Fotografinnen in Frankfurt

Weiter Fokus

Frankfurt am Main war und ist eine Stadt der Fotografinnen. Ein umfangreicher Band bringt nun 40 Protagonistinnen aus 180 Jahren zusammen. Eine Fülle, die verwirren kann, aber auch große Entdeckungen möglich macht

Eine ungewöhnliche Würdigung findet sich gleich zu Beginn – ohne die weder die Qualität, noch der Umfang dieser Publikation verständlich wären. Auf dem Wege einer Widmung wird Martha Caspers (1954 – 2021) gedacht, der langjährigen Sammlungsleiterin des Fotoarchivs am Historischen Museum Frankfurt am Main. Bereits 2007 hatte sie begonnen, an dem großen Ausstellungsprojekt zu Fotografinnen mit Bezug zur hessischen Stadt zu arbeiten. Eine Art Lebensthema für Caspers. 

Mehr als 30 Jahre war sie für das Haus tätig – die Vielzahl der von ihr konzipierten, ähnlich ausgerichteten Ausstellungen und Publikationen zeigt, wie lange und intensiv sich die Kuratorin mit der weiblich geprägten Geschichte der Fotografie in und um Frankfurt befasst hat. 

Natürlich finden sich hier die Arbeiten der großen Fotografinnen Gisèle Freund, Abisag Tüllmann und Barbara Klemm versammelt – keine von ihnen ist gebürtige Frankfurterin. So wird schon deutlich, dass es Caspers nicht um die Feier lokaler Heldinnen ging – sie hat vielmehr den Fokus geweitet und auch Frauen einbezogen, die nur ein paar Monate oder Jahre in der Region tätig waren. Und auch in zeitlicher Hinsicht ist die Klammer weit gefasst: bis ins Jahr 1844, also fast bis zu den Anfängen des Mediums, reichen die Untersuchungen zurück. 

Die Politik der Straße und die Politik auf den Bühnen

Der großformatige Band wurde von den Kuratorinnen Dorothee Linnemann, Katharina Böttger, Ulrike May, Christina Ramsch und Bettina Schulte Strathaus herausgegeben, die profunde und lesenswerte Textbeiträge verfassten, etwa zu Frankfurter Fotopionierinnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts oder zum emanzipatorischen Aufbruch der 1920er-Jahre. 

Auch die Entwicklungen des Bildjournalismus und der Theaterfotografie der Jahre 1945 bis 1980 werden beleuchtet und an Bildbeispielen belegt. Sehr unmittelbar wird man in Straßenkämpfe Anfang der 1970er-Jahre und Schlachten um besetzte Häuser im Frankfurter Westend hineingezogen. Oder man realisiert mit Schrecken durch ein Foto von Abisag Tüllmann, wie kaputt die Oper einst war. Die Worte am Portal – "Dem Wahren Schönen Guten" – kaum noch lesbar, muss der Wahlspruch angesichts der leeren, architektonischen Hülle auf Jahre einen bitteren Beigeschmack gehabt haben. 

Doch gerade, weil hier die Politik der Straße der Politik auf den Bühnen der Stadt gegenübergestellt wird, werden Gemeinsamkeiten und Gegensätze offensichtlich. So zeigt sich das theatralische Moment jener Straßenschlachten, wie auch das kämpferische Kalkül von Frankfurter Bühnenstücken in den 1960er- und 70er-Jahren. 

"Jede Fotografie ist ein memento mori"

Bevor man aber befürchten muss, beim Blättern einer gewissen Nostalgie anheim zu fallen, macht ein im Buch herausgestelltes Zitat von Susan Sontag klar: "Jede Fotografie ist ein memento mori. Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen (oder Dinge). Eben dadurch, daß sie diesen einen Moment herausgreifen und erstarren lassen, bezeugen alle Fotografien das unerbittliche Verfließen der Zeit." Wer eigene Bezüge und Erinnerungen an Frankfurt hat, kann wahrscheinlich kaum anders als auf manche der Fotografien mit einer gewissen Melancholie zu blicken. 

Meike Fischer etwa zeigt in ihrer Serie "Abriss Frankfurt", wie das einst stadtbekannte Bauwerk Henninger Turm 2013 Stück für Stück verschwindet und ein moderner Wohnkomplex an seine Stelle tritt. Hier hätte man, zumindest als Verweis, ruhig eine Arbeit von Peter Roehr zeigen können, die ebenfalls den Henninger Turm zum Sujet einer seriellen Bildmontage macht. Doch soll es ja dezidiert um den weiblichen Blick auf die Dinge, Orte und Menschen gehen. Inwiefern unterscheidet sich dieser vom männlichen? Eine heikle Frage, die sich kaum pauschal beantworten lässt, ohne die bekannten Klischees zu bedienen. Gleichwohl zeigen sich in diesem wichtigen Buch durchaus die Unterschiede von Bildstrategien, etwa zwischen Reportage-, Sach- und Werbefotografie und zwischen den diversen Formen experimenteller, künstlerischer Fotografie, von den 1920er-Jahren bis in die Gegenwart. 

Die Fülle unterschiedlicher Sujets und Ästhetiken verwirrt und frappiert beim Betrachten manchmal – unvermeidlich, wenn man einen Überblick zu den Werken von rund 40 Fotografinnen geben möchte, noch dazu aus 180 Jahren. Doch wird man auch belohnt von dieser Fülle. Der Band, seine Bilder und Texte im Zusammenspiel mit der Ausstellung, sind zweifellos eine Einladung, sich mit den Arbeiten gerade auch der weniger bekannten Fotografinnen zu beschäftigen. Sie vielleicht erstmals oder neu zu entdecken.