Diese Frau ist gefährlich. Die Augen sind halb geschlossen, der Mund geöffnet in sichtbarer Erregung. Die nackte Brust lugt aus dem zerfetzten Gewand, die schwarzen Haare heben sich markant von dem goldenen Bildhintergrund ab. Dass sie einen abgeschlagenen Männerkopf in der Hand trägt, sieht man erst im letzten Moment. Die verführerische Judith hat gesiegt, Holofernes bleibt nur die rechte untere Bildecke.
Gustav Klimt malte die Judith im Jahr 1901 nach dem Modell seiner Geliebten Adele Bloch Bauer, 1905 wurde das Gemälde bei einer Ausstellung der Berliner Secession ausgestellt. Jetzt ist die Judith erstmals nach Berlin zurückgekehrt – und trifft gleich zu Beginn der Schau "Secessionen" in der Alten Nationalgalerie auf einige weitere interessante Frauen.
Allen voran die "Pallas Athene" des Münchners Franz von Stuck von 1898, eher entschlossen als erotisch, aber ebenfalls auf Gold gegründet. Franz von Stucks "Sünde" (1912) ist auch gleich im Blickfeld, dessen frühere Version Klimt zum Typus der Femme Fatale inspirierte, dazu von Stucks diabolische "Tilla Durieux als Circe" aus dem gleichen Jahr. Von den Münchner zu den Wiener Verführerinnen ist es nicht weit, das machen auch Klimts Version der "Pallas Athene" oder sein Bildnis der Emilie Flöge klar. Die Geschichte der modernen Malerei in wird oft als die ihrer berühmten Einzelkünstler gelesen. Doch sie hängt zusammen – das will die Ausstellung "Secessionen" in der Alten Nationalgalerie zeigen.
1892 in München, 1897 in Wien und 1899 in Berlin spalten sich jeweils progressive Gruppen von den traditionellen Künstlervereinigungen ab und werden zum Motor der Avantgarden. In Wien ist Klimt die prägende Figur, er etabliert mit seinen prachtvollen Ornamenten und dem Hang zum Gesamtkunstwerk den Jugendstil. Die verrätselten Bildwelten des Franz von Stuck drückten der Münchner Secession eine symbolistische Prägung auf. Und Max Liebermanns luftig hingetupfter Impressionismus wurde als Kennzeichen der Berliner Secessionsbewegung identifiziert.
Stilistische Vielfalt und Individualität
Doch Jugendstil in Wien, Symbolismus in München und Impressionismus in Berlin, dieses Schema wäre zu einfach, so die These der Ausstellung. Denn es gab es nicht nur vielfältigen Austausch zwischen den einzelnen Secessionsbewegungen, sondern auch eine stilistische Vielfalt und Individualität innerhalb jeder Gruppe. Und so bleiben die Kuratoren der Ausstellung, Ralph Gleis aus Berlin und Ursula Storch, stellvertretende Direktorin des Wien Museum, nicht bei den ganz großen Hits stehen. Insgesamt sind Gemälde, Grafiken und Zeichnungen von rund 80 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen.
Und wenn man sich auch jenseits der klug miteinander in Beziehung gesetzten Blockbuster-Werke – von Klimt hat Ursula Storch auch ein sensationelles Zeichnungskonvolut aus dem Wien Museum mitgebracht – auf den thematischen Ausstellungsparcours einlässt, entfaltet sich das vielschichtige Bild einer historischen Gemengelage, in der ein Aufbruch in viele Richtungen denkbar schien. Symbolistisch rätselhafte Landschaften schufen auch Georg Kolbe in Berlin in seiner melancholischen "Goldenen Insel" von 1898, und der in blaues Licht getauchte Hexensabbat, den der Wiener Wilhelm Bernatzik 1902 in seinem Gemälde "Die Flamme" imaginiert, ist surreal wie ein moderner Fantasy-Film.
Die Jahrhundertwende ist auch die Zeit einer neuen Sensibilität für Kinder und familiäre Beziehungen. Lovis Corinths zeigt die kleine Suzanne Aimée Cassirer von 1901 beim Spielen, die angeschnittene Perspektive von oben scheint den modernen Fotoschnappschuss vorweg zu nehmen. Und Heinrich Eduard Linde-Walther malt seinen Kollegen, den Maler Gutmann, mit seinem Baby auf dem Arm, die Augen hingebungsvoll geschlossen. Die Berliner Bestände mögen insgesamt nicht so viel Erotik zu bieten haben wie die Wiener und Münchner – dafür diesen Mann mit Schnurrbart und Anzug, der sich dem Duft seines Kindes hingibt, was für ein großartiges Motiv!
Auswahl bei Werken von Künstlerinnen etwas begrenzt
Berlin war im Übrigen auch die einzige der drei Secessionsstädte, in denen Frauen von Anfang an in die Vereinigung aufgenommen wurden und auch ausstellten, und so war die Auswahl bei den Werken von Künstlerinnen etwas begrenzt. Die Frauen, die damals dabei waren, wie Sabine Lepsius oder Julie Wolfthorn, sind aber mit eindrucksvollen Werken vertreten. Während eine Aktivistin bei der Pressekonferenz mehr weibliche Präsenz forderte, haben die Kuratoren den weiblichen Anteil aber nicht extra hochgefahren, sondern ungefähr bei dem Wert belassen, der auch historisch belegt ist. Dafür konnte die Nationalgalerie für die Ausstellung eine "Dame in Weiß" von Ernestina Schultze- Naumburg (Orlandini) ankaufen.
Und ja, diese Avantgarden werden dominiert von Männern und ihren Frauenprojektionen. Aber es gibt eben auch andere Bilder: das ruhige Selbstporträt der Malerin Emilie von Hallavanya aus der Sammlung des Münchner Lenbachhauses. Oder der freche, proletarische "Katzenfresser" von Elena Luksch-Makowsky aus dem Belvedere in Wien. Luksch-Makowsky ist auch in Österreich bislang nicht sehr prominent – vielleicht ändert sich das ja bald. Im kommenden Jahr, nach der Neueröffnung des im Umbau begriffenen Wien Museums, werden die "Secessionen" in Wien zu sehen sein.