Wagner ohne Abendroben und unbequemes Marathon-Sitzen. Das Theaterkollektiv Glanz und Krawall inszeniert ab dem morgigen Freitag am Ostkreuz das Festival "Berlin is not Bayreuth", das Wagner zart vom Genie-Sockel schubsen und neue Sichtweisen auf den problematischen Klassiker ermöglichen soll. Dabei ist auch der Köpenicker Rapper Romano, der seinen ganz eigenen "Tannhäuser" inszeniert. Wir haben mit dem Feingeist unter den Hip-Hoppern gesprochen.
Romano, das Wagner-Programm am Wochenende heißt "Berlin is not Bayreuth". Ist das jetzt ein Kompliment für Berlin oder eine Beleidigung für Bayreuth?
Es ist vor allem ein Kompliment an die Kunst. Es gibt immer neue Möglichkeiten, etwas anzugehen. Wagner hat sich etwas ausgedacht und auf die Bühne gebracht, und jetzt wird es von anderen Menschen nach ihren eigenen Vorstellungen auseinander genommen und neu zusammen geschraubt. Es ist wie ein Essen, das anders gewürzt wird. Das kann schmecken oder nicht, aber es kann der Kunst immer etwas geben.
Ein opernbewanderter Kollege hat mir versichert, dass Bayreuth weniger spießig ist als sein Ruf. Waren Sie mal da?
Nein, noch nie. Es ist natürlich ein legendärer Ort, von dem man viel hört, aber ich konnte mir noch kein eigenes Urteil bilden. Ich finde es schön, dass wir es nach Berlin holen, da muss ich nicht so weit fahren. Ich höre sehr gern Klassik Radio im Auto, besonders im Stau in der Großstadt, wo viele Menschen schon morgens gereizt sind. Das bringt einen in eine entspannte Stimmung. Ich mag Händel, ich mag Mozart, oder auch den Opernsänger Farinelli.
Und jetzt also Wagner?
Ja, ich fand den Vorschlag von Glanz und Krawall sehr spannend, Wagner noch mal neu anzugehen. Natürlich liegt man nachts erstmal da und denkt: Wagner ist so groß, aber dann habe ich mich in die Thematik eingefunden. Das kleine "Tannhäuser"-Reclam Heft, das hier gerade neben mir liegt, ist ja ganz schmal. Da muss man keine Angst vor haben. 80 Seiten Text für eine ganze Aufführung. Ich finde es faszinierend, wie viel die Musik ausmacht. Ich habe das ganze dann auf meine Art mit sechs komplett neuen Songs verarbeitet. Ich bin sozusagen Tannhäuser 2.0, der die Probleme von damals mit denen von heute verbindet.
Was interessiert Sie besondern am "Tannhäuser" – der ja eine Geschichte eines unverstandenen Künstlers ist?
Ich finde es spannend, wie Tannhäuser die gegebenen Dinge nicht als gegeben hinnimmt. Gesellschaftlich ist er jemand, der die Abgründe des Menschseins beleuchtet. Er geht in den Schmerz und in die Angst und die Dunkelheit hinein und hält der Gesellschaft einen Spiegel vor. Nach dem Motto: "Funktioniert eure heile Welt denn wirklich?" Er geht in die Extreme zwischen Himmel und Hölle. Heute wäre das zum Beispiel das Internet-Mobbing, wo Menschen denunziert und fertiggemacht werden. Das spreche ich auch in meinen Songs an. Diese Trolle und Mobber können auf der Straße freundlich grüßen und werfen dann digitale Handgranaten aus dem Keller. Es geht um die großen Herausforderungen der Zeit: Umwelt, Natur, das Miteinander der Menschen.
Wie klingt das bei Ihnen?
In einem Song heißt es: "Wir trinken miteinander, wir tanzen miteinander, jeden Tag ein Anlass" und dann wird es eben krasser: "Wir belügen einander, wir betrügen einander, wir hassen einander, aber lächeln für die Kamera." Mir geht es auch um die Scheinheiligkeit der Hofgesellschaft, die man heute wiederfindet. Tannhäuser ist der ruhelose Geist, der auf diesem Planeten keinen Frieden findet, deswegen wird er auch immer wieder neu gesehen. Er ist der Typ, der Fragen stellt. Er ist nicht angepasst, er ist der Typ, den man nicht auf der Party haben will.
Hört sich an als würden Sie Wagner mit viel Ergriffenheit und Respekt gegenüber treten. "Berlin is not Bayreuth" ist also keine Abrechnung?
Nein, überhaupt nicht. Es ist auch gar nicht meine Art, mich nur über irgendetwas lustig zu machen. Ich habe versucht, da wirklich ernsthaft ranzugehen, vielleicht ab und zu mit Augenzwinkern, aber eine Klamauk-Nummer wollten wir nie machen. Es wäre doch schön, wenn sich Leute dadurch weiter an die Oper herantrauen und auch mal das Reclam-Heftchen in die Hand nehmen. Das macht mich glücklich.
Tannhäuser ist auch exzellent darin, blumige Worte für die Liebe zu finden. Hat Wagner auch gute Schlager geschrieben?
Könnte man sagen, er spielt zumindest mit diesen Dingen. Ich interessiere mich sehr fürs Mittelalter, wo der Liebesgesang der "Hohen Minne" eine große Rolle spielte. Dabei geht es ja darum, von der Liebe zu schwärmen, aber sie nicht zu kosten. Und da geht Wagner richtig rein.
Den Sängerkrieg auf der Wartburg könnte man dagegen fast als Hip Hop Battle bezeichnen …
Das habe ich auch gedacht, das ist ein Freestyle-Battle: Wer ist der Krasseste, wer ist der Coolste, wer hat das größte Auto und den längsten Schwanz? Genau darum geht es ja oft im Hip-Hop. Dieses gegenseitige Kräftemessen hat etwas sehr Zeitgenössisches. Es ist ein Spiel und gleichzeitig eine Kunst.
Wie wurde Wagner eigentlich im Osten wahrgenommen?
Man kannte natürlich die pompösen Stücke wie die Walküre, an diesem brachial Marschierenden kommt man nicht vorbei. Das ist gewaltig, wie ein schweres Steak essen. Wenn man’s zart und zärtlich mag, nimmt man wen anders. In meiner Kindheit in der DDR haben wir Wagner nicht besonders beleuchtet, das kam in der Schule erst später. Ich war ihm gegenüber immer relativ offen und es gab Stücke, die mich gefesselt haben. Aber so richtig habe ich mich erst jetzt mit ihm beschäftigt.
Wagner soll mal geschrieben haben, dass man nach drei seiner Aufführungen das Theater niederreißen und die Partitur verbrennen soll. Wie können Sie da mithalten?
Wir machen es genau so. Ich werde das Ding abfackeln. In meinem Song "Luzifer" heißt es: "Brenne, brenne, Todesengel, sieh wie sie alle rennen, welch ein schönes Ende, brenne, brenne, stopft mich aus und stellt mich ins Museum gleich neben König Nero." Es wird sehr schön, eine Berg-und-Talfahrt der Gefühle.
Bayreuth-Besucher beschweren sich immer über die langen Stücke und die unbequemen Stühle. Wie wollen Sie die Leute drei Tage ans Berliner Ostkreuz locken?
Wir haben gar keine Stühle, und es passiert immer was anderes. Meine Show dauert auch gar nicht so lange. Insgesamt haben wir jeden Tag sechs Stunden vor, aber man kann zum Beispiel auch oberkörperfrei Bogenschießen oder den Venusberg besuchen. Man kann von einem Ort zum anderen wandern.
Wen von der Gästeliste in Bayreuth hätten Sie lieber dabei: Angela Merkel oder Markus Söder?
Ich weiß nicht, ob er auf der Liste stand, aber am liebsten hätte ich Snoop Dogg dabei. Das ist ein geiler Typ, der vielleicht nicht so viel Bezug zur Oper hat, aber kreativ und offen und umtriebig ist. Er hat ein Reggae-Album rausgebracht, ein Gospel-Album und hat jetzt sogar einen Stern auf dem Walk of Fame. Der könnte mal vorbeischauen.
Und wo liegt der grüne Hügel von Berlin?
Das sind die Müggelberge in Treptow-Köpenick. Da muss keiner Angst haben, underdressed zu sein, da ist alles easy und man kann sich von drei Tagen Party erholen.