Ukraine-Dokumentationen auf der Berlinale

Krieg und Kino

Hollywoodstar Sean Penn stellte auf der Berlinale seine Ukraine-Reportage "Superpower" vor. Wie viel subtiler Filmemacher über den russischen Angriffskrieg berichten können, zeigt indes ein anderes Werk

Der kleine Sohn fragt seinen Papa, den Präsidenten der Ukraine, ob er Superkräfte habe. Ja, sagt der Vater: "Meine Superkraft, das bist du". Die Szene aus der ukrainischen Fernsehserie "Diener des Volkes" (in der Wolodymyr Selenskyj 2015 den Präsidenten spielte, der er seit 2019 ist) erklärt, warum Sean Penn und Aaron Kaufmann ihren Dokumentarfilm "Superpower" genannt haben. 
Family values kommen in den USA gut an, und Sean Penn wirbt seit geraumer Zeit um Unterstützung für die Ukraine.

"Superpower" ist durchaus so etwas wie ein Kampagnenfilm, was in diesem Fall nicht das Schlechteste ist, zumal "Superpower" in der "Berlinale Special"-Nebensektion läuft und nicht im Wettbewerb oder den von Carlo Chatrian persönlich kuratierten "Encounters".

Penn und Kaufmann waren schon seit Monaten in der Ukraine, als am 24. Februar die russische Invasion begann. Das Projekt, das die Filmemacher ohnehin schon geplant hatten, nahm eine unerwartete Richtung. Selenskyj blieb trotz der Angebote, ihn in Sicherheit zu bringen, im Land. Wladimir Putin hat seitdem ein unfassbares Grauen entfesselt und den Globus an den Rand eines Weltkriegs gebracht. Und Penn blieb auch, um vor Ort Gespräche zu führen, durchs Land zu fahren, wie ein embedded journalist Impressionen aufzufangen. "Das ist nicht mutig", räumt der Star im Film ein, "ich kann ja jederzeit gehen". Selenskyj und seine Landsleute können das nicht.

08/15-Reportage imprägniert mit Hollywood-Betroffenheit

Penn und Kaufmann liefern eine hinreichende Zusammenfassung des bisherigen Kriegsgeschehens, seiner politischen Implikationen und der Hintergründe seit der Orangen Revolution und der Besetzung der Krim. Man mag sich daran stören, dass der Schauspieler selbst, seine (ehrliche) Betroffenheit und seine Bewunderung für die Standfestigkeit der Bevölkerung etwas zu sehr im Fokus stehen. Aber was soll's: Penn wirbt um Unterstützung.

Vielleicht tut das auch in Europa und auf der Berlinale not, denn ein beträchtlicher Teil der Deutschen findet, dass nun mal Schluss sein soll mit den Waffenlieferungen. Dreimal, über mehrere Kriegsmonate verteilt, spricht Penn mit Selenskyj, am längsten zuletzt im Sommer, draußen vor dem Präsidentenpalast in Kiew. Das tendiert ein wenig zu penetrant zur Hagiografie. Selenskyjs Charme und seine Menschlichkeit wirken ohnehin umwerfend, Penns Fragen und seine Kommentare allerdings unterkomplex.

"Superpower" ist einerseits eine 08/15-Reportage mit viel Text und vielen Talking Heads, die nicht zwingend auf der Berlinale laufen müsste, anderseits aber imprägniert mit Hollywood-Betroffenheit, wofür nicht nur Sean Penn in der Rolle des Reporters, sondern auch eine quälend melodramatische Akzente setzende Musik sorgen.

"In der Ukraine" macht alles besser

Das geht natürlich anders, eindringlicher, subtiler, wie parallel im Forum der Berlinale demonstriert wird. "W Ukrainie" – "In der Ukraine" ist ein 85-minütiger Dokumentarfilm der Polen Tomasz Wolski und Piotr Pawlus. Der Film beginnt mit harmlosen Aufnahmen von Landstraßen und Autoverkehr, nur langsam tauchen Zeichen der Zerstörung in ländlichen wie urbanen Gegenden der Ukraine auf. Die beiden Filmemacher sind von den im Westen gelegenen Städten über Kiew nach Charkiw gereist. Auch sie zeigen die typischen Spuren der Zerstörung durch russische Angriffe, wie wir sie durch Massenmedien kennen und wie sie auch Penns und Kaufmanns Film wieder reproduziert. Doch das polnische Duo schafft Bilder von hoher fotografischer Qualität. Wolski und Pawlus zeigen, wie der Krieg die Schönheit (des Alltäglichen) vergiftet, aber die "Normalität" auch nicht zu tilgen ist.

Einige Aufnahmen wirken wie absurde Fotomontagen: Ein Spielplatz im Vordergrund, Kinder schaukeln fröhlich, dahinter ein Wohnblock, in dem ein riesiges schwarzes Loch klafft, das offenbar eine russische Rakete gerissen hat. Liegengebliebene Kampfpanzer der russischen Armee werden bestaunt, Ukrainer und Ukrainerinnen fotografieren sich gegenseitig vor den riesigen Panzerrohren und lächeln dabei. Sightseeing anno 2022. "W Ukrainie" kommt ohne Texteinblendungen und Kommentare aus, geschickt haben die Regisseure thematische oder stimmungsmäßige Sequenzen zusammengefügt.


Es gibt dramatische Momente: Plötzliche Explosionen in der Nähe einer Haltestelle, daneben der alltägliche Wahnsinn. Abendessen im U-Bahn-Bunker, im Versteck mit ukrainischen Soldaten, Friedhöfe, auf denen ukrainische Fahnen wie ein dichter Hain über neuen Gräbern wehen. "W Ukrainie" zeigt, was Kino besonders gut kann: Schildern und verdichten. Das ist zum Heulen, ja. Aber müssen wir Sean Penn im Close-up sehen, wie er Tränen vergießt? Im Kino gewesen, geweint. Das können wir alleine.