Befragt man Direktorin Antonia Alampi zu den drei neuen Ausstellungen in der Berliner Spore Initiative, wird schnell klar, dass dieses Haus Ausstellungskonzepte ganz neu denken will. Weg vom Statischen, hin zu kontinuierlicher Veränderung: "Wie ein lebender Organismus". Gleichzeitig beschreibt es die Dynamik der gesamten Stiftung, die sich für biokulturelle Vielfalt einsetzt: Es soll um den Austausch und das Vernetzen auf unterschiedlichen Ebenen gehen, um das gegenseitige Befruchten und Säen neuer Ideen und Ansätze. So ist die "Spore" aus der Pflanzenwelt auch nicht nur Name, sondern Programm. Sie kann als Sinnbild für das Anliegen und die Arbeitsweisen der Initiative verstanden werden: kleinen, für die Biodiversität wichtigen Projekten und Organisationen einen Raum zu geben, in dem sie keimen können.
Der unscheinbare Samen, der menschliches Leben trägt: Darum geht es dann auch in der ersten Schau, auf die die Besucherin im Erdgeschoss trifft. Der Ausstellungsraum steht isoliert, ein wuchtiger Beton-Quader mitten im Eingangsbereich. Er erinnert an ein Indoor-Gehege im Zoo mit einer Glasfront, die den voyeuristischen Blick ins Geschehen ermöglicht.
Auch hier wird man direkt von der Scheibe angezogen, möchte wissen, was drinnen vorgeht. Was man zuerst sieht: viel erdiges Braun. Es sind warme Töne mit Rotstich, die Geborgenheit ausstrahlen und Assoziationen mit einem Mutterleib wecken. Die Atmosphäre entsteht durch das großflächige Wandgemälde der Geschwister Mayur und Tushar Vayeda, das einer prähistorischen Höhlenmalerei ähnelt. Es stellt eine Geschichte der indigenen indischen Volksgruppe Warli Adivasi über die Geburt des Samens dar, die in der typischen traditionellen Warli-Malerei gezeigt wird. In dieser Tradition wird das Saatgut als Grundlage aller Lebensformen verstanden und verkörpert Jahrtausende der Evolution.
Die Hüterinnen der Erde
Zu der Ausstellung "Bīja - Die Spinnräder der Freiheit" gehören auch Videos, die in Zusammenarbeit mit Navdanya entstanden sind, einer agrarökologischen Initiative unter der Leitung von Umwelzschützerin Vandana Shiva, die ebenfalls in Indien ansässig ist. Navdanya tritt sowohl gegen den Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen als auch für das Wohl der Frauen ein, deren Arbeit als "Hüterinnen der Erde" zu wenig gewürdigt werde.
Die Videointerviews lassen Frauen zu Wort kommen, die Teil der Navdanya-Initiativen sind. In Liedern, Geschichten und Gebeten finden sie einen Schatz alten, bäuerlichen Wissens zum Schutz des Saatguts und der biologischen Vielfalt. Dabei geht es den Frauen viel um das Verhältnis des Menschen zur Natur und zum Samenkorn. Für sie ist klar: Die Beziehung muss auf wechselseitiger Verbundenheit basieren. Ein Wert, der auch bei Spore großgeschrieben wird.
Seit letztem Jahr hat die Spore Initiative ihren Sitz in der Neuköllner Hermannstraße. Der imposante, kaum zu übersehende Bau wurde von den AFF Architekten entworfen und von Unternehmer Hans Schöpflin finanziert, der die Stiftung auch gegründet hat. Das mehrstöckige Gebäude bietet Platz für ein Café, ein Auditorium, Workshops und Büros. Denn die Initiative will weit mehr als ein Ausstellungshaus sein. Sie ist auch Forschungsstätte, Lernlabor und kulturelles Stadtteilzentrum. Und sie widmet sich all denjenigen, deren Lebensweisen in einer respektvollen und schützenden Art und Weise in die Natur eingebunden sind. Besonders marginalisierte und diskriminierte Gruppen sollen hier einen Raum bekommen, an dem sie gehört werden.
"Ein Kartenspiel als Wissensspeicher"
Dabei macht sich Spore vor allem zur Aufgabe, indigenes Wissen zu regenerativen Lebensformen und Erhaltungspraktiken von Wäldern, Böden und Gewässern für unterschiedliche und zukünftige Generationen zu konservieren. Was heißt das konkret? Nach Angaben der Initiative wird eine Mischung kultureller Methoden in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Partnern entwickelt. Von illustrierten Büchern über Animationsfilme und Kartenspiele bis hin zu Hörspielserien können die "Wissensspeicher" ganz vielfältige Formen annehmen. Die Voraussetzung: Sie sollten so kompakt und verständlich wie möglich sein, sodass sie Gemeinschaften an verschiedenen Orten zugänglich gemacht werden können.
Auch die Ausstellungen sind Teil von Spores Werkzeugkoffer. Durch sie können Inhalte auf der einen Seite räumlich gebündelt werden, auf der anderen Seite bieten sie die Möglichkeit, sich unterschiedlicher Materialien und Formate gleichzeitig zu bedienen und verschiedene Aspekten widerzugeben. Und sie haben besonders einen Vorteil: Es braucht oft gar nicht so viele Worte, um zu verstehen, was ausgedrückt werden soll. So wird eine Zugänglichkeit geschaffen, die Sprach- und Verständnishürden überwindet.
Wald und Wasser
Im ersten Obergeschoss finden sich die zweite und die dritte aktuelle Ausstellung, die nur über einen kleinen Flur voneinander getrennt sind. Die eine Seite widmet sich dem Wald, die andere dem Wasser. Hier taucht man tatsächlich wie in eine Unterwasserwelt ein: Sphärisch anmutende Klänge und weiße Stoffbahnen, die von der Decke baumeln und in unterschiedlichen Farblichtern angestrahlt werden, erschaffen eine traumartige Landschaft. Die bunten Sitzgelegenheiten auf dem Boden erinnern an ein Floß, vielleicht auch an große Seerosen, die zum Verweilen einladen.
Die Ausstellung "Wasserspiegel – Water Bodies" thematisiert die Situation und den Umgang unterschiedlicher Menschen mit der zunehmenden globalen Wasserknappheit. Im Zentrum des Projekts stehen Techniken der Wasserpflege, die seit vielen Generationen durch Lieder, Volksgeschichten und Mythologien in den Gemeinschaften an den Flüssen Kurdistans transportiert werden.
In Zusammenarbeit mit der Anthropologin Şermin Güven ist "Wasserspiegel – Water Bodies" multimedial geworden: Videos, Fotografien, Tonspuren, Installationen und Bilder machen die Ausstellung abwechslungsreich, unterhaltsam und zugleich informativ. Spore kreiert einen Ort, an dem Wissensvermittlung Spaß machen soll, an dem man sich gern länger aufhält. Auch diesen Aspekt von Anfang an zu integrieren, sei für die Planung des Projekts wichtig gewesen, erklärt Lotta Schäfer, kuratorische Leiterin der Ausstellung: "Wir haben uns immer wieder gefragt: Wie kann ich so Zugänge zu einem Raum schaffen, dass Leute sich darin wohlfühlen?"
Tradition trifft auf Digitalität
Ein paar Schritte weiter wartet der Wald auf die Besucher. Nicht irgendeiner, sondern der Wald im indischen Maharashtra. Dort, wo die Wiederaufforstungsinitiative Waral Prakalp aktiv ist, die der Ausstellung auch ihren Namen gegeben hat: "Waral Prakalp - Schützer*innen der Wälder". Die Gruppe aus indigenen Warli-Künstlerinnen und -Bauern baut in ihrem Dorf Ganjad einen Gemeinschaftsraum auf, in dem unterschiedliche Praktiken und Methoden des Waldschutzes revitalisiert und praktiziert werden.
Exponate wie Gemälde, Skulpturen und Texte, die eigens für die Ausstellung in Auftrag gegeben wurden, zeigen die traditionellen Methoden, die nach wie vor für den Schutz des Waldes im ländlichen Raum genutzt werden. Zwischen Kunstwerken, einer großflächigen Wandmalerei und Installationen, gibt es auch die Möglichkeit, per VR-Brille in die Welt von Waral Prakalp einzutauchen. Hier trifft Tradition auf Digitalität und verleiht der Ausstellung einen modernen twist.
Immer wieder taucht die Schildkröte in den Kunstwerken auf, zeigt Mayur Vayeda, Mitglied der indischen Initiative. Als eine Inkarnation des Göttlichen trägt sie die gesamte Erde mit ihren Gegensätzen auf ihrem Panzer. In einem installativen Werk zieht sie sowohl die Gegenwart und die Moderne in Form von Holzautos hinter sich her, als auch den Wald durch verschiedene Pflanzenabbildungen. Sie ist das Bindeglied zwischen Technologie und Natur, eine Art Mediatorin vielleicht. Und wer weiß, ob sie in vier Monaten noch da sein wird. Denn diese, wie auch alle anderen Spore-Ausstellungen, befindet sich in einem permanenten Wandel, wie Tanzim Wahab, der kuratorische Leiter von "Waral Prakalp – Schützer*innen der Wälder", betont. Durch neue Ideen sollen auch neue Kunstwerke und Impulse dazukommen, die andere ablösen. Es sei schließlich ein Prozess. Ein lebender Organismus eben.