Ob die Friedrichstraße nun schon tot oder noch zu retten sei, ist eine Frage, die in Berlin mit seinem Hang zur Selbstbeschimpfung geradezu lustvoll erörtert wird. Fest steht, dass die Schließung für den Autoverkehr ein Rohrkrepierer war, politisch sowieso, weil sie erheblich zur Wahlniederlage der Grünen beitrug, aber stadtplanerisch nicht minder, weil der erhoffte Ruhe-Effekt für Passanten durch nunmehr die autofreie Straße entlang rasende Fahrradkuriere zunichte gemacht wurde.
Von dem autofreien Intermezzo hat sich die Straße seither nicht mehr wirklich erholt, es wird Leerstand beklagt, und mittlerweile steht fest, dass das Glanzlicht, die Filiale der französischen Kaufhauskette Galeries Lafayette, Ende kommenden Jahres erlöschen wird. Das war's dann mit der erhofften Einkaufsmeile.
Stattdessen könne doch die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), die mit ihrem Wunsch nach einem Neubau seit sage und schreibe 30 Jahren hingehalten wird, in den Kaufhaus-Bau einziehen, lautete vor wenigen Wochen der Vorschlag, mit dem sich der neue Kultursenator Joe Chialo in die Schlagzeilen sämtlicher Medien katapultierte. Sofort wurden abenteuerliche Kostenrechnungen aufgemacht, vorzugsweise von Leuten, die bis dato nicht als Experten hervorgetreten waren, aber ihren Senf unbedingt dazu geben mussten. Vor allem war der sozialdemokratische Senats-Koalititonspartner verschnupft, weil Polit-Neuling Chialo es versäumt hatte, seine Idee vorab von der SPD-Funktionärsschicht absegnen zu lassen.
Derweil wird gerechnet und gerechnet
Nun, billig würde die Übernahme des als Quartier 207 bekannten Häuserblocks nicht kommen, aber so teuer wie ein Bibliotheks-Neubau auch wieder nicht. Derweil wird gerechnet und gerechnet, ob sich durch ein Leasing-Modell zumindest haushaltstechnisch etwas machen ließe; man muss ja nicht auf einen Schlag die vage im Raum stehenden 500 oder mehr Millionen Euro zahlen, die der Eigentümer Tishman Speyer womöglich aufrufen würde. Als der US-amerikanische Immobilien-Gigant vor anderthalb Jahren das Gebäude mit seinen 35.500 Quadratmetern Fläche erwarb, wurde über den Kaufpreis nichts bekannt, da wird weiterhin im Nebel gestochert.
Der Standort an der Friedrichstraße ist maximal fünf Gehminuten vom nächsten U-Bahnhof (mit zwei Linien!) entfernt, die Erreichbarkeit aus allen Himmelsrichtungen entsprechend gut. Lange Öffnungszeiten vorausgesetzt, würde die Friedrichstraße zumindest in diesem Abschnitt profitieren, mehr als es bei der gegenwärtigen Geschäftsnutzung der Fall ist und je sein könnte.
Die Senatskoalition kann einen Erfolg gut gebrauchen
Nun hat sich auch der Stiftungsrat der seit 1995 als öffentliche Stiftung verfassten ZLB für den Umzug ausgesprochen; praktischerweise ist Senator Chialo zugleich Stiftungsratsvorsitzender. Immerhin sitzt einiger Sachverstand von anderen kommunalen Bibliotheken im Rat, und Vorbilder wie die vielfach ausgezeichneten Büchereien in Amsterdam oder Stuttgart dürften hinlänglich bekannt sein. Die Aussicht, etwas Vergleichbares in Berlin hinzubekommen, ohne erst eine mindestens zehnjährige Planungs- und Bauphase für einen Komplettneubau durchstehen zu müssen, ist verlockend.
Und die Senatskoalition, weidlich ungeliebt, aber als kleineres Übel im Amt, kann einen Erfolg gut gebrauchen. Einen, von dem die Bürger und Bürgerinnen tatsächlich etwas haben. Denn unter allen Kulturangeboten vereinen Büchereien das breiteste gesellschaftliche Spektrum. Sie sind tatsächlich "für alle" da.