Salone del Mobile in Mailand

Eine Melange der künstlerischen Gewerke

Bei der Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile und ihren zahlreichen Satelliten verschmilzt Design mit Kunst, Architektur und Mode. Ist das die gestaltete Realität der digitalen Nomaden? Ein Rundgang

Während die 62. Ausgabe des Salone del Mobile, der weltweit wichtigsten Möbelmesse, mit neuen Besucherrekorden – 17 Prozent mehr als in 2023 – endet, sucht man nach neuen Trends, wo keine sind. Oder vielleicht einfach zu viele davon. Der Design-Nachwuchs zeigt in der Sektion Satellite Leuchten aus alten Covid-Impfstoff-Ampullen, bunte Hocker aus Eierschalen und bringt Recycling somit auf ein neues erzählerisches Level. Der Mailänder Möbelhersteller Cassina zeigt zwei neue Lampen des verstorbenen Designer-Paares Ray und Charles Eames, 75 Jahre nachdem sie entworfen wurden, und macht damit all denen Hoffnung, die auch was in der Schublade liegen haben. Und die Allgegenwärtigkeit der Designerinnen Patricia Urquiola, Faye Toogood oder Sabine Marcelis macht deutlich, dass der Salone nicht nur durch ihre Leiterin Maria Porro oder die legendäre Mailänder Design-Kuratorin und Galeristin Rossana Orlandi in Frauenhand ist – aber ansonsten?

Ansonsten wird der Salone del Mobile und seine wirklich nicht mehr zähl- und besuchbaren Nebenveranstaltungen des Fuorisalones mehr und mehr eine Melange der künstlerischen Gewerke. Auf dem Designer-Treffen zeigen längst auch Architektur-Büros wie Herzog & de Meuron Möbel-Entwürfe, Firmen mit langer Tradition wie die Finnen von Iittala holen die junge englische Künstlerin Damsel Elysium, um eine Soundinstallation für neue Glasbläsereien anzufertigen.

Das Sofa-Label Vetsak hat sich mit dem Jacken-Hersteller Aspesi zusammen getan und zeigt ihre Sofas in dem weichen und robusten Kleiderstoff. Klingt erstmal komisch? Für Chief Brand Officer Dirk Schönberger sind Kooperationen schon immer ein wesentlicher Bestandteil, um sich weiterzuentwickeln, sagt er. Im Fall von Vetsak sei es ein logischer Schritt, mit einer Modemarke zusammenzuarbeiten, da man ihre Sofas eben umziehen könne. Kollaborationen sieht er als Ideenlabor.


Weitere Beispiele: Die italienische Marke Zanotta lässt einen Stuhl von Achille und Pier Giacomo Castiglioni aus dem Jahre 1957 von der Lifestyle-Marke Highsnobiety umgestalten, um die internationale Urbanisten-Crowd anzusprechen, Google und Microsoft sind auch da und bauen teils große Installationen etwa zur Frage, wie Farben wirken. Online-Möbelhändler laden die eher Design-unkundigen Influencer ein, weil die in den letzten Jahren längst gemerkt haben, dass auch im Einrichtungsbereich Kunden zu finden sind. Wahrscheinlich auch ein Grund, warum jetzt nahezu alle Luxusmodehersteller nun eine eigene Möbel-Kollektion haben.

Denn es gibt nicht mehr nur die Statement-Tasche, es gibt auch das Statement-Sofa. Und das zeigt in diesem Jahr Gucci. Es heißt "Le Mura" und wurde bereits 1972 von Mario Bellini für Tacchini entworfen. Es hat die perfekte Aufgeblasenheit, Sicherheit und Weichheit, und dann lassen sich seine Module auch noch nebeneinander oder hintereinander schieben und mit einer Art Gürtel befestigen, um auf alle möglichen Raum- (und Familen-)Situationen reagieren zu können. Und jetzt kommt es in einer kleinen Edition und in einem unverschämt schönen weinroten Leder auf den Markt. Dem sogenannten Rosso Ancora, den Creative Director Sabato de Sarno 2023 einführte, um seine Übernahme des Modehauses anzuzeigen. Auch vier andere ikonische Entwürfe italienischer Meister, etwa ein CC-Tapis-Teppich oder eine Leuchte von Gae Aulenti und Piero Castiglioni, wurden in den Rotton getaucht.

Tacchini x Gucci: "Le Mura"-Sofa
Foto: Gucci

Tacchini x Gucci: "Le Mura"-Sofa


Mit Design Ancora wolle Gucci nicht nur alte Ikonen feiern, sondern neue erschaffen, sagt Michela Pelizzari, sie ist Gründerin der Mailänder Kreativagentur P:S, die die Schau mitkuratierte. Doch mit einem Kaufpreis von ungefähr 20.000 Euro wird das Sofa wohl für die meisten ein ikonischer Traum bleiben. Aber gucken ist auch umsonst erlaubt: Die Ausstellung wurde vom spanischen Architekten Guillermo Santomà in Guccis Flagship Store entworfen. Auf giftgrünen Teppichgrund zeichnen sich die weinroten Objekte wie etwa die Kommode Storet mit hochglanzlackierten und lüstern runden Schubladen von der Mailänder Architektin und Künstlerin Nanda Vigo für Acerbis aus den 1990er-Jahren mit interessant irritierenden Farbeffekten in den Augen ab.

Eher klassischer, auf Podesten und in Boothes, ist die Präsentation von Loro Piana gehalten, die Möbel mit Loro-Piana-Stoffen und großartige Zeichnungen der Designerin und Architektin Cini Boeri zeigen, zum Beispiel einen kuschligen Sessel, in dessen drei Beinen Rollen versteckt sind.

Während die italienische Modemarke Zegna in einem Kiosk Jutebeutel verteilt, was absurderweise eine hunderte Meter lange Schlange auslöst, zeigt das französische Luxuslabel Hermès auch in diesem Jahr wieder in einer imposanten Halle im Stadtteil Brera. Seit zehn Jahren sind Charlotte Macaux Perelman und Alexis Fabry die künstlerischen Direktoren der Hermès-Maison-Kollektionen, zu denen etwa Cashmere-Decken gehören, die man sich gerne leisten würde, aber nicht kann.

Umso froher war man in den letzten Jahren, wenn einem etwa die gezeigten Teller gar nicht so gut gefallen haben. In diesem Jahr aber leider wird eine neue Kollektion gezeigt, gepaart mit Objekten aus dem Archiv des Hauses, die man sich fast in Gänze im näheren Umfeld wirklich sehr gut vorstellen kann. Da ist etwa eine Tisch-Lampe mit einem schlanken Stiel aus geflochtenem zweifarbigem Leder, einem Schirm aus geflammtem Leinen mit Lederpaspeln und einem patinierten Sockel, daneben eine detailliert gefertigte Jagd-Peitsche aus den 1980er-Jahren. Oder eine Schmuckschatulle aus Ulmenholz, mit Lammveloursleder ausgekleidet, mit Leder ummantelt und freihändig bemalt. Ein ancient wirkender Steintisch von Studio Mumbai, eine Zigaretten-Dose aus den 30ern und Vintage-Jockey-Blusen neben den besagten Cahsmere-Decken. Alles wird fleißig fotografiert, so hat man wenigstens etwas. Auch die Ausstellungsarchitektur ist in diesem Jahr noch gelungener. Der größte Teil des Raumes ist dunkel gehalten, enge Wege kreuzen einen Boden, der an eine archäologische Stätte erinnert und verschiedene erdige Beläge zeigt, die den Weg zur aktuellen Kollektion ebnen. Aus Terrakotta, Ziegeln, Steinen, Lehm oder Holz werden in verschiedene Techniken Böden begradigt – und feiern die menschliche Handwerkskunst.

Lampe Voltige d'Hermès, Zweifarbiger Stiel aus geflochtenem Leder, Sockel aus gewachstem Messing in Bronze, Lampenschirm aus Leinen mit passendem Lederbesatz
Foto: Hermès

Lampe Voltige d'Hermès, Zweifarbiger Stiel aus geflochtenem Leder, Sockel aus gewachstem Messing in Bronze, Lampenschirm aus Leinen mit passendem Lederbesatz

Weiter geht es dann zu Mercedes, die einen neuen Maybach präsentieren und dazu Artisten und Geiger auftreten lassen und in einer Kollaboration entstandene und gewohnt bunten Fotos von David LaChapelle ausstellen, mit denen sie seit längerem zusammenarbeiten. Auch das Münchner Ledertaschen-Label MCM wagt sich in das Möbelumfeld. Sie zeigen zum ersten Mal anlässlich des Salones und zum ersten Mal eine Möbelkollektion: Wearable Casa heißt sie, konzipiert vom Mailänder Atelier Biagetti, bestehend aus dem Architekten und Designer Alberto Biagetti und der Künstlerin Laura Baldassari. Kuratiert wurde das von der italienischen Journalistin Maria Cristina Didero. Und so sind im Palazzo Cusani zwei silberne Sessel zusammengesetzt aus Tetris-Formen, Hunde-Reisetaschen in MCM-Muster, eine weißes Wolken-Sofa, das den Schriftzug Casa bildet, ein Daybed aus Matten und Rollen im Tatami-Style zu sehen. Ein bisschen konzeptionell gedacht vielleicht, richtet sich die Kollektion an die Generation digitaler Nomaden, das "C" im Casa-Sofa ist eine Nackenrolle, die man mit ins Flugzeug nehmen kann. Und es gibt die Kollektion auch im Metaverse.

Das Gegenteil von Metaverse ist Loewe, die auf dem Salone zum achten Mal die Verbundenheit des Labels mit Handwerkskunst zeigt. 24 Lampen von 24 Künstlern werden ausgestellt. Die Materialien zeigen spektakuläre Schattenwürfe, etwa wenn Birkenzweige vogelnestartig zum Lampenschirm verbunden werden, Feuerzeuge, Fensterläden, Mikroorganismen oder hängenden Kürbisse dienen als Inspirationen. Bei Hafu Matsumoto wird mit der Biegsamkeit von Bambus experimentiert. Rosshaar, Papier, Lack und Glas wird verbaut. Die Keramikerin Dame Magdalene Odundo arbeitet für ihre Hängelampe diesmal mit spitzen Lederhüllen anstatt mit runden Gefässen. Genta Ishizukas Leuchte erinnert an eine amorphe organische Zelle. Der Urushi-Lackkünstler hat 2019 auch den Handwerkspreis der Loewe Foundation gewonnen.


Und wer will da jetzt noch entscheiden, bei was es sich um Design oder Kunst oder Mode handelt? Vielleicht verschwimmt das bei den digitalen Nomaden immer mehr. Und der Rest träumt von den italienischen Meistern.