Zensurvorwürfe. NS-Vergleiche. Sonderseiten in den Feuilletons. Im Januar 2018 ließ die Künstlerin Sonia Boyce in der Manchester Art Gallery John William Waterhouse' Gemälde "Hylas and the Nymphs" abhängen – und löste damit den Proteststurm des Kunstjahres aus. Boyce wollte mit ihrer temporären Aktion Diskussionen über Fragen der Repräsentationen und die Macht der Museen aufwerfen: Wer wird wie von wem dargestellt? Was ist sichtbar, was sind die unsichtbaren Mechanismen der Institutionen? Nachdem sich die Schnappatmung gelegt hat, blieb zu konstatieren: Das ist der Britin auf eindrucksvolle Weise gelungen.
Jetzt hat das British Council entschieden, dass die 1962 geborene Künstlerin Großbritannien auf der Venedig-Biennale vertitt und im britischen Pavillon ausstellt. Sie wird die erste schwarze Frau sein, die mit dieser Aufgabe betraut ist. Sonia Boyce ist auch das erste schwarze weibliche Mitglied an der Royal Academy of Arts London. Was es bedeutet, in einer weitgehend weißen, patriarchalischen Gesellschaft schwarz zu sein, schwingt sein den 1980er-Jahren in ihren Zeichnungen, Gemälden und Fotografien von people of color im Vereinigten Königreich immer mit.
Emma Dexter, die Leiterin der Abteilung für bildende Künste des British Council und Kommissarin des Pavillons, sagte in einer Erklärung: "Boyces Arbeit wirft wichtige Fragen über das Wesen der Kreativität auf und stellt die Frage, wer Kunst macht, wie Ideen entstehen und wie die Natur der Autorschaft ist. In einem so entscheidenden Moment in der Geschichte Großbritanniens hat das Komitee eine Künstlerin ausgewählt, deren Werk die Einbeziehung, Großzügigkeit, Experimentierfreudigkeit und die Bedeutung der Zusammenarbeit verkörpert."
Sonia Boyces umstrittene Aktion 2018 in der Manchester Art Gallery war Teil einer Retrospektive der Künstlerin. Das Museum hatte Boyce auch zu einem "Gallery Takeover" eingeladen – einem Programm, in dem Künstler sich mit der Sammlung auseinandersetzen. Boyce konzipierte sechs Aktionen zur Darstellung von Frauen in der Kunst – die erste bestand in der temporären Abhängung von "Hylas and the Nymphs". Museumsbesucher waren aufgefordert, an die Stelle des entfernten Bildes Kommentare zu Genderfragen und zu der Aktion abzugeben. Fünf weitere Performances folgten.
"Viele Museen sehen sich heute nicht mehr als Expertenraum für Kunsttheorie ohne Bezug zum Alltag", sagte Boyce 2018 im Monopol-Interview. "Ich sage nicht, dass alle Museen disruptiv sein sollen. Aber die, die mich am meisten interessieren, führen einen aktiven Dialog mit ihren Besuchern und Mitarbeitern. Es ist kein besonders demokratisches Verständnis von Kunst, sich als Experte zu verstehen, der die Interpretation vorgibt. Es verschiebt die Dynamik von Macht. Es interessiert mich, wie Macht sich darstellt und welche Stimmen hörbar sind in der Diskussion um sie."
Dass die Debatten darüber, welche Kunstgeschichte wir sehen wollen, weiter so hochkochen, ist ein gutes Zeichen: Es bedeutet, dass die Gegenwart in Bewegung ist. Diese Diskussion werden auch zur Venedig-Biennale 2021 sicher nicht vorüber sein.