Sandra Knecht in Basel

Heimat als Fremde

Die Ausstellung "Home is a Foreign Place" der Schweizer Künstlerin Sandra Knecht ist eine Einladung in eine vieldeutige Welt, in der es um Heimat, Queerness und die Bedingungen des Verstehens geht. Eine Begegnung

Als wir auf dem Weg zum großen internationalen Reitturnier in Basel sind, weil wir beide finden, das wäre der beste Ort, um die Zeit zwischen Presserundgang und ihrer Ausstellungseröffnung zu verbringen, da sagt Sandra Knecht zu mir: Blöd wäre es jetzt, wenn die Journalisten, denen die Künstlerin gerade ihre bisher größte Einzelausstellung in der Kulturstiftung Basel H Geiger erklärt hat, wieder schreiben würden, sie sei eine Bäuerin, die auch Kunst macht. 

Ich nicke und finde das natürlich trotzdem als erzählbares Label gar nicht so schlecht. Es gibt allerdings noch ein paar ergänzende Kategorisierungen von Sandra Knecht, die in Hinsicht auf ihre künstlerische Idee Sinn ergeben: Die Lesbe aus den Schweizer Bergen, die Ex-Sozialarbeiterin, die sich in ihrer Kunst mit Heimat beschäftigt. Die kochende Konzeptkünstlerin. Alles richtig und alles falsch gleichzeitig, oder? Schweizerinnen und Schweizer stellen ja oft ein "oder?" an das Satzende, um zu betonen, dass es sich bei ihrer Aussage überhaupt nicht um etwas Diskutierbares handelt.

Aber jetzt springen da erstmal sehr große Tiere über sehr hohe Hindernisse. Der Moderator spricht eine Sprache, die ich nicht verstehe. Klingt wie Holländisch, sagt Sandra. Aber das ist es auch nicht. Es muss komisch sein, zwei Jahre an einer Ausstellung zu arbeiten, an der man dann so kurz vor Eröffnung auch nichts mehr ändern kann oder sollte. Wenn das jetzt keiner versteht, dann war es das ja dann vielleicht auch mit dem Job der Künstlerin. Dieser Gedanke kommt mir sehr viel merkwürdiger vor als Pferde, die gerade über 1,45-Meter-Hindernisse springen, die von Tommy Hilfiger gesponsert wurden. Und ich entschließe, keine Künstlerin zu sein.

Die Liebe zu Pferden, die Wut auf die Welt

Aber Sandra und mich vereint etwas anderes als der Beruf. Die Liebe zu Pferden, das Aufwachsen auf dem Land, zu dem wir nie gehören durften, weil wir anders waren. Die Wut auf die Welt vereint uns auch, aber in Wirklichkeit ist es natürlich die große Liebe zur Welt. Aber warum jetzt gleich persönlich werden? Nun ja, einmal weil ich Sandra persönlich kenne und das hier aus Transparenzgründen deutlich machen möchte – ich bin nicht unvoreingenommen –, und weil Sandra eine schwer zu greifenden Künstlerin ist. Da muss man großflächig ansetzen.

Nehmen wir das Turnier hier. Sandra wohnt in einem Bergdorf und hat viele Tiere, diese Tiere haben Namen: Bläcky, der Hahn. Lupina, die Hündin. Babettli, ein Huhn, bereits verstorben, kurz vor dem Tod legte sie aus Schreck ein Ei. Ein Angstei.

Daraus hat Sandra ein tausendjähriges Ei gemacht. Und Sandra geht mit ihren Ziegen spazieren. Da würde man jetzt erwarten, sie lehne Reitsport ab und ernähre sich nur vegetarisch. Aber so einfach macht sie es sich nicht. Zur Vernissage gab es eines ihrer Tiere als Wurst. War sehr lecker. Es war auch Fenchel darin. Oft wird geschrieben, Sandra schlachte ihre Tiere selbst, aber das stimmt nicht. Die Leute lieben aber diese Kategorisierung besonders.

Wenn die Kunstmeute durch den Dorfschlamm watet

Sandra Knecht, geboren 1968 in Zürich, die recht spät erst Kunst studierte, liebt House-Musik und Patti Smith, sieht aus wie eine butch und ist der zarteste Mensch, den ich kenne. Sie hat ein Faible für schlechtes Fernsehen und ein grundsätzliches Mistrauen gegenüber Religionen. Sie weiß sehr genau, was sie nicht will und scheint mit dem Bauch zu entscheiden. Manchmal auch mehrmals.

Und auch ihre Ausstellung ist mit derlei vielen und gegensätzlichen Bezeichnungen zu beschreiben. Es ist eine Ansammlung von Exponaten. Es wird aber auch Dinnerpartys geben, Konzerte, Performances und Diskussionen. Und ein Buch ist Teil der Schau, kein klassischer Katalog, sondern darin sind Bilder oder Gerichte, die sie zu den Künstlerinnen entwickelt hat, die ihr Leben prägten. Es gibt Essays, ein Interview mit Serpentine-Gallery-Kurator Hans Ulrich Obrist, der bei Sandra zu Besuch war und ein großes Interesse an ihrem Truthahn Kurt zeigte. Wie Sandra sich freut, wenn die Kunstmeute durch den Dorfschlamm watet.

In dem Buch finden sich auch Geschichten über Abende, die ich mit Sandra verbrachte: Sie suchte die Leute und ein Restaurant aus, wir gingen essen, redeten über Gehirne, LSD, Katzenparasiten, Feminismus-Wein und Nacktschnecken. Und ich schrieb dann darüber. Ab und zu fragten mich Menschen, was denn diese Ausstellung wohl werden würde, und in den zwei Jahren, in denen sie entstand und in denen ich Sandra regelmäßig traf, konnte ich das nie so genau sagen. Und jetzt, wo sie bis Ende April in Basel bei freiem Eintritt zu sehen sein wird? So einfach lässt sich das jetzt auch nicht erklären. Sandra ist eben auch ein sich verweigernder Punk.

Exponate wie ein Newton-Pendel

Da steht zum Beispiel eine frühe Skulptur von Louise Bourgeois. Dort eine Platte von Peaches oder Klaus Nomi. Die Bronze eines mumifizierten Tieres auf einem alten Möbelstück. Ein Foto von Frida Kahlo hängt bei einem Motorradhelm, der Sandra vor schweren Verletzungen schützte. Kinderzeichnungen von ihr. Ein Stapel voller Dachziegeln. Ein begehbares und historisches Bienenhaus. "Willst Du Fleiß und Ordnung sehen, musst Du zu den Bienen gehen" steht darauf. Dort ein Wespennest, das von einem Siebenschläfer als Behausung genutzt wurde. Da ein Foto von Sandra als Kuh. Sandras tolle Partnerin hat die Rahmen gebaut, aus einem seltenen Schweizer Holz. Elsbeere. Darin sind Fotos, mit Sandra oder von Sandra gemacht.

Die Rinde ihres Lieblingsbaumes wurde in Bronze gegossen. In Schaukästen sind Gucci Loafer in Gummiüberzug, ein Truckercap voller Knochen eines Fuchses. Im Schaufenster am Gebäude sieht man die Fotos, die der Fotograf Lukas Wassmann von Sandra und den Dorfbewohnern gemacht hat, die in Pullovern gekleidet sind, die ebenfalls für diese Ausstellung gestalteten wurden. Wie sie Handstand machen, wie sie auf Ponys sitzen, am Ofen. Und dann steht da so ein Sofa, das jeder haben will, seitdem es Influencer geschenkt bekommen. Man denkt, Sandra kommt vom hinterm Berg, aber das weiß sie natürlich trotzdem. Auf dem kann man jedenfalls sitzen und auf Sandras Anlage Musik hören. Schnaps trinken auch. Sie hat nämlich einen Schnaps gemacht, der mit einer Medaille prämiert wurde.

Sind die Exponate so zu verstehen, wie Magneten, die sich abstoßen, frage ich Sandra auf dem Weg zum Reitturnier. Eher so wie das Newton-Pendel, sagt sie. Eigentlich sagt sie, dieses Büroschreibtischspiel mit den Kugeln, und so verstehe ich natürlich viel besser, was sie meint. Und vermutlich gehört auch der sogenannte Studiovisit zu ihrer Ausstellung, der am Vormittag nach der Vernissage in Sandras Haus und Hof abgehalten wird. Die Journalisten – von überall kommen sie her und verstehen natürlich gar kein Schweizerdeutsch –, viele wunderschöne und obercoole Powergays in Balenciaga-Schuhen und großen Hüten, latschten durch das Dorf und durften den kleinen süßen Bock Töffli kraulen. Sie hätten Zusammengehörigkeit gebracht, wie eine kleine "Pride" sei das gewesen, freut sich Sandra. 

Die Ausstellung ist eine Einladung in ihren Kosmos

Diese Ausstellung, dieses Projekt, das Sandra "Home is a foreign Place" genannt hat, ist jedenfalls eine Einladung in ihren Kosmos, in ihren place. In ihr Werden, in ihr Sein. In die Heimat, die sie sich geschaffen hat, weil keine für sie vorgesehen war. Es geht ihr um Queerness als Seltsamkeit, also die ursprüngliche Bedeutung des Wortes: die Andersheit, die überhaupt erst Zugehörigkeit ermöglicht. Es geht ihr also um die sich ständig verändernde Form von Heimat, Herkunft, Zugehörigkeit. Um Bedingungen des Verstehens.

Ich mag in Sandras Arbeiten, dass es keinen safe space gibt. Dass Heimat bei ihr immer auch Gefahr bedeutet. Dass sie keine Utopien idealisiert. Dass sie das Nicht-Verstehen vielleicht auch als menschliche Bedingung sieht. Und was ich mag, ist, dass Sandra nichts romantisiert und die Kunst der Romantik zitiert. Das Religiöse, die Psyche, das Ich, die Natur. Die radikale Selbstbezogenheit dieser Ausstellung ist gleichzeitig die große Absage an die Selbstbezogenheit der Identitäts-Idealisten. Denn in jeder Ecke ruft es: Vanitas! Vergänglichkeit! Stell Dich nicht so an, Du Mensch!

Die Springprüfung gewann übrigens der Brasilianer Marlon Modolo Zanotelli auf Talina du Vivier Z mit einem fehlerfreien Ritt und einer Zeit von 25,03 Sekunden. Konnten wir nicht mehr sehen, denn es kamen hunderte von Menschen zu Sandra Knechts Ausstellungseröffnung, in der es dann aber auch um Mensch-Tier-Beziehungen geht.