Adam und Eva, nackt im Garten Eden: Ein solches Gemälde im Centre Pompidou Metz vorzufinden, überrascht wenig – handelt es doch eines der klassischen Motive westlicher Kunst. Dafür, dass es 1909 entstanden ist, erscheint es beinahe abgedroschen. Und doch galt "Sommer, auch bekannt als Adam und Eva" zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts als Revolution.
Der wichtigste Grund: Die Künstlerin ist kein Mann. Denn traditionell malten nur Künstler andere Männer nackt und von vorne. Suzanne Valadon war das egal – angeblich als erste Frau in der westlichen Kunstgeschichte. Die Eva war sie, Adam ihr 20 Jahre jüngerer späterer Mann André Utter.
Dem Zeitgeist passte das nicht. Dass Valadon solche Traditionen ignorierte, galt als geschmacklos, schockierend. So bekam das Gemälde einige Zeit später sogar ein Feigenblatt verpasst, vor dem Geschlecht, wie in der Renaissance. Auch wenn Valadon anfänglich als eine der größten Künstlerinnen ihrer Zeit galt und noch nach ihrem Tod sehr bekannt war: Ihr Ruf als Revolutionärin führte langfristig dazu, dass man sie nicht ernst nahm. Sie wurde von vielen vergessen, in der Kunstgeschichte weitgehend übersehen.
Lässt sich ein "Platz in der Kunstgeschichte" nachträglich besetzen?
Das zu ändern, hat sich nun eine prominente Fürsprecherin zum Ziel gemacht: Chiara Parisi, Museumsdirektorin des Museums in Metz. Sie hat eine große Schau kuratiert, rund 60 Jahre nach Valadons vorherigen Retrospektive. Die solle ihr nun "einen Platz in der Kunstgeschichte einräumen", die "dieser kühnen Künstlerin bisher nur wenig Beachtung geschenkt" habe.
Doch kann eine Ausstellung wirklich die Renaissance einer Künstlerin herbeiführen? Das zu glauben, scheint auf den ersten Blick ambitioniert. Komplex ist schließlich das Geflecht aus Machtverhältnissen, Meinung und Mythen, das irgendwann zur Kunstgeschichte wird.
Aber, es ist eben keine Wald-und-Wiesen-Sammlung, sondern das Centre Pompidou, das sich hier hinter Valadon stellt: eine Zweigstelle des bekanntesten Museums für zeitgenössische Kunst in Frankreich. Von Metz aus geht die Ausstellung zudem auf Reisen, nach Nantes und Barcelona. Besteht also tatsächlich die Chance, dass das Ziel des Museums aufgeht?
Einst völlig unbekannt, heute Totebag-Motiv
In der Tat sind solch ambitionierte Unterfangen in der Vergangenheit bereits gelungen. Es drängt sich etwa der Vergleich zur schwedischen Künstlerin Hilma af Klint auf. Bis in die 1980er-Jahre kannte sie kaum jemand. Doch wie im Fall von Valadon hatte sich ein einflussreicher Akteur ihrem Erbe angenommen: der Kunsthistoriker Åke Fant präsentierte ihre Werke auf einer großen Konferenz. Er erkannte: Hilma af Klint hatte revolutionär gedacht, bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts abstrakte Kunstwerke gemalt.
Im Fall von af Klint lief es so gut, wie es wohl gar die Erwartungen des Centre Pompidou übersteigen dürfte. Schnell wurden ihre Arbeiten in ersten Ausstellungen gezeigt. Es folgten Retrospektiven im Moderna Museet in Stockholm und dem Guggenheim in New York. Sie festigten af Klints Rolle als bekannte Pionierin, nicht nur in Kunstkreisen: Mittlerweile tragen Teenager Prints ihrer Bilder auf Totebags herum.
Valadons Kunst könnte im Vergleich zu af Klint sogar einen leichten Vorteil haben haben: Denn sie war zu Lebzeiten enorm bekannt gewesen, durfte als eine der ersten Frauen in der Künstlervereinigung Société nationale des Beaux-Arts ausstellen. Ihre Werke wurden von renommierten Kunsthändlern und in Galerien vertrieben. Schließlich erwarb sogar das Musée du Luxembourg eines ihrer Gemälde, der französische Staat kaufte vor ihrem Tod weitere Gemälde und Zeichnungen.
Denn Valadons Bedeutung ist unbestritten – auch wenn sie über die Jahre bei vielen in Vergessenheit geriet. Ihre Kunst verkörpert wie kaum andere einen der wichtigsten Momente der jüngeren Kunstgeschichte: den Übergang von der Bohème zur Moderne in Frankreich. Diesen hatte sie mit ihrer Experimentierfreude in Stil und Technik aktiv befeuert – was in der Ausstellung deutlich sichtbar ist.
Heute wären Valadons Darstellungen Mainstream
Und tatsächlich: Beobachtet man die Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung – man kann dabei zusehen, wie sich der Zeitgeist mit Valadon anfreundet. Eine Schülergruppe sitzt vor Valadons "Familienporträts" (1912), eine Lehrerin spricht mit ihnen über die Rollenaufteilung in Familien. Zwei ältere Damen stehen lange vor dem Werk "Großmutter und Enkel" (1910). Und ein älterer Herr analysiert ein Porträt, das Henri de Toulouse-Lautrec im Jahr 1885 von Valadon malte. Er war einer von vielen bekannten Künstlern, denen sie Modell stand.
Die Hürde dafür, die verschiedenen Bildkategorien wild zu erkunden, quer durch die Ausstellung zu spazieren, ist niedrig. Nicht nur, weil die Themenbereiche in der Ausstellung so nahtlos ineinander übergehen, dass Freunde des didaktisch-roten Fadens sich etwas hilflos vorkommen dürften. Sondern auch, weil Valadons Blick auf Körper und Alltag stark mit dem Mainstream resoniert, schlicht ziemlich aktuell ist.
So stehen besonders viele Menschen vor einem Gemälde, an dem dieser besonders sichtbar wird: "Das blaue Zimmer" (1923). Und das, obwohl es in die hinterste Ecke der Ausstellung geparkt wurde – eine von mehreren kuratorischen Entscheidungen, die dem Verhalten der Besucherinnen scheinbar entgegenstehen. Schließlich inspirierte das Gemälde die Kuratorin sogar zu dem Titel der Ausstellung: "Eine eigene Welt". Bequeme Kleidung, eine Zigarette in der Hand, neben sich ein Stapel Bücher: Das Werk zeigt den gewöhnlichen Alltag einer Frau.
Gerade die Einfachheit des Werks war zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts eine Provokation: das Porträt der modernen Frau. Es zeigt, wie kaum ein anderes, wie Valadon mit der traditionellen, idealisierten Darstellung des weiblichen Körpers brach. In vielen Selbstporträts verfolgte sie ebenfalls diesen Gedanken: Um den weiblichen Körper überhaupt nackt darstellen zu dürfen, malte sie sich selbst – und das ungeschönt statt idealisiert.
Jahrzehntelange Ablehnung
Auch fernab der Kunst machte Valadon vieles anders, als es damals gesellschaftlich erwartet war. Sie war alleinerziehende Mutter, verdiente gutes Geld – und finanzierte damit eine Wohnung in Montmartre, in der neben Sohn Maurice Utrillo und ihrer Mutter auch der erwähnte André Utter wohnte. Sie lebte ein freies sexuelles Leben, hatte viele Liebschaften.
Was heute gewöhnlich klingt, war für viele Zeitgenossen ein Affront. Valadon war zwar bekannt, aber hatte keinen sonderlich guten Ruf. Sie selbst wurde als "Kobold" des Montmatrehügels verschmäht, ihre Gemeinschaft mit Utrillo und Utter als "Höllentrio". Auch Jahrzehnte nach ihrem Tod wurde ihr Werk von vielen Kritikern und Kunsthistorikern besprochen – oft jedoch eher aus Verwunderung und Ablehnung ihres Lebensstils, ihres ästhetischen Blickes.
Das wird auch in der Schau thematisiert: Auf einem kleinen Monitor laufen journalistische Berichte, die zeigen: Nicht nur die Bedeutung ihrer Kunst blieb unerkannt. Valadons ganzes Wesen wurde in Frage gestellt. In sexistischen Beschreibungen der Kritiker wird sie nicht ernst genommen, als stillos dargestellt, zu "männlich", irgendwie vulgär. All diese Zuschreibungen überschatteten ihre Kunst, verhinderten, dass man sich langfristig an ihr Werk erinnerte.
Gerade diese Ungerechtigkeit dürfte heute dazu führen, dass sich Menschen in Frankreich und anderswo Valadon nahe fühlen. Eine Besucherin schnaubt wütend, als sie sich den Film mit den Kritiken ansieht. Vielleicht ist es die größte Stärke der Ausstellung, dass sie diese Reaktion hervorruft: die Wut darüber, dass eine Künstlerin strukturell ungerecht behandelt wurde. Und vielleicht ist es am Ende genau diese Wut, mit der das Centre Pompidou dafür sorgen wird, Valadons Platz in der Kunstgeschichte tatsächlich zu sichern.