Die Generaldirektorin der Documenta Fifteen, Sabine Schormann, will trotz steigenden Drucks wegen des Antisemitismus-Skandals auf der Documenta nicht zurücktreten. "Ich nehme meine Aufgabe wie sie mir gestellt wurde verantwortungsvoll wahr und glaube nach wie vor an diese Documenta", sagte Schormann am Donnerstag in Kassel. Letztlich liege die Entscheidung aber in der Hand der zuständigen Verantwortlichen und Gremien. "In einer solchen Situation ist nichts auszuschließen."
Zunächst müsse es aber darum gehen, die Vorgänge aufzuarbeiten und "das Schiff wieder auf Kurs zu bringen", betonte sie. "Und bei schwerer See geht ein Kapitän nicht von Bord. So sehe ich an diesem Punkt auch meine Rolle, ich bin für die Organisation der Ausstellung verantwortlich und habe weitere Maßnahmen eingeleitet." So habe sie das Kuratorenkollektiv Ruangrupa um eine Stellungnahme gebeten.
Die folgte noch am Abend. Ruangrupa entschuldigte sich. "Wir haben alle darin versagt, in dem Werk die antisemitischen Figuren zu entdecken", schrieb das Kollektiv auf der Webseite der Documenta Fifteen. "Es ist unser Fehler. Wir entschuldigen uns für die Enttäuschung, die Schande, Frustration, Verrat und Schock, die wir bei den Betrachtern verursacht haben."
"Die Ausstellung trotz allem offen halten"
"Wie wir jetzt vollständig verstehen, knüpft diese Bildsprache nahtlos an die schrecklichste Episode der deutschen Geschichte an, in der jüdische Menschen in beispiellosem Ausmaß angegriffen und ermordet wurden", schrieb Ruangrupa weiter über das Werk. "Wir nutzen diese Gelegenheit, um uns über die grausame Geschichte und Gegenwart des Antisemitismus weiterzubilden und sind schockiert, dass diese Figur es in das fragliche Werk geschafft hat." Das Kollektiv betonte: "Wir sind hier, um zu bleiben und entschlossen, diese Ausstellung allen Widrigkeiten zum Trotz offen zu halten."
Ruangrupa bedankte sich für die "konstruktive Kritik und Solidarität", betonte aber auch, dass es sich teils nicht fair behandelt fühle: "Wir haben das Gefühl, dass viele der Anschuldigungen gegen uns erhoben wurden, ohne dass zuvor ein offener Austausch und gegenseitiges Lernen angestrebt wurde." Es wolle den "Dialog, mit denen, die uns ehrlich unterstützt haben, an uns geglaubt haben", fortführen. "Wir möchten auch weiterhin mit der Öffentlichkeit, Besuchern und lokalen Basisinitiativen, die unsere Arbeiten ansprechen, ins Gespräch kommen."
Am Dienstag war ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi nach wenigen Tagen auf der Documenta abgebaut worden. Zuvor hatte es schon seit Monaten Antisemitismus-Vorwürfe gegen Ruangrupa gegeben.
"Ein entsetzlicher Fehler"
Schormann unterstrich erneut, dass es nicht Aufgabe der Geschäftsführung sei, die Werke vorab zu prüfen und freizugeben. "Das ist Kernaufgabe der künstlerischen Leitung." Angesichts der Materialfülle habe sich Ruangrupa "leider nicht jedes Bild mit der Lupe anschauen können, obwohl dies hinsichtlich des sensiblen Themas Antisemitismus zugesichert war". Als für die Documenta GmbH verantwortliche Geschäftsführerin sei auch sie geschockt gewesen, dass es trotz aller Versicherungen im Vorfeld zu diesem "entsetzlichen Fehler" gekommen sei.
Auch betonte Schormann erneut, dass die Geschehnisse aufgearbeitet würden und es nun eine "genaue und bedachte" Prüfung der übrigen Werke auf kritische Inhalte auch mithilfe externer Expertinnen und Experten geben werde. Sie bekräftigte zudem den Wunsch aller Verantwortlichen nach einem offenen und konstruktiven Dialog über Rassismus und Antisemitismus.
Dazu hatte sie zuvor eine Gesprächsreihe angekündigt. Außerdem solle es einen "Begegnungsstand" am Friedrichsplatz in Kassel geben – mit der Bildungsstätte Anne Frank und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Am Friedrichsplatz war das Werk aufgestellt, bevor es verhüllt und am Dienstag schließlich abgebaut wurde.
Documenta nicht unter Generalverdacht stellen
Trotz der stattgefundenen Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte habe Ruangrupa die Motive nicht als antisemitisch wahrgenommen. "In Indonesien ist das scheinbar ein unverfängliches Bild", sagte Schormann, "auch wenn das für uns unverständlich erscheint, zumal Antisemitismus auch außerhalb Deutschlands wächst". Sollte es weitere antisemitische Inhalte geben, würden diese wie das umstrittene Banner deinstalliert. In kritischen Fällen müsse über das Werk diskutiert werden. Es sei aber nicht angezeigt, die gesamte Documenta nun unter Generalverdacht zu stellen.
Zum Plan der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, dem Bund künftig mehr Einfluss auf die Documenta einzuräumen, sagte Schormann: "Auf jeden Fall tut es einer Ausstellung, die einen weltweiten Anspruch hat, gut, wenn es entsprechende überregionale Fachkompetenz auch in den Aufsichtsgremien gibt." Ob das durch den Bund oder andere Fachexperten ausgeführt werde, sei dabei zweitrangig. "Aber eine Unterstützung von dieser Seite ist sicher positiv zu bewerten."
Roth hatte überdies betont, die Verantwortlichkeiten zwischen der Geschäftsführung sowie den Kuratorinnen und Kuratoren wie auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden und den Gremien müssten klar geklärt werden. "Die Verantwortlichkeiten sind klar", sagte Schormann. "Nichtsdestotrotz müssen wir jetzt im Detail mit Ruangrupa aufarbeiten, wie es dazu kommen konnte, dass Vereinbarungen und Aufgaben, die auch vertraglich zwischen künstlerischer Leitung und Geschäftsführung festgelegt sind, so nicht eingehalten wurden."
"Über die Rahmenbedingungen sprechen"
Das Kollektiv verstehe sich nicht als Kurator im klassischen Sinne, betonte Schormann. "Sie wollen nicht die Rolle des Bestimmers einnehmen, sondern Freiräume lassen." Das sei eben das Radikale und Neue am künstlerischen Konzept Ruangrupas.
Daraus entstehe ein Prozess, der komplett nur sehr schwer zu kontrollieren sei, der andererseits aber auch zu wunderbaren Ergebnissen auf dieser Documenta geführt habe. "Ich wünsche mir, dass diese Documenta so heiter, beschwingt und nachdenkenswert weitergeht, wie sie den meisten Besucherinnen und Besuchern mit Blick auf den Gesamteindruck offenbar erscheint."
Wird es eine Documenta 16 geben? "Ich gehe davon aus und hoffe es natürlich", sagte Schormann. "Wiewohl man sicherlich, und das meine ich nicht nur spezifisch auf die Documenta bezogen, unter diesen sich zuspitzenden kulturellen Fragestellungen vorab über die Rahmenbedingungen wird sprechen müssen, in welcher Form man internationalen, kulturellen Austausch herbeiführen kann." Alles vorab per Quote zu regeln, könne sicher nicht der Weg sein.