Es geht doch nichts über eine Überraschungsparty. "Leben in Bildern. Ein Porträt des Sehens für Rudolf Zwirner" heißt die Ausstellung, die zu Rudolf Zwirners 90. Geburtstag im Berliner Palais Populaire eröffnet. Doch was gezeigt wird? "Ich habe keine Ahnung", sagt Zwirner. Er wolle gar keine Geburtstagshommage, habe er dem Kurator Philipp Bollmann und dem Künstler Michael Müller gesagt, als sie ihm vor ein paar Monaten von den Plänen erzählten – schließlich sei es keine besondere Leistung, 90 Jahre alt zu werden, nur genetisches Glück. "Aber die meinten: die Sache ist gelaufen, wir haben schon so viel zusammen. Also läuft es!"
Zwirner empfängt in seinem hellen, großzügigen Salon in der Villa in Grunewald, entspannt und voller Vorfreude. Alle seine sechs Kinder aus verschiedenen Ehen werden zum Geburtstag da sein, und ziemlich viele Enkel. Auch die viel beschäftigte Familie aus New York reist an – sein Sohn David, der als Kind zwischen Warhols "Brillo-Boxen" spielte und heute eine der weltweit wichtigsten Galerien leitet. Enkelin Marlene, die ebenfalls in die New Yorker Zwirner Galerie eingestiegen ist, und Enkel Lucas, der für Zwirner Podcasts und Publikationen betreut.
Doch Rudolf Zwirner hat nicht nur eine Kunsthändler-Dynastie begründet, er hat auch verändert, wie der Kunstmarkt überhaupt funktioniert. Was seine größte Innovation war, aus seiner eigenen Sicht? "Da wird natürlich immer die Gründung des Kölner Kunstmarkts genannt – auch wenn damals viele sagten, ich würde die Aura der Kunst zerstören."
"Ich wurde da wirklich beschimpft"
Zwirner, 1933 in Berlin geboren, hatte sein Jurastudium abgebrochen, nachdem er die erste Documenta gesehen hatte, und stattdessen von dem Kölner Galeristen Hein Stünke das Geschäft des Kunsthandels gelernt. Mit ebendiesem Stünke gründete er, mittlerweile Betreiber seiner eigenen Galerie, 1966 den "Verein progressiver Kunsthändler" und hob 1967 den Kölner Kunstmarkt aus der Taufe – die erste Messe für zeitgenössische Kunst, Vorläuferin der Art Cologne. "Ich wurde da wirklich beschimpft, man könne mit Kunst nicht auf den Markt gehen wie ein Schlachter oder Bäcker. Aber ich litt darunter, dass ich in meiner Galerie so wenig Öffentlichkeit hatte. In meinen Ausstellungen zeigte ich Avantgarde, Pop Art, wirklich zeitgenössische Kunst. Und wir hatten so gut wie kein Publikum."
In Köln war das Publikum dann da. Aus dem Stand wurden 20.000 Eintrittskarten verkauft und der Grundstein für die rasante Expansion des Kunsthandels gelegt, von einem mittelständischen, lokalen Markt zu einer international agierenden Industrie mit Millionenpreisen. Als Zwirner anfing, gab es in Deutschland kaum mehr als zwei Dutzend Sammler, und er verkaufte Gerhard Richters "Ema Akt auf einer Treppe", heute eines der zentralen Werke in der Sammlung des Museum Ludwig in Köln, für 4000 Mark an den Sammler Peter Ludwig. "Alles über 10.000 Mark war damals schwierig. Ich habe nie in meinem Leben ein Bild für über eine Million Euro verkauft. Heute sind Millionenpreise ganz normal."
Die Marktexpansion sieht Zwirner ambivalent: "Das ist schon wie die Geschichte vom Zauberlehrling." Er findet es absurd, wie viel Macht die Messen bekommen haben, sodass Galerien es heute auf die Art Basel schaffen müssen, um ernst genommen zu werden. "Und die Preise sind unrealistisch hoch. Mit der kunsthistorischen Relevanz der Bilder hat das nichts mehr zu tun. Bis in die 1960er-Jahre war ein hoher Preis bei Sotheby’s gleichbedeutend mit kunstgeschichtlicher Relevanz. Heute scheint mir fast das Gegenteil der Fall."
Das Sehen selbst ist seine Spezialität
Die Kunstgeschichte, das ist sein Fokus – und die muss man seiner Meinung nach auch über die ökonomischen Zusammenhänge erzählen. Wichtiger als die Erfindung des Prinzips Kunstmesse findet er heute seine Rolle bei der Gründung des Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels (Zadik) in Köln. "Früher haben Galerien alle Unterlagen nach zehn Jahren vernichtet. Aber ich habe immer zu meinem Freund Hein Stünke gesagt: Das kann doch nicht sein, dass wir hier Archivalien vernichten. In 100 Jahren ist das hochinteressant – wer hat was zu welchem Preis gekauft? Die Kunstgeschichte ist gespickt mit kommerziellen Fragen! Und auch die Provenienzforschung wird heute immer wichtiger." Zwirner wurde Gründungsdirektor des Zadik und überzeugte in den kurzen zwei Jahren seiner Amtszeit, bestens vernetzt, viele einflussreiche Kollegen, ihre Archive an seine Schöpfung zu übergeben, die heute eine anerkannte Institution ist.
Geschäft hin oder her – auch als Galerist hatte er immer die Kunstgeschichte im Fokus. Zwirner vertrat niemals einen Künstler mit seinem Gesamtwerk, er kaufte und verkaufte lieber einzelne Arbeiten – das war für ihn eine Frage der Freiheit. "Michael Werner musste alle Werke seiner Künstler gleich gut finden. Das wollte ich nicht. Ich fühlte mich nicht verantwortlich für die Karriere eines Künstlers. Ich war verantwortlich, Bilder zu finden, von denen ich behauptete, sie sind relevant." Das Sehen selbst ist seine Spezialität: mit einem Auge, das er als junger Kunsthändler an alten Grafiken schulte, an der Kunstgeschichte.
Die relevanten Bilder zu finden, die guten von den schlechten zu unterscheiden war für Zwirner damals selbstverständlich, und er sagte auch einem Gerhard Richter, wenn der seiner Meinung nach einen Hänger hatte. "In meiner Jugend konnte ich die Spreu vom Weizen trennen und mein Urteil begründen." Die zeitgenössische Kunst von heute dagegen könne er nicht mehr bewerten. "Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Grenzerweiterungen, vom Kubismus bis zu Beuys. Heute sind diese Grenzerweiterungen des Kunstbegriffs so immens, dass wir gar nicht mehr mit der klassischen Ästhetik zurande kommen. Wir haben eine Bildgeschichte und müssen eine völlig neue Ästhetik für die Bewertung der Kunst entwickeln, die global sein muss. Sie und ich, wir können nicht mehr unterscheiden. Die Zeit wird die Auslese machen."
"Du kaufst mehr Bilder als ein Milliardär"
Zwirner selbst hat sich bereits in den 1990er-Jahren mit Ende 50 aus dem Kunsthandel zurückgezogen und die Galerie dem Sohn übergeben. Den Fall der Mauer hatte er als eine Zeitenwende empfunden, er wollte sich lieber anderswo neu erfinden als im Kunsthandel. So arbeitete er bei Ausstellungen wie der monumentalen Schau "Deutschlandbilder – Kunst aus einem geteilten Land", kuratiert von Eckhart Gillen, im Martin-Gropius-Bau mit und lehrte als Professor in Braunschweig. Die Geburtstagsausstellung im Palais Populaire verspricht nun eine Reise durch Zwirners Kunstbiografie, mit Werken von Georg Baselitz, Gerhard Richter, Cy Twombly, Yves Klein, Sigmar Polke, aber auch Werken von Künstlerinnen wie Louise Bourgeois und Martha Jungwirth, dazu aktuelle Werke von Natalie Czech und anderen.
Was er denn am meisten geschätzt habe am Kunsthändlerdasein? Die Antwort kommt schnell und bestimmt: die Freiheit. "Sie dürfen nicht vergessen, ich bin 1933 geboren und in die Unfreiheit hineingewachsen“, sagt er. Er hätte Generaldirektor der Documenta bleiben können, unter Bode, aber sein Ziel war, sein eigener Chef zu sein. Auch die Karriere im Museum hat ihn nicht gereizt. "Ich habe oft in meinem Berufsleben gedacht: Was hast du es gut. Du kaufst mehr Bilder als ein Milliardär. Nur dass ich sie dann wieder verkaufen musste …" Er lacht herzlich.
Dann klingelt es an der Tür in der Villa im Grunewald, ein Künstler ist da, eine kleine Ausstellung soll gehängt werden. Noch stehen die Bilder auf dem Boden, der Hausherr hebt eines hoch: "Da wirken sie ganz anders, oder? Man muss immer auf Augenhöhe schauen!" Die Kunst des Sehens hat er nicht verlernt.
Über Rudolf Zwirners Leben, Wirken und die Berliner Ausstellung hat Monopol-Redakteurin Silke Hohmann mit Detektor FM gesprochen. Sie können das Gespräch hier hören: