlich unter "Vergnügungsstätten" geführten Häuser entsprechen somit nun baurechtlich Einrichtungen wie Theatern und Opern. "Die Subkultur der elektronischen Tanz- und Clubkultur begegnet unter anderem der Homophobie und trägt zur Förderung und Stärkung einer offenen und aufgeklärten Gesellschaft bei. Elektronische Tanz- und Clubkultur war und ist ihrer Zeit voraus", heißt es im Antrag der FDP. Die gesetzliche Verankerung gibt Betreibenden dieser Orte nicht nur mehr Standortsicherheit in Zeiten des fortschreitenden Clubsterbens, sondern legitimiert auch rechtlich die Notwendigkeit der Szene für eine pluralistische Gesellschaft.
Doch es ist nicht zuletzt der Pandemie geschuldet, dass gegenwärtig ein Wandel in der Rolle von Clubs zu beobachten ist. Ausstellungsstätten und Tanzlocations ereilte in Folge der Corona-Maßnahmen das geteilte Schicksal der "Systemunrelevanz" und der monatelangen Schließung, was zu genreübergreifender Solidarität führte. Während Museen und Galerien zwischenzeitlich immer mal wieder ihre Türen öffnen durften, waren die Innenräume von Clubs seit März 2020 durchgängig geschlossen. Seit Anfang Juli dürfen sie bei "Inzidenzstufe 0" (Inzidenzwert fünf Tage unter 10) unter bestimmten Auflagen nun wieder Indoor-Veranstaltungen ausrichten.
Kunst und Musik führen schon lange eine enge Beziehung. 2015 bekam die Pop-Ikone Björk im New Yorker MoMA eine Retrospektive. Im C/O Berlin drängelte sich 2019 das Publikum in der Ausstellung "No Photos on the Dancefloor" so dicht wie auf einer gut besuchten Party, und die feministische Musikerin Peaches verwandelte im selben Jahr den Hamburger Kunstverein in ein Gesamtkunstwerk. Der Club war also schon regelmäßiger Gast im Museum, und Künstlerinnen und Künstler gestalten die Clubkultur aktiv mit.
Die Grenzen sind längst verschwommen
Darüber hinaus liegt beiden kulturellen Einrichtungen das Kuratieren als essenzielle Praxis zugrunde, beide haben ihre gate keeper, beide verstehen sich als weltoffen, funktionieren aber dennoch nach bestimmten Regeln und Codes, sodass nur bestimmte Menschen Zutritt haben und die Orte auch wirklich als safer spaces wahrnehmen. So sind im Großstadt-Lifestyle die Grenzen längst verschwommen, und die Sphären definieren sich gegenseitig. Auf Partys stehen Galeristen ganz oben auf der Gästeliste, Türsteherinnen werden zu Künstlerinnen, und die ein oder andere Vernissage ist Pflichtveranstaltung für Technokids.
In Zeiten der Krise sind die beiden Welten noch einmal enger zusammen gerückt. So werden die coronabedingt leerstehenden Tanzflächen zunehmend von der Kunst bevölkert: Reihenweise sprießen Ausstellungen aus dem Boden, die sich vorrangig mit dem Clubraum selbst auseinandersetzen, ihn als physischen, sozialen und politischen Ort weiterdenken und erfahrbar machen.
Nach der medial gefeierten Ausstellung "Studio Berlin" im Berliner Berghain, die in Kooperation mit der Boros Foundation entstand, folgten Projekte wie die Satellitenausstellung "Can't Get You Out of My Head" des Hartware Medienkunstverein (HMKV) in Dortmund, die sich in sieben Clubs der Stadt einquartiert hat. Auch in Frankfurt konnten sich Anfang Juli Besucherinnen und Besucher beim von der Schirn initiierten Projekt "Distant Bodies, Dancing Eyes" ein Wochenende lang in Videoarbeiten verlieren - präsentiert in Frankfurter und Offenbacher Clubs wie dem Gibson und dem Robert Johnson.
Orte der Berührung werden zu Orten der Unberührbarkeit
Jetzt zieht auch das Leipziger Institut für Zukunft (IfZ) nach, das in Kooperation mit Studierenden der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) gleich zwei aufeinanderfolgende Ausstellungen – "Dosis I" und "Dosis II" – realisiert. "Das IfZ ist mehr als nur Party und Techno. Es funktioniert vor allem als sozialer und politischer Raum – als Raum für Streit und Diskussionen. Es ist ein Mikrokosmos, den wir immer weiter entwickeln wollen", sagt IfZ-Bookerin Neele, die lieber ohne Nachnamen zitiert werden will.
Orte, an denen sich Menschen so nah waren wie kaum irgendwo anders, wo dicht aneinandergedrängt gefeiert und die Probleme eher weggeschoben als reflektiert wurden, wandeln sich zu einem selbstkritischen Ausstellungsraum mit Mindestabstand und Personen-Obergrenze pro Quadratmeter. Orte der Berührung werden zu Orten der Unberührbarkeit.
Zwar schmückten schon vereinzelt Kunstwerke die Wände von Party-Locations, siehe etwa Norbert Biskys Gemälde im Eingangsbereich des Berghains, doch stellt die Konzeption einer kompletten Ausstellung Kuratorinnen und Kuratoren vor neue Herausforderungen: "Es ist schwer, Werke so zu präsentieren, dass sie nicht einfach irgendwo hergeholt und abgestellt wirken", sagt Stephen Stahn, Kurator der "Dosis" in Leipzig. "Ein Club ist kein White Cube, kein neutraler Raum. Viele Räume werden auf einer gewöhnlichen Party gar nicht wahrgenommen, die jetzt von uns bespielt werden konnten. So bekommt man in der Auseinandersetzung mit dem Raum ein anderes Bild als das, was man durch die Party erfahren hat." Bei der "Dosis" werden Abstellräume zu Rauminstallationen, wie in Andrej Vitaljewitsch Brokowskis Installation "La Salle de Hyhiene". Der Leipziger Künstler David Schnell macht vollgetaggte Wände für sein Werk "Putzlichtung" zur Leinwand, und das Publikum erhält beim Gang durch die Ausstellung Einblick hinter die Kulissen des laufenden Biergartenbetriebs.
"Die Menschen sollen den Moment bewahren"
Sowohl im Berghain als auch im IfZ führen Pfeile die Besuchenden durch die Ausstellung. One way. Dennoch ist der Raum so verwinkelt und voller Sackgassen, dass einen das Gefühl beschleicht, etwas zu verpassen. Am Ende ist man unsicher, ob man überhaupt alle Kunst gefunden hat. Die unvorhersehbaren Ecken vermitteln die abenteuerliche Wirkung eines Labyrinthes, in dem Besucherinnen und Besucher auf Entdeckungsreise gehen. Dieser Eindruck erinnert an den taumelnden Zustand einer Clubnacht, in der man zuweilen desorientiert den Raum erkundet. Genau diese Assoziationen wollte das kuratorische Team der "Dosis" erhalten. "In meinen Bereich, das Booking, gehörte sonst das Kuratieren von Clubnächten. In diesem Sinne habe ich weitergedacht", sagt Neele. Auch die bestehende "No Photo Policy" des Clubs wird als Ausstellungsraum beibehalten. "Die Menschen sollen den Moment bewahren", so Neele weiter.
Genauso wie einst Besucherinnen und Besucher an der Tür abgewiesen wurden, schließt der Club aufgrund seiner Gegebenheiten bestimmte Kunstwerke kategorisch aus. So konnten Einsendungen vom Open Call im IfZ nicht angenommen werden, da der Raum für die Präsentation zu feucht ist. "Keiner dieser Räume ist dafür gemacht Kunst zu zeigen", so Stephen Stahn. "Oft passen die Stromkreisläufe nicht, oder die Beleuchtung der Kunstwerke ist nicht optimal. Es war alles ein großes Experiment und eine technische und logistische Meisterleitung - und ist es immer noch."
In vielerlei Hinsicht wird sowohl im Berghain auch in der IfZ-Ausstellung das Gebäude selbst zum Werk. Clubs die als safer spaces dienen wollen, arbeiten zwangsweise exklusiv. So eilt sowohl dem Berghain als auch dem kleineren IfZ, ob gewollt oder nicht, ein mythischer Ruf voraus, von dem sich Touristinnen und Touristen selbst überzeugen wollen. Mit gebuchten Zeitfensterticket geht das nun mal einfacher, als wenn man zwei Stunden nervös in der Clubschlange steht, bis man am Ende doch abgewiesen wird. Doch auch regelmäßige Partygängerinnen und -gänger tendieren beim Ausstellungsbesuch dazu, nostalgisch in Erinnerungen zu schwelgen, nachdem der Ort gut eineinhalb Jahre verschlossen war. Daher geraten die Werke in den unkonventionellen Räumlichkeiten stellenweise in den Hintergrund.
Ein coronakonformes Wiedersehen mit dem Publikum
Durch die angestaute Sehnsucht nach kollektiver Ekstase und Momenten des Loslassens in den einstigen Partyräumen funktionieren die Ausstellungen trotz ihrer technischen und kuratorischen Herausforderungen erstaunlich gut. Sie reflektieren durchdacht die Möglichkeiten und Facetten des Clubraums und sind ein interessantes, coronakonformes Wiedersehen mit dem Publikum.
Doch ob das Konzept längerfristig weitergeführt werden kann, ist fraglich. Wenn der Clubbesuch wieder zur Gewohnheit wird und uns das kribbelige Gefühl im Bauch von der ersten durchtanzten Nacht seit Jahren verlassen hat, sind die Club-Ausstellungen eher ein schlecht beleuchteter Keller mit merkwürdig positionierten Exponaten als ein den Werken verpflichteter Ausstellungsraum. Thematisch von der Umgebung unabhängige Kunst zu präsentieren, ist ein Balanceakt. So leben die aktuellen Projekte von ihrer Neuartigkeit, subkulturellen Implikationen und eben leider auch von der pandemischen Lage.
Doch vielleicht überraschen uns die Veranstalterinnen und Veranstalter ja auch mit neuen experimentellen Ideen. Das IfZ-Team fokussiert bereits die nächste Herausforderung, eine Ausstellung in den laufenden Clubbetrieb zu integrieren. Doch bis dahin steht erst einmal der zweite Teil der "Dosis" an. Und in Folge der wieder steigenden Inzidenzwerte womöglich weitere Ausstellungen in geschlossenen Clubs.