Der Amerikaner Alec Soth, das ist keine Übertreibung, zählt seit einigen Jahren zu den wichtigsten Fotografen weltweit. Die Fotoagentur Magnum hat ihn 2008 aufgenommen, seine Bücher sind zuerst im Steidl Verlag erschienen, seine Ausstellungen sind international in bedeutenden Museen und Ausstellungshäusern zu sehen. Da kann man schon mal in eine Schaffenskrise geraten.
Auch Fotografen laufen Gefahr zu enden wie die Band Nickelback: mit Songs, die sich alle gleich anhören, weil die Hit-Formel gefunden und es sehr angenehm ist, einen Song nach dem anderen im Radio laufen zu haben. Wer möchte sich schon gern selbst wiederholen?
Und weil Alec Soth das mit seinem neuen Fotobuch "I Know How Furiously Your Heart Is Beating" jetzt trotzdem macht, sieht er sich zu einer Rechtfertigung genötigt. Sein Buch "Sleeping by the Mississippi" hatte 2004 so eingeschlagen, weil er in die Fußstapfen von Robert Frank trat und auf einem Roadtrip entlang des Mississippi das amerikanische Leben dokumentierte - subjektiv, mit einem Hauch Poesie und Melancholie. Im Vergleich dazu fürchtet er, jetzt langweilig daherzukommen. "Porträts und Interieurs auf jeder Reise: Ich merke, wie wenig aufregend das ist. Es ist einfach nicht sexy", schreibt er.
Allerdings erweist sich im neuen Buch sein Storytelling als ebenso ausgezeichnet wie seine Fotos. Den erzählerischen Rahmen bildet ein Gespräch am Ende des Buches mit der Schriftstellerin Hanya Yanagihara – es hätte keine bessere Wahl geben können, wenn es um Porträts vom Leben gezeichneter Menschen geht. Mit ihrem zweiten Roman, dem internationalen Bestseller "Ein wenig Leben" (2016), überfordert sie ihre Leser mit überbordenden Gefühlen. Es ist ein Roman über Freundschaft und Liebe, über Verzweiflung, die Liebe und Freundschaft mit sich bringen, wenn ein von Schutzbefohlenen zutiefst Verletzter niemanden an sich heranlässt, weil er für die eigenen Gefühle keine Worte findet.
Alec Soth derweil ist ein Mann der Gefühle, nie verlegen, über Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten zu sprechen. Mit Yanagihara spricht er offen über seine Schaffenskrise und ihren Auslöser. Auf einem Trip nach Helsinki vor ein paar Jahren, er meditierte im Flugzeug, kam ihm nach einem langen Spaziergang auf einer Bank sitzend die Erkenntnis – er nennt es eine mystische Erfahrung: Alles ist mit allem verbunden. Das brachte ihn zum Nachdenken. Bisher ging es ihm beim Fotografieren um ein Gefühl von Distanz. Wenn aber alles mit allem verbunden ist, verstärkt er mit seiner Arbeit nicht die Distanz?
Soth hat dann erst einmal aufgehört, Menschen zu fotografieren. Ein Jahr lang saß er in seinem Bauernhaus, las, schaute ins Licht. Er fragte sich dabei immer wieder, warum er überhaupt Menschen fotografiert und was sie davon haben. Dann erst ging er wieder wie zuvor auf Reisen, um wiederum Porträts zu machen. Und entschied sich dafür, es auf Begegnungen ankommen zu lassen und abzuwarten, ob sich etwas ergibt, statt davon auszugehen, dass die Porträtierten etwas für ihn tun.
So weit das Storytelling. Ergeben hat sich sehr viel. Obwohl die Porträtierten tatsächlich nicht viel dazu beitragen mussten, außer ihn mit seiner Kamera in ihre Wohnungen zu lassen. Es ist wie immer bei Soth: Sie sitzen, liegen, stehen mitten in ihrem Leben und müssen nicht über ihre Gefühle sprechen, weil er daraus Bilder macht. Und es ist wie bei Yanagihara: Die Gefühle sind sehr laut aufgedreht. Die Porträtierten wirken zu einsam, zu distanziert, zu melancholisch.
Yanagiharas Roman "Ein wenig Leben" ist stellenweise so brutal, dass man als Leser den geschilderten Schmerz kaum ertragen kann und das Buch weglegen muss. Bei Soth wiederum kann man gar nicht genug von den Gefühlen bekommen, weil seine Bilder nicht wie ihre Geschichte auserzählt sind.