Wenn es etwas gibt, was die Schriftstellerin Siri Hustvedt in Perfektion beherrscht, dann ist es die Beschreibung des Verzaubertwerdens. Das enchantment - der englische Begriff trifft es noch ein wenig besser - widerfährt nicht nur Hustvedts Protagonistinnen und Protagonisten, sondern den Lesenden gleich mit. Worte transportieren in Hustvedts Texten eine beeindruckende Menge an Sinnlichkeit, und wie es in den Romanen und Essays stets um die Macht von Blicken geht, fühlt sich auch das visuelle Verschlingen von Buchseiten wie ein erotischer Akt an.
Die Verzauberung hat bei der 1955 im US-Bundesstaat Minnesota geborenen Autorin viel mit Kunst zu tun. In ihrem ersten Roman "Die unsichtbare Frau" von 1983 wird die angehende Schriftstellerin Iris Vegan im kochend heißen New York durch ihre Initiation in die Kunstszene verwandelt. Sie wird zur unersättlichen Flaneuse, die vor Eindrücken zu zerspringen scheint. In "Die Verzauberung der Lily Dahl" führt eine performancehafte Fenster-Blickbeziehung zu einem Maler am Fenster schließlich zum Ausbruch der jungen Protagonistin aus dem beschaulichen amerikanischen Landleben. In "Was ich liebte" (2003) weist die eindrückliche Begegnung mit einem Gemälde den Weg in eine komplexe Beziehung zwischen zwei Künstlerpaaren. Das Buch ist eines der wenigen Beispiele der Gegenwartsliteratur, in der die Anstrengungen und das emotional Zehrende des Kunstmachens wirklich beschrieben werden - und "Künstler" nicht nur ein Attribut ist, um eine Hülle aus Interessantheit um eine Figur zu legen.
Logos braucht Eros
Auch in ihren Essays über Kunst sind der Verstand und die Empfindung nicht zu trennen. Logos funktioniert beim Betrachten von Kunst nicht ohne Eros, Siri Hustvedt springt scheinbar mühelos zwischen Kunstgeschichte und Neurowissenschaften, Psychoanalyse und persönlichen Erinnerungen. Von sich selbst und ihrer norwegisch-amerikanischen Familiengeschichte ausgehend bricht sie inzwischen immer öfter in wissenschaftliche Felder auf und hält auch Vorträge auf Fachkongressen. In ihrem Buch "Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven" geht sie einem selbst erlebten unerklärlichen Zittern auf den Grund, das sie tief in die Kulturgeschichte und die medizinischen Tradition der "hysterischen Frau" führt. Auch in ihren Romanen sind vor allem die weiblichen Figuren oft von körperlichen Leiden wie Migräne geplagt. Diese Schmerzen führen tief in die Psyche und haben etwas prophetisches und trancehaftes. Manchmal wirkt es, als hätte Hustvedt mythische Seherinnen in die moderne Welt gesetzt.
Mit ihrem Mann Paul Auster, den sie 1981 als Studentin in New York auf einer Lesung kennenlernte, hat sie auch die Inszenierung von Autorschaft perfektioniert. Jeden Menschen, der selbst kreative Ambitionen hegt, muss die Vorstellung, wie sich das Ehepaar abends auf einem perfekten Sofa im schicken Brooklyner Brownstone-Haus seine neuesten Textpassagen vorliest, vor Neid bersten lassen. Auch wenn die beiden stets betonen, dass sie am Anfang ihrer Schreiblaufbahn in prekären Verhältnissen lebten (und es auf ihrer Hochzeit aus Geldmangel nur Chicken Wings zu essen gab), kann man Hustvedt und Auster heute als Präsidentenpaar einer liberalen, gut situierten und überwiegend weißen New Yorker Intellektuellenszene begreifen.
Seit Donald Trump im Amt ist, äußern sich die beiden auch explizit politisch. In einem Fernsehbeitrag bezeichnete Siri Hustvedt den Präsidenten als "bewiesenen Frauenfeind" und bescheinigte ihm ferndiagnostisch multiple Neurosen. Auch in der politischen Debatte schwingt die Psychoanalyse mit.
"Fußspuren überall auf meinem Körper"
Die persönliche Nähe zum bekannten Dichter Paul Auster hat Siri Hustvedt auch für Sexismus im Kulturbetrieb sensibilisiert. "Anfangs fühlte es sich an, als ob die Menschen geradezu über mich drüber trampelten, um zu dem großartigen Mann zu kommen", sagte sie einmal. "Ich hatte Fußspuren überall auf meinem Körper." In Rezensionen wurde sie zuverlässig als die schöne Frau an Austers Seite beschrieben. Als sie anfing, über Neurowissenschaften zu publizieren, wurde sie immer wieder gefragt, ob ihr Mann ihr das beigebracht hätte. Paul Auster versteht von dieser Disziplin nach eigener Aussage gar nichts.
"Solange es bei Wikipedia zwei unterschiedliche Einträge für 'amerikanische Autoren' und 'weibliche amerikanische Autoren' gibt, ist der Feminismus nicht am Ziel", sagte Siri Hustvedt 2015 bei einem Gespräch im Me Collectors Room in Berlin. In ihrem Roman "Die gleißende Welt" beschreibt sie die inneren Kämpfe einer verkannten, Louise-Bourgeoise-haften Künstlerin, die nur unter männlichen Pseudonymen Erfolg hatte und deren Aufzeichnungen erst nach ihrem Tod entdeckt werden. Diese Harriet Burden (die Bürde trägt sie schon im Namen) wird irgendwann bitter. Und auch aus Hustvedts späteren Werken ist eine gewisse Ernüchterung herauszulesen. Zum Beispiel, wenn sie in ihrem Roman "Damals" von 2019 erzählt, wie das weltberühmte Pissoir-Readymade noch immer Marcel Duchamp zugeschrieben wird, obwohl es hinreichende Indizien dafür gebe, dass das Werk tatsächlich von der Dada-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Lohringhoven stammt. Die These ist bei Kunsthistorikern umstritten, Hustvedts Anklage an den Kunstbetrieb, der Frauen in den Katakomben lagert, dafür umso flammender.
Die Reflexion wird zur Schau gestellt
Man kann der Autorin vorwerfen, dass sie sich in der Rolle der intellektuellen Erzählerin inzwischen ein wenig zu bequem eingerichtet hat. Im Buch "Damals" strickt sie die Handlung auf mehreren Zeitebenen um eine autobiografisch gefärbte Figur namens "S.H.". Und erklärt dabei ihre Erkenntnisse über Erinnerung, Fakt und Fiktion so überdeutlich, dass man sich beim Lesen ärgert - oder sich zumindest fragt, ob die Romanform hier einer Zurschaustellung von Reflexion geopfert wurde.
Auch der Feminismus der S.H. - der sich im Großen und Ganzen auf den Kampf weißer Frauen gegen übermächtige Männer und den Kampf um die eigene Kreativität bezieht - wirkt inzwischen etwas in die Jahre gekommen. Das heißt nicht, dass er nicht wichtig ist, aber Autorinnenkollegen wie Meg Wolitzer ("Das weibliche Prinzip") haben gezeigt, wie sich veränderte Diskurse und neue Stimmen virtuos ins eigene Werk integrieren lassen, ohne dass man sich einem Zeitgeist anbiedern müsste.
Trotzdem sind und bleiben Siri Hustvedts Texte lustvolle Erkundungen des menschlichen Inneren. Eros und Logos zwischen Buchdeckeln. Vor allem sind sie wortgewaltige Plädoyers für die lebensverändernde Kraft der Kunst. Zum 65. Geburtstag von Siri Hustvedt bleibt zu sagen: Danke für's Verzaubern!