Ausstellung im Tacheles

Die klebrigen Fäden der Gentrifizierung

Im ehemals besetzten Kunsthaus Tacheles in Berlin findet zurzeit eine feministische Ausstellung statt. Die zeigt sehenswerte Arbeiten, muss sich aber die Frage gefallen lassen, ob sie nicht eins der größten Gentrifizierungsprojekte der Stadt schmückt 

In der Bar des Berliner Kunsthauses Tacheles war es nicht ungewöhnlich, dass einem irgendwas Undefiniertes von der maroden Decke in den Drink tropfte. Auf der Tanzfläche einer guten Party tropft es sowieso. Und jetzt tropft es wieder im ehemaligen Herz der Berliner Subkultur, das gerade umgebaut und unter anderem von den Allzweck-Stararchitekten Herzog und de Meuron in ein neues Exklusivviertel zum Shoppen, Wohnen und Arbeiten eingefügt wird.

Im provisorischen Holztunnel-Eingang zum einst besetzten Kunsthaus hängen Plastikbeutel mit knallbuntem Inhalt von der Decke. Aus einigen suppt eine schleimige Substanz, zieht Fäden (die ziemlich hartnäckig auf der Haut kleben, wenn man ihnen nicht geschickt genug ausweicht) und sammelt sich in farbig glibberigen Haufen auf dem holzig duftendem Bretterfußboden. Die Installation, die bis zum Sonntag, 13. September, im Tacheles zu sehen ist, heißt "How Long Is Now" und ist von der italienischen Künstlerin Elisa Duca. "How Long Is Now", das war doch … genau. Diese Worte standen seit 2006 auch auf dem berühmten Wandbild, das bis vor Kurzem die Fassade des Tacheles zierte und inzwischen von einem Neubau verdeckt wird.


Ducas Installation tropft wie eine psychedelische, klebrige Erinnerung still vor sich hin. Sie ist Teil der Pop-up-Ausstellung "Memories of Now" der Kunstplattform Art Perspectives, für die die Kuratorinnen Barbara Green und Lorena Juan acht Künstlerinnen zusammengebracht haben. Wenn man die Schleim-Metapher noch ein wenig strapazieren will, könnte sie auch daran erinnern, dass die Zwischennutzung eines ehemaligen Kulturfreiraums mitten im Gentrifizierungsprozess eine glitschige Angelegenheit ist. Man kann leicht in die Komplizenschaft bei einer symbolischen Aufwertung rutschen, die letztlich nur den Investoren hilft.

Das Tacheles ist ein Ort, mit dem viele Schon-Länger-Berliner intensive Erinnerungen verbinden und der den Ruf der wiedervereinigten Hauptstadt als Kunstspielplatz maßgeblich mitgeprägt hat. 1990 wurde das monumental ruinöse Ex-Kaufhaus besetzt und damit vor dem Abriss gerettet. Über 20 Jahre war es Atelierhaus, Ausstellungsraum, Bar und Club. 2012 kam die Räumung, 2014 ging das Areal an einen mit dem Unternehmen Aermont Capital verbundenen Fonds, der das Quartier bis 2022 für vorläufig geschätzte 600 Millionen Euro entwickeln will. Heute steht das Tacheles für das Auffüllen der letzten Brachflächen in Mitte und den Verlust von bezahlbaren Entfaltungsorten für Kreative.

Mikrozeitreise in den Hinterzimmern

Insofern ist es folgerichtig, dass sich die Ausstellung "Memories of Now" mit Spuren und Erinnerungen beschäftigt, die immer wieder von Neuem überschrieben werden. In der Soundinstallation von DJ Iamkimkong, die zwischen Elisa Ducas pendelnden Schleimtütchen umherwabert, überlagern sich Geräusche aus der Kindheit der Künstlerin (das Rollen eines Skateboards) mit Verweisen auf die Vergangenheit des Tacheles (ein stampfender Bass). Die Klänge wehen bis ins Treppenhaus, wo denkmalgeschützte Graffiti überlebt haben. Über den bunten Mauern spannt sich nun eine verspiegelte Decke, die Vasen auf einem Tresen sind gehobenes Berlin-Mitte-Design, und im Untergeschoss ist die nostalgische Verwahrlosung einer cleanen Co-Working-Optik mit schwarz-weiß gerasterten Wänden gewichen. Nur in den Hinterzimmern, die ebenfalls für die Ausstellung genutzt werden, stellt sich zwischen Restfliesen und abblätterndem Putz das Gefühl einer Mikro-Zeitreise in die 1990er-Jahre ein. 

Die Ausstellung "Memories of Now" sieht sich ausdrücklich als politische Schau. Eingeladen sind ausschließlich weibliche Positionen, um auf die immer noch existente Unterrepräsentiertheit - und Unterbezahlung - von Künstlerinnen hinzuweisen. Die Malerin Eglė Otto befreit in ihren energetisch gestischen Gemälden weibliche Figuren aus der Mythologie von ihren einengenden Zuschreibungen. Tatiana Echeverri Fernandez verwandelt ausrangierte Fahrbahnstreifen zu glänzenden Wandbehängen, und Neda Saeedi hat ein kristallines Schaf aus Zucker gegossen, das an die erzwungene Sesshaftwerdung nomadischer Völker in Iran erinnert. Die Dinge erzählen hier von ihrem Früher.

Verkauf eines Lebensstils, den es nicht mehr gibt

Die Ausstellung vereint sehenswerte Arbeiten mit einem Anliegen, dass nachvollziehbar und zweifellos drängend ist. Doch es bleibt die Frage, ob der feministische Fokus nicht darüber hinwegtäuscht, dass diese politische Positionierung in einem Umfeld stattfindet, in dem gerade die Mechanismen der Gentrifizierung am Werk sind - und jede Kunstausstellung auf der Baustelle genau das kulturaffine Image aufbaut, was dann in Form von teuren Wohnungen, Büros und Ladenflächen verkauft wird. Auf der Homepage des zukünftigen Quartiers Am Tacheles wird "internationale Klasse und der berühmte Berliner Lebensstil" beworben - genau der Lebensstil, der durch solche Prestigeprojekte unterbunden wird. Zwar soll im Tacheles auch weiterhin Kultur vorkommen (unter anderem mit dem Fotoinstitut Fotografiska), aber sicher nicht die Art von Kultur, die ohne viel Geld funktioniert.   

Bei einer so dezidiert politisch angelegten Schau hätte man sich daher zumindest etwas mehr Selbstreflexion gewünscht - zumal, da Künstlerinnen besonders von räumlicher Verdrängung durch Gentrifizierung betroffen sind, weil sie im Schnitt weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Zwischennutzungen sind in Zeiten der Corona-Maßnahmen und der eingeschränkten Kulturorte eine wichtige Überlebensstrategie (siehe Berghain), und natürlich ist keine künstlerische Intervention frei von Widersprüchen. Die Kunst ist gut darin, jeden Platz zu nutzen, den sie kriegen kann. Doch im Fall des Tacheles geht es in einer selten offensichtlichen Art um einen Ort, der von der Aura des Vergangenen lebt und dieses Erbe nun in Kapital verwandeln soll (das eben nicht den Kulturproduzenten zugute kommt). In diesen Strukturen kann man natürlich eine gute Ausstellung auf die Beine stellen, in der ein wenig Nostalgie mitschwingt. Aber die klebrigen Fäden der Gentrifizierung haften ziemlich hartnäckig.