Galeristin Sarah Le Quang Sang

"Liebe kann eine Form des Widerstands sein"

Mit ihrer SLQS Gallery eröffnet Sarah Le Quang Sang in London einen Raum für Künstlerinnen und queere Perspektiven. Ein Gespräch über strukturelle Hürden in der Kunstwelt, Liebe als politische Kraft und die Frage, warum es eigentlich 100 solcher Galerien bräuchte


Sarah Le Quang Sang, Sie haben gerade Ihre SLQS Gallery in London eröffnet. Wie haben Sie das Opening erlebt?

Es war ein unglaublicher Abend – intensiv, voller Energie und mit einem überwältigenden Besucherandrang. Zwischenzeitlich war es so voll, dass wir eine Einlassregel nach dem Prinzip one in, one out einführen mussten, fast wie in einem Club. Am meisten berührt hat mich die Begeisterung der Menschen für den Raum. Viele Besucherinnen und Besucher, die ich zuvor nicht kannte, kamen auf mich zu und erzählten, wie sehr sie sich über die Eröffnung freuten und wie wichtig sie es fänden, dass Frauen und queere Kunstschaffende mehr Sichtbarkeit bekämen. Es war ein echtes Fest – nicht nur für die Galerie selbst, sondern vor allem für das, wofür sie steht. Besonders emotional war die Reaktion auf Polly Penroses Fotografien, die sie vor der Renovierung der Galerie aufgenommen hat – intime Bilder, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter gemacht hat. Ich hatte eine starke Resonanz erwartet, weil mich diese Arbeiten selbst beim ersten Sehen tief berührt haben. Aber mitzuerleben, wie dieses Gefühl im Raum nachhallte, war noch einmal eine ganz andere Erfahrung.

Ihre erste Schau "Felt, expressed, chosen" ist eine Gruppenausstellung der Künstlerinnen Ingrid Berthon-Moine, Dyana Gravina, Polly Penrose, Mia Wilkinson und Kate Williams. Sie widmet sich nicht-romantischen Ausdrucksformen von Liebe. Warum war es Ihnen wichtig, Liebe gerade aus dieser Perspektive zu zeigen?

Weil Liebe – wie so viele Dinge – zur Ware gemacht wurde. Der Valentinstag ist das perfekte Beispiel dafür: Er verwandelt romantische Liebe in ein Konsumprodukt. Doch Liebe ist so viel mehr als das. Während der Vorbereitungen auf die Ausstellung habe ich "All About Love" von Bell Hooks noch einmal gelesen – ein Buch aus dem Jahr 1999, das heute erschreckend aktuell wirkt. In einer Zeit zunehmender politischer Spaltung, in der Hass und Ausgrenzung wachsen, wollte ich eine andere Perspektive auf Liebe zeigen – nicht als romantische Geste, sondern als grundlegende, kraftvolle Energie. Bell Hooks beschreibt in "All About Love", wie sehr wir die Fähigkeit zu lieben verlernt haben, wie wenig wir sie als essenziellen Wert begreifen. Würde Liebe derselbe Stellenwert zugemessen werden wie anderen gesellschaftlichen Bereichen, sähe unsere Realität ganz anders aus. Angesichts der globalen Rückschläge für die Rechte von Frauen und LGBTQ+-Personen war es mir wichtig, ein Zeichen zu setzen: Liebe kann eine Form des Widerstands sein. Sie kann Menschen zusammenbringen, Verbindungen schaffen und Gemeinschaft stärken – und genau das brauchen wir heute mehr denn je.

Polly Penrose Where Have I Gone
© Courtesy SLQS Gallery

Polly Penrose "Where Have I Gone 2"


Sie haben den weltweiten Backlash schon angesprochen: Konservative Regierungen greifen weltweit queere Identitäten und Frauenrechte an. In den USA wird das dritte Geschlecht aus dem Pass gestrichen, in Deutschland zeigte ein damaliger Kanzlerkandidat Verständnis dafür. Hat Sie dieser Trend in der Entscheidung, die SLQS Gallery gerade jetzt zu eröffnen, bestärkt?

Ich hatte die Eröffnung dieser Galerie lange geplant, noch bevor die aktuelle Gegenbewegung erstarkte. Die Rechte von Frauen und queeren Menschen standen nie auf sicherem Boden – sie werden seit jeher infrage gestellt. Die Zahlen sprechen für sich: Es gibt eine enorme Kluft zwischen der Anzahl von Frauen, die Kunst studieren, und denen, die tatsächlich Sichtbarkeit als Künstlerinnen erlangen. Dazu kommt eine signifikante Gender Pay Gap in der Kunstwelt. Und wenn es um queere Kunstschaffende geht, gibt es kaum verlässliche Daten über ihre Repräsentation – was allein schon zeigt, wie wenig ihre Stimmen anerkannt und unterstützt werden. Diese Herausforderungen waren die ursprüngliche Motivation für die SLQS Gallery. Aber die aktuelle politische Lage macht noch deutlicher, wie wichtig solche Räume sind. Selbst wenn es 100 solche Galerien gäbe, wäre das noch immer nicht genug. Da ist noch so viel zu tun.

Welche Schwierigkeiten bringt die Ausrichtung der Galerie im aktuellen gesellschaftlichen Klima mit sich?

Eine der größten Herausforderungen ist, dass Frauen und queere Kunstschaffende in der Kunstwelt oft auf dieselben strukturellen Barrieren stoßen wie in der Gesellschaft insgesamt: Ausgrenzung, Unsichtbarkeit und starre Erwartungshaltungen. Mit der SLQS Gallery möchte ich hinterfragen, wie Erfolg in der Kunstwelt definiert wird. Es gibt ziemlich festgefahrene Vorstellungen davon, wie eine Künstlerkarriere optimalerweise verlaufen sollte – wann jemand die erste Einzelausstellung haben, wann eine Institution ihn oder sie zeigen sollte. Doch diese Normen basieren auf Karrieremodellen, die für Menschen ohne Care-Verantwortung oder Migrationserfahrung geschaffen wurden. Für viele Frauen, queere Personen oder Migrantinnen und Migranten verlaufen Karrieren anders. Ihre Biografien enthalten Lücken, Umwege oder spätere Einstiege. Doch anstatt das als Schwäche anzusehen, sollten wir diese Erfahrungen als Bereicherung anerkennen. Ich arbeite mit Künstlerinnen und Künstlern, die über Jahre hinweg starke Communitys aufgebaut oder ihre Praxis erst später begonnen haben. Diese Erfahrungen sind wertvoll. Die Kunstwelt muss ihre Maßstäbe für Erfolg überdenken.

Mia Wilkinson Kinks
© Courtesy SLQS Gallery

Mia Wilkinson "Kinks"


Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?

Meine Hoffnung für die Zukunft ist eine gerechtere Kunstwelt – ein Kunstmarkt, der wirklich inklusiv ist. Lange Zeit wurden Konzepte wie Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion als unumkehrbarer Fortschritt betrachtet. Doch inzwischen erleben wir, wie genau diese Errungenschaften infrage gestellt und zurückgedrängt werden. Das zeigt, dass Fortschritt niemals selbstverständlich ist. Meine Hoffnung ist, dass wir weiter vorankommen. Dass Künstlerinnen und Künstler, die nicht in die traditionellen Strukturen des Kunstmarktes passen, mehr Anerkennung finden.

Lassen Sie uns nochmal auf die Ausstellung und das Thema Liebe zu sprechen kommen: Mia Wilkinson verbindet in ihren Bildern Selbstliebe mit Begehren und Häuslichkeit, Ingrid Berthon-Moine setzt sich mit Trauer als einer Form von Liebe auseinander. Gibt es eine Arbeit in der Schau, die für Sie besonders radikal ist – oder die Ihr Verständnis von Liebe infrage gestellt hat?

Es ist schwer, eine einzelne Arbeit hervorzuheben, da ich diese Ausstellung so kuratiert habe, dass sie die Vielschichtigkeit und Komplexität von Liebe sichtbar macht. Alle fünf Künstlerinnen bringen unterschiedliche, aber miteinander verwobene Perspektiven ein und hinterfragen unsere Vorstellungen von Liebe und Begehren. Mia Wilkinson und Ingrid Berthon-Moine sind zwei Künstlerinnen, die Humor gezielt als Mittel einsetzen, um ihr Publikum einzubinden. 

Wie sieht das aus?

In "Kinks", einem Gemälde von Mia Wilkinson, verweben sich mehrere Bedeutungsebenen: Selbstliebe, die Intimität des weiblichen Lebens im häuslichen Raum und die verschiedenen Rollen, die Frauen zugeschrieben werden. Die Blumen in den Aquarellen von Ingrid Berthon-Moine sind fest im Boden verwurzelt – hier wird Liebe als eine stabile, kraftspendende Energiequelle erfahrbar. In "Softcore 4/Pouch" lädt Kate Williams uns dazu ein, Komfort sowohl als beruhigend als auch als potenziell erdrückend zu betrachten. Worauf ich mich besonders freue, ist Dyana Gravinas Performance am Internationalen Frauentag anlässlich der Veröffentlichung ihres Buches "Embodied Histories: Medicalised Sexuality, Birth, and Subversive Bodies". Sie erforscht die Schnittstelle von Geburt und Sexualität – ein Thema, das weitgehend unsichtbar bleibt. Ihre Live-Performances sind immer einzigartig und ortsspezifisch, sodass es eine einmalige Gelegenheit sein wird, sich mit diesen Themen auf eine Weise auseinanderzusetzen, die drängend und tiefgehend relevant ist.

Dyana Gravina Birthing Subjectivities
© Courtesy SLQS Gallery

Dyana Gravina "Birthing Subjectivities"