Wenn Sie sich diesen Artikel ansehen, liebe Leserinnen und Leser, brauchen Sie erst einmal keine Meinung dazu zu haben, Sie müssen ihn nicht neu layouten oder umschreiben. Die permanente Aufforderung, zu „liken“ und Flaggen zu hissen, seine Superstars selbst zu casten oder seinen Turnschuh zu gestalten, senkt zwar die Schwelle zwischen Produzenten und Konsumenten, aber auch die zwischen Beruf und Freizeit. Unseren Chef duzen wir auch schon, denn er möchte ebenfalls, dass wir unsere komplette Persönlichkeit mit ins Büro bringen und nicht allein die Schaffenskraft. Der Kulturtheoretiker Diedrich Diederichsen bringt solche Phänomene, die zumeist unter dem Stichwort Neoliberalismus diskutiert werden, auf die Formel: „Die Seele muss zur Arbeit gehen.“ Und vielleicht tue es der Seele doch auch ganz gut, wenn sie sich nützlich mache.
Eher nicht. In den vergangenen Wochen haben mehrere Schauen gezeigt, dass die Durchdringung von Arbeits-, Konsum- und Privatwelten das Individuum überfordert: „KEINE ZEIT: Erschöpftes Selbst/Entgrenztes Können“ im Wiener 21er Haus, „Privat“ in der Frankfurter Schirn, „The New Public. Von einer neuen Öffentlichkeit und einem neuen Publikum“ im Museion von Bozen.
Jetzt setzt das Kunsthaus Bregenz nach und behauptet: „Liebe ist kälter als das Kapital“ (ein vom Theatermacher René Pollesch entlehnter Titel, der wiederum einen Film des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder paraphrasiert). Für die „Ausstellung über den Wert der Gefühle“ hat Yilmaz Dziewior, der Direktor, Künstler eingeladen, Beiträge zu entwickeln. Yorgos Sapountzis stellt einen Abguss eines Bregenzer Denkmals in den Raum und damit auch die Frage nach der öffentlichen Lenkung von Gefühlen. Julika Rudelius sieht auf Zweierbeziehungen, die von Einflüsterungen der Werbe- und Popkultur geprägt sind. Sie lässt in einer Doppelprojektion Verliebte auftreten, die sich gegenseitig charakterisieren, wobei die Anweisungen dafür aus einem Knopf im Ohr stammen.
Daneben versammelt die Präsentation ältere Werke zum Thema. Von Keith Haring etwa ein Bild eines Globus in einem Herz, eine Bricolage von Isa Genzken, in der ein Rollstuhl auf ein Mercedes-Benz-Logo trifft, Hans Haackes Installation „Weite und Vielfalt der Brigade Ludwig“, die auf die Verflechtungen von Kunst und Wirtschaft blickt.
Das teilt die Liebe mit der Kunst: Am liebsten sähe man beide als hehre Sphären. Doch folgen wir dieser Augenwischerei, dann sind sie tatsächlich kälter – weil verlogener – als das Kapital.
„Liebe ist kälter als das Kapital“, Kunsthaus Bregenz, 2. Februar bis 14. April, Eröffnung: Freitag, 19 Uhr