Für ihr Spielfilmdebüt "Women without Men" hat die in New York lebende Foto- und Video-Künstlerin Shirin Neshat 2009 einen Silbernen Löwen gewonnen. Jetzt kehrt sie an den Lido zurück. Als Filmfestspiel-Extra feiert ihr zweiter fiktionaler Film "Looking for Oum Kulthum" Premiere am Lido.
Es ist ein wichtiger Sommer für die 60-Jährige, die vor wenigen Wochen bei den Salzburger Festspielen ihr Debüt als Opernregisseurin mit Giuseppe Verdis "Aida" gab. Die Kritiken waren allerdings nicht berauschend.
Aida lebt als Kriegsgefangene am Nil, im alten Ägypten. Zufall oder nicht: Oum Kulthum, zwischen 1898 und 1910 geboren, war Ägypterin und die wohl berühmteste Sängerin der arabischen Welt. Nun widmet ihr Neshat mit "Looking for Oum Kulthum“"einen Spielfilm. Oder geht es doch nur am Rande um den ägyptischen Bühnenstar?
Als Oum Kulthum 1975 in Kairo beerdigt wurde, versammelten sich mehrere Millionen von Trauernden in den Straßen. Die Konzertszenen bilden die Höhepunkte in Neshats Film, dank der Präsenz der Kulthum-Darstellerin Yasmin Raeis und den stimmlichen Leistungen ihres Voice-Covers (zu der es keine Informationen gibt). Kulthums melismatischer Gesang, der im Film ziemlich verblüffend kopiert wird, macht Lust auf mehr. Es ist eine Musik, die auf anziehende Weise fremdartig klingt – für westliche Ohren. Wie bei "Women without Men" stand der Österreicher Martin Gschlacht an der Kamera – die farbsatten Bilder der Bühnenaktion und der hingerissen lauschenden Zuhörer wirken erstaunlich authentisch und lebendig.
Problematisch wirkt sich Neshats Entscheidung aus, die biografischen Szenen in die Story einer Regisseurin (Neda Rahmanian) einzubinden, die einen Film über Oum Kulthum dreht und dieses Projekt am Ende platzen lässt. Die Schlussszene, in der es zu einem irrealen Treffen zwischen der Filmemacherin Mitra und der (eigentlich schon toten) Sängerin Oum kommt, ist allerdings von entwaffnender Ehrlichkeit: Der Gesangsstar wendet sich offen gegen die Intentionen der Regisseurin, sie in Momenten des Scheiterns zu zeigen. Die Szene – die Mitra am Ende nicht fertig drehen darf – in der Kulthum auf offener Bühne die Stimme wegbleibt, empfindet der Geist als Affront. Am Schluss stehen Mitra und Oums Erscheinung schweigend nebeneinander, blicken aufs Meer. Dahinter steht das offene Eingeständnis der echten Regisseurin – Shirin Neshat – eines Dissens' mit der historischen Figur.
Das ist vollkommen in Ordnung. Problematisch erscheint dagegen, dass die im Exil lebende iranische Künstlerin ihr eigenes Schicksal allzu eng mit der Biografie Oum Kulthums verknüpft hat.
Über die Sängerin, die auch politisch in Ägypten eine eminente Rolle gespielt hat, möchte man mehr erfahren – und erfährt durch Neshat doch nur sehr wenig. Im Vordergrund der Handlung stehen die inneren und äußeren Konflikte der Filmemacherin Mitra und die Zusammenarbeit mit ihrer Hauptdarstellerin Ghada – zwei Figuren, die nicht interessant genug sind, um einen Spielfilm zu tragen. Man wünscht sich Oum Kulthum an die Rampe.