Frau Dell’Agnolo, Sie arbeiten als Architektin in der Region. Herr Gamper, Sie entwerfen Möbel und Objekte. Herr Öttl, Sie fertigen Koffer und Taschen an. Drei ganz unterschiedliche gestalterische Ansätze und doch ein gemeinsamer Werkstoff: Denn was Sie verbindet, ist Ihre Vorliebe für Holz. Was macht die Faszination dieses natürlichen Materials für Sie aus?
Sylvia Dell’Agnolo: Ich bin in einem alten Bauernhaus aufgewachsen. Da gehört Holz einfach mit dazu. Geprägt bin ich außerdem durch meine Ausbildung in Vorarlberg. Mit Holz kann man alles bauen, mittlerweile sogar riesige, mehrgeschossige Häuser. Viele Vorarlberger sind auf diesem Gebiet Vorreiter. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt — auch konstruktiv, was für mich als Architektin das Entscheidende ist.
Martino Gamper: Holz hat aber auch Grenzen, und das ist gerade das Gute daran. Man kann sich an ihm stoßen, mit ihm kreativ sein. Holz hat eine Maserung. Es hat eine Richtung. Es bewegt sich. Es bleibt in gewisser Weise immer lebendig.
SA: Heute sprechen wir viel über Nachhaltigkeit. Bei Holz bleibt zum Schluss nichts zurück. Ich kann es sogar verbrennen und gewinne Wärme, und dann wächst es wieder nach. Holz hat eine wunderbare Haptik und einen tollen Geruch. In dem Gasthaus, in dem ich aufgewachsen bin und das wir vor ein paar Jahren renoviert haben, haben wir nur mit dem Holz gearbeitet, das wir vorgefunden haben. Wir mussten nichts Neues dazu tun. Zum Schluss haben wir die Betten aus Zirbenholz gemacht. Dieser Duft, wenn man hineintritt!Holz ist immer wieder faszinierend.
Wie sehen Sie das, Herr Öttl?
Norbert Öttl: Bei Ihnen ist die Nutzung von Holz konstruktiv, ich nutze es eher für einen optischen Effekt. Wir machen Taschen aus Holz. Jeder Baum, den wir in Furniere schneiden, schaut anders aus. So wie der Mensch. Und die Farben: Die Natur liefert uns alle Farben mit. Da ist es fast schade, dass Holz – in Anführungszeichen – keinen größeren Wert hat.
MG: Man muss ihm diesen Wert geben.
NÖ: Holz nutzen die Leute normalerweise zum Verfeuern, oder sie bauen daraus einen schweren Tisch. Dabei ist Holz an sich ganz leicht. Wenn wir es ganz dünn schneiden, sind wir bei einem Blatt. Es gibt fast kein anderes Material, das so wandelbar ist wie Holz.
MG: Interessant ist auch, dass wir mit der Klimaerwärmung in Europa neue Holzarten bekommen werden.
Zum Beispiel?
MG: Akazien wachsen allmählich größer und höher. Wir haben invasive Pflanzen, die langsam heimisch werden. Das sollte man im Design nutzen und nicht unbedingt nur als Problem begreifen. Ähnlich ist es mit den Zierbäumen in der Stadt, die irgendwer einmal gesetzt hat. In Meran wurden vor 100 Jahren Redwoods gepflanzt. Damals war das Mode. Es gibt sehr viel Holz, das die Leute nicht zu schätzen wissen, obwohl man interessante Objekte daraus machen kann – auch etwa aus den Äpfel- und Birnbäumen in Südtirol.
SA: Das hat man immer schon gemacht. In meinem Elternhaus haben wir eine Tischplatte aus Birnbaum. Die ist heute noch traumhaft schön.
MG: Da braucht es aber Ideen und Wertigkeiten. Ich habe zum Beispiel heute am Stadtrand Bozens eine neue Filiale einer bekannten Möbelkette gesehen. Da wird natürlich auch eine Wertigkeit verkauft, aber eine sehr oberflächliche. Ich glaube, dass wir genug Tischler in Südtirol haben, die für einen etwas erhöhten Preis viel höhere Wertigkeit schaffen.
SA: So ist unsere gegenwärtige Welt. Es werden Oberflächen verkauft.
MG: Im Haus meiner Tante steht ein alter Schrank, ein Meisterstück vom Dorftischler. Umgerechnet hat er so viel gekostet wie eine Kuh. Sie mussten lange dafür sparen, aber irgendwie ging es. Wir als Kunden wollen heute aber alles schnell und billig konsumieren. Wir wollen ein Leben leben, das der Realität in großen Teilen nicht entspricht. Es ist schwierig, mit der großen Industrie zu konkurrieren. Und genau deshalb muss man andere Wertigkeiten vermitteln.
NÖ: Im Endeffekt verkaufen wir Geschichten. Wir verkaufen immer nur das Persönliche.
MG: Ich kaufe viele Designklassiker aus den 60ern und 70ern. Einiges muss man reparieren, weil der Stoff nicht gut ist, die Substanz aber schon. Ich bin sicher, dass ich dann ein schönes Teil bekomme, weil ich bereit bin, es zu reparieren.
SA: Vor allem bekommst du einen Bezug dazu.
MG: Ich glaube, dass Produkte in der Zukunft eine Art Label bekommen, das beschreibt, ob man sie auch reparieren kann. Nachhaltigkeit fängt schließlich dort an, wo der Designer auch darüber nachdenkt, wie man mit einem Produkt in Zukunft umgehen kann.
Wie ist das bei Ihren Taschen? Kann man die reparieren?
NÖ: Man kann alles reparieren. Die Frage ist eher, ob der Kunde das auch will. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Wir brauchen Leute, die anders denken — die ein bisschen mehr Geld ausgeben. Auf unseren Taschen ist eine Garantie, die über die gesetzliche Garantie hinausgeht. Wir tauschen Seiten aus, wenn sie verschmutzt sind oder wenn etwas bricht. Alles wird so repariert, dass es danach wirklich lange hält. Der Kunde soll zufrieden sein. Dann kommt er auch wieder.
Das hängt auch von den Materialien ab. Was verwenden Sie?
NÖ: Es ist mir wichtig, dass unsere Kunden wissen, wo alles herkommt. Unsere Materialien sollen möglichst regional sein. Das Leder kommt aus einer Gerberei in Vincenza, die Ketten produzieren wir in Mailand, die Stoffe in Florenz. Das funktioniert leider nicht bei allen Materialien, langsam fehlen auch Handwerker. Die Auszüge bei den Koffern zum Beispiel werden nur in China produziert. Auch sind nicht alle unsere Hölzer regional, da ein paar Strukturen und Töne nur bei Tropenhölzern vorkommen. Die sind aber immer zertifiziert.
Frau Dell’Agnolo, Sie arbeiten viel mit historischer Bausubstanz. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen dem Erhalt des Alten und den heutigen Bedürfnissen?
MG: Abreißen, weg!
SA: Da bin ich dagegen. Man kann aus allem noch etwas machen. Beim Abreißen muss ich mir immer die Seele herauswinden. Und es kostet viel Geld, das ganze Material zu entsorgen. Was das Renovieren betrifft – wir haben ja auch das Haus gemacht, in dem wir uns gerade befinden: Wir haben nur repariert. In diesem Haus steckt so viel Geschichte. Zum Teil sieht der Verputz hier aus, als ob er schmutzig wäre, aber das ist nicht schlimm. Wir sind ja nicht steril. Wir sind Menschen.
Herr Gamper, Sie haben vor Ihrem Studium eine Tischlerlehre absolviert. Hat das Ihr Design geprägt?
MG: Ich arbeite mit Tischlern auf der ganzen Welt zusammen, und ich habe eine eigene Tischlerei in London, eine Werkstatt, in der wir eigentlich alles fertigen können. Das war immer mein Traum, eine Werkstatt zu haben, wo man kreativ sein kann. Ich mache sehr viele Tische, sehr viele Stühle. Gewisse Tische werden in Südtirol gefertigt, gewisse in London. Ich habe auch außerhalb von London eine Tischlerei, in der wir sehr stark gebrauchtes Holz wiederverwenden: altes Teak, das wir aus alten Häusern rausreißen oder finden.
SA: Das finde ich spannend.
MG: Der Tischler, mit dem ich dort arbeite, ist eigentlich Bildhauer. Er hat ein sehr gutes Feingefühl, mit ihm mache ich anderes als mit dem Tischler in Südtirol. In unserer eigenen Werkstatt machen wir mehr Prototypen und Experimente, aber auch Produktion. Ich wüsste gar nicht, wie ich kreativ sein könnte ohne das Selbermachen.
SA: Wenn ich dieses Verhältnis von Theorie und Praxis für die Architektur betrachte, dann befinden wir uns hier in Südtirol an einem spannenden Ort: Im Norden, in Österreich, der Schweiz und Deutschland wird Architektur als ein technisches Studium begriffen. In Italien ist es eine Geisteswissenschaft. Die Zugangsweisen sind ganz anders.
Und welchen Ansatz hat man in Südtirol?
SA: Wir haben beides. Das ist das Tolle.
NÖ: Diese Mischung macht Südtirol erst interessant. Wir haben italienisches Flair und das Traditionelle. Hätten wir nur das Traditionelle, wären wir wie jede andere Alpenstadt.
Anders gefragt: Inwiefern prägt der spezielle Standort die Ästhetik?
SA: Der Standort hat sicher etwas zu sagen. Ich glaube, die Tatsache, dass gerade im Vinschgau so viele Kreative sind, hat viel mit der Kälte in der Region, mit einem steten Mangel zu tun. Aber das sind alles Halbwahrheiten. Was ist Design in Südtirol? Eigentlich sind das die Kastelruther Spatzen und die Frauen im Dirndl.
MG: Wein und Speck. Beides ist eigentlich Design. Beim Speck ist es im Konzept eine runde Geschichte: ein Schwein, ein Hof, ein Bauer mit blauem Schurz. Das Problem ist, wie die Industrie das umgesetzt hat. Beim Wein entstand durch den Glykol-Skandal Mitte der 80er-Jahre eine neue Wertigkeit. Südtirol wurde in der Folge zu einem Vorzeigemodell: minimale Quantität, maximale Qualität.
SA: Einen Skandal wie den Glykol-Skandal würden die Südtiroler nie selbst produzieren. Der ist von Österreich importiert worden. Wir sind keine Leute, die auf die Barrikaden gehen.
MG: Ich glaube, dass Südtirol ein Land ist, das sehr schnell umdenken kann, aber bis es so weit ist, melken alle die Kühe, solange es geht.
SA: Wir sind ein Bauernvolk. Niemand von uns ist Bauer, aber jeder identifiziert sich damit.
Wie übersetzt sich das in Design?
SA: Nehmen Sie zum Beispiel Manfred Mayr, ein Künstler aus dem Vinschgau. Er hatte den Auftrag, für eine Obstgenossenschaft ein Logo zu entwickeln, und hat sich an das Blau der Schurze erinnert. Das kennt inzwischen jeder, genau wie das Käferle.
MG: Kulturell ist das interessant: Vor 20 Jahren hätte sich kein Bauer mit einem Schurz gezeigt. Heute sind die Leute wieder stolz, Bauern zu sein. Ich glaube, Südtirol tendiert dazu, anderen nachzulaufen. Der Südtiroler ist kreativ in einem kleinen Bereich, aber er ist nicht der, der Visionen hat.
SA: Das ist harter Tobak.
MG: Südtirol ist sehr gut, wenn einmal die Weichen gestellt sind. Leute, die wirklich neue Wege gehen, gibt es wenige, und wenn, dann geht die Innovation normalerweise von Bozen aus. Die Systeme funktionieren hier sehr gut. Südtirol ist in Italien die Region mit der größten Vereinsdichte. Es gibt hier Vereine für alles. Was ich sagen will: Viele Konzepte und Designideen gehen nicht unbedingt von einzelnen Personen aus, sondern kommen in gewisser Weise von Zentralen — aus Dörfern, Regionen, Genossenschaften.
Wenn das stimmt, warum hat Design aus Südtirol dann trotzdem ein so gutes Renommee?
MG: Weil wir sehr gut darin sind, den Süden, der Design als eine geistige Beschäftigung begreift, mit dem technischen Zugang des Nordens und mit dem Handwerk, das dazwischen liegt, zu verbinden.
NÖ: Es ist einfach der Mix mit den Italienern, der Südtirol ausmacht. Südtirol ist das, was es ist, weil wir den italienischen Einschlag haben, südliches Flair, Intellektualität. Wir sind eine Mischkultur. Meine Tochter geht in den italienischen Kindergarten. Die kann mit zehn Jahren drei Sprachen. Das ist ein Geschenk.
MG: Südtirol ist eine Region, die immer Identitätsprobleme gehabt hat und haben wird. Wir haben immer versucht, uns im Ganzen zu finden und neu zu erfinden. Das ist als kreativer Prozess interessant.
NÖ: Ich nehme es so, wie ich es brauche. "Made in Italy" hat im Design noch immer einen guten Ruf.
SA: Was Südtirol auszeichnet, ist das Qualitätsvolle, das sich auf kleinem Raum ballt — die Vielfalt, die mit unserer Geschichte und Kultur verknüpft ist.