Sophie Duplaix, über sechs Jahrzehnte lang haben Christo und Jeanne Claude uns begleitet. Welchen Platz nehmen die beiden in der zeitgenössischen Kunst ein?
An Christo und Jeanne Claude ist alles einzigartig. Zuerst einmal bildeten sie als Künstler eine unzertrennbare Einheit, die sehr stark war. Dann ist ihre Kunst an und für sich etwas außergewöhnliches: diese monumentalen Werke, die an den unterschiedlichsten Plätzen der Welt geschaffen wurden. Kunst der breiten Masse zugänglich zu machen, war ein entscheidendes Element ihrer Arbeit. Denn Kunst sollte nicht nur etwas für die Elite sein. Die künstlerische Geste des Verhüllens war etwas sehr Unerwartetes für die Betrachter. Als Christo und Jeanne-Claude damit begonnen haben, ihre Werke in den öffentlichen Raum zu stellen, wurde Land-Art als Kunstströmung gerade zu einem bekannten Begriff. Aber man kann die beiden nicht zu dieser Kunstströmung zählen. Ihr Werk hat einen ganz anderen Ansatz und ihre Arbeitsweise unterscheidet sich auch von Land-Art-Künstlerinnen und -Künstlern. Auch das machte Christo und Jeanne Claude so einzigartig.
Und darüber hinaus?
Ausnahmslos jedes Projekt wurden von Christo und Jeanne-Claude selbst finanziert durch den Verkauf von Zeichnungen, Modellen oder Fotos der Verhüllungen. Es gab nie Zuschüsse oder Sponsoren. Das hat ihnen eine die kompromisslose Freiheit erlaubt, mit der sie ihre total verrückten Projekte umsetzen konnten. Und sie waren nicht nur Künstler, sondern in gewisser Weise auch Bauunternehmer. Allein durch die Dimension ihrer Werke kam zum künstlerischen noch ein unternehmerischer Aspekt hinzu: die Logistik, die Vorbereitungszeit jedes Projektes war kolossal. Wir sprechen über mehrere Jahre, manchmal Jahrzehnte an Vorbereitungszeit. Aber all das war Bestandteil des Werks, es reduziert sich nicht auf den sichtbaren Moment der Verhüllung. Jedes Werk beginnt mit der Entstehung des Konzepts und den ersten, meist schwierigen Verhandlungen zu seiner Umsetzungen. Diese Herangehensweise ist in der zeitgenössischen Kunst absolut einzigartig!
Christo und Jeanne Claude realisierten eigentlich nie zweimal am gleichen Ort ein Projekt. Mit dem verhüllten Triumphbogen entsteht aber nun nach der Pont Neuf 1985 ein zweites monumentales Projekt in der französischen Hauptstadt. Warum?
Es stimmt, dass sie nirgendwo zweimal ein Projekt entwickelt haben. Aber Paris hat in ihrem Leben und Werk einen ganz besonderen Stellenwert: Sowohl emotional als auch künstlerisch waren sie sehr an die Stadt gebunden. Da muss man an die Anfänge zurückgehen. Als junger bulgarischer Künstler floh Christo aus seiner Heimat und kam 1958 in Paris an. Damals hatte er seine künstlerische Ausdrucksart noch nicht gefunden. Um in der französischen Hauptstadt seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hat er Porträts gemalt. Aber in Paris entdeckte er eine aufregende, sehr vielfältige Kunstszene. Schnell wollte sich Christo von der Staffelei und der Malerei ablösen. Und dann kam die große Begegnung dazu, die sein Leben verändert hat: In diesen ersten Pariser Jahren hat er Jeanne-Claude kennengelernt. Sehr früh experimentierte Christo mit Verpackungen, Verhüllungen von Objekten. Diese sehr ungewöhnliche Geste ist hier in Paris entstanden, und er hat sie hier recht schnell im öffentlichen Raum ausprobiert. Paris mit seinen Denkmälern, an Gebäuden hat Christo und Jeanne Claude dazu inspiriert, den Verhüllungen eine ganz neue Dimension zu geben.
Und der Triumphbogen?
Der hat für Christo eine ganz persönliche Bedeutung. Es konnte ihn sehen, wenn er aus der Dachluke seines kleinen Zimmers blickte, in dem er lebte, als er 1958 nach Paris kam. Er liebte die Geschichte des Denkmals, seine ungewöhnliche Platzierung, seine Form.
Wann kam Christo und Jeanne-Claude die Idee, ihn zu verhüllen?
Die Genese des Projekts geht auf 1961 zurück. Es existiert eine Fotomontage aus dieser Zeit, die ich sehr berührend finde. Sie zeigt den Triumphbogen aus der Perspektive der Avenue Foch als ein verschnürtes Paket. Selbst wenn die beiden furchtlos alles in Angriff nahmen, waren sie irgendwie davon überzeugt, dass dieses Projekt zu komplex sei, um in die Tat umgesetzt zu werden. Es existiert noch eine weitere Collage mit dem Triumphbogen, sie stammt von 1988. Aber in all den Jahren haben sie nie wirklich versucht, konkrete Schritte zu unternehmen, um den Triumphbogen zu verhüllen. Das kam erst 2017, als wir vom Centre Pompidou mit Christo über seine Retrospektive in Paris sprachen. Unser Wunsch war es, die Ausstellung mit der Verhüllung eines Monuments zu begleiten. Natürlich dachten wir an das Centre Pompidou selbst. Aber das interessierte Christo gar nicht. Ein Museum, das fand er zu einfach. Sofort sprach er den Triumphbogen an, das war das einzige Projekt, das er in Paris machen wollte, weil er es schon so viele Jahre in sich trug. Es war die Herausforderung, die ihn interessierte. Wir haben diese Idee sehr enthusiastisch aufgegriffen und unterstützt. Es waren besonders glückliche Umstände, dass auch Philippe Bélaval, der Vorsitzende des Zentrums für nationale Denkmäler und Präsident Emmanuel Macron in kürzester Zeit grünes Licht gegeben haben – so dass das Projekt viel schneller Realität wurde, als gedacht.
Wie werden die Menschen in Frankreich Ihrer Meinung nach das Projekt aufnehmen? Der Triumphbogen ist ja in den letzten Jahren eher zu einem Symbol des Protests geworden …
Die Projekte von Christo und Jeanne Claude waren immer für die breite Masse gedacht. Und die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk im öffentlichen Raum war Teil des Werks. Bei der Verhüllung der Pont Neuf fand diese Debatte auf der Brücke direkt statt oder wurde durch die Presse weitergetragen. Heutzutage findet die Auseinandersetzung eher im Internet statt. Das ist interessant, denn dadurch kann man auch schneller auf fake news reagieren. Die Reaktionen der Zuschauer machen jedes Kunstwerk von Christo und Jeanne Claude zu einem sehr akkuraten Spiegel der Zeit: Sie zeigen, wie die Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt tickt. Ich habe die Diskussionen auf den sozialen Medien ein bisschen mitverfolgt und finde interessant, wie sich die Situation im Vergleich zu 1985 geändert hat. Heutzutage werden wirklich viele falschen Informationen verbreitet. Immer wieder kann man lesen, dass die Leute sich aufregen, weil sie glauben, der Staat oder der Steuerzahler müsse für die Verhüllung des Triumphbogens zahlen. Das ist falsch. Wie alle Projekte von Christo und Jeanne Claude wird die Verhüllung des Triumpbogens ausschließlich vom Estate von Christo und Jeanne Claude finanziert. Und jeder Künstler kann sein Geld nutzen, wie er will. Dieses Werk ist ein großartiges Geschenk Christos an die Stadt Paris. Der Triumphbogen ist ein wichtiger Teil der französischen Geschichte, aber durch die Bewegung der Gelbwesten in den letzten Jahren wurde er zur Zielscheibe des Protests und der Gewalt. Mit der Verhüllung wird der Triumphbogen wieder zum Denkmal und erhält einen Platz in der Kunstgeschichte. Der silbrige Stoff, die roten Kordeln geben ihm sein majestätisches Auftreten zurück. Der Stoff, die Kordeln, sind eine Anspielung auf die französische Flagge. Christo wollte die historische Bedeutung des Monuments hervorheben und den Triumphbogen in seinem ganzen Glanz erstrahlen lassen. Damit bietet er den Franzosen ein einzigartiges Schauspiel.
Ein Schauspiel, das er selbst nicht sehen kann. Wäre er mit der Umsetzung des Werks zufrieden gewesen?
Ich bin sicher, er sieht uns von oben zu, und natürlich wäre er überglücklich. Er hat jede einzelne Etappe des Projektes vor seinem Tod festgelegt und selbst für minimale Details präzise Anweisungen hinterlassen. Wie beispielsweise die Platzierung der Falten des Stoffs. Der verhüllte Triumphbogen ist eine Umsetzung, die zu hundert Prozent identisch mit dem ist, was Christo erträumt und geplant hat. Jeanne-Claude und Christo wären beide sehr glücklich, zu sehen, wie er nun aussieht. Und sie wären gespannt auf die Reaktionen: Denn die kritische Auseinandersetzung, die Reaktionen des Publikums, das war ihnen immer sehr wichtig.