Die Leichtigkeit des Seins, halbwegs erträglich: Wenn man an einem Frühlingstag nach einem Spaziergang im Englischen Garten die künstlich angelegte Isarwelle erreicht, kickt das Reiseführer-Must-See. Die Surferinnen ind Surfer in ihren Neoprenanzügen, wie sie mit ihren Brettern brav nacheinander mutig ins Wasser springen und ihre Balance suchen. Die Schaulustigen, trinkend, lachend, staunend und wartend, bis schließlich – wie immer – die Welle gewinnt und die Neoprenanzüge wichtig werden. Nur einen Seitenblick entfernt fällt einem die ganze Schwere der Vergangenheit vor die Füße.
Das Haus der Kunst, fertiggestellt 1937 als "Haus der deutschen Kunst", es kann nicht anders: Die Architektur erdrückt noch immer. Schwer erträglich. Immer wieder haben sich die Direktoren, Künstler und Künstlerinnen insbesondere seit den 1990er Jahren zur Aufgabe gemacht, die nationalsozialistische Kunst-Ideologie und Ästhetik des Museumsortes aufzudecken und aufzubrechen, diesen bösen Ort mit Gegenstrategien und Gegenkunst zu konfrontieren. Christoph Vitali, Chris Dercon, Okwui Enwezor und nun Andrea Lissoni öffneten das Haus ohne Sammlung und setzten auf dialogische Verflechtung, beispielsweise mit Theater und Oper. Von der wichtigen Südfassade des Gebäudes mit dem Haupteingang strahlten künstlerische Gegenentwürfe in den Stadtraum: Der Monumentalität der Architektur setzten unter anderem Paul McCarthy, Lawrence Weiner, Ai WeiWei und Christian Philipp Müller ihre monumentalen Fassaden-Werke entgegen.
Rirkrit Tiravanija hat sich einen anderen Weg ausgesucht. Sein Spiel mit dem Haus der Kunst kommt en passant daher – und ist gerade deswegen eindringlich. Ein großes, beidseitig bedrucktes Banner weist auf das zentrale Thema der dezentral angelegten Ausstellung von Tiravanija hin, auf das Warten: "My Body Is Filled With Waiting" / "I Wait For Nothing" lautet der mehrdeutige, philosophisch angehauchte Hinweis. Wem da der politische Kontext fehlt, der für das Werk des in Argentinien geboren Diplomatensohns mit thailändischer Migrationsgeschichte auch typisch ist, der braucht nur auf die Videoaufschrift direkt daneben zu blicken:"Behold Your Future Executioners Freiheit Kann Man Nicht Simulieren Police The Police Whos Afraid Of Red Yellow And Green Fear Eats The Soul Less Oil More Courage Ne Travaillez Jamais No America On Peut Pas Simuler La Liberte Out Now Rich Bastards Beware Uno No Puede Simular La Libertad Dont Know What We Are Yelling About The Days of This Society Is Numbered Angst Essen Seele Auf."
Teilnehmende Installation
Gewappnet mit diesen Wegweisern stößt man an drei Orten im Haus auf die Interventionen Tiravanijas: Im Terrassensaal kann man Bier oder Cola trinken und Tischtennis spielen, im Westflügel an einer Teezeremonie teilnehmen und im Ostteil des Gebäudes läuft ein sich täglich wiederholendes Filmprogramm. Klingt entspannt? Ist entspannt. Aber noch viel mehr. Ungefähr zehn Minuten werden jedem Besucher eingeräumt, um an der japanischen Teezeremonie teilzunehmen – im stark abgedunkelten Westflügel. Mit einem Gongschlag bittet die Teemeisterin ihren nächsten Gast auf eine dreh- und rollbare Plexiglasbühne, das Ritual nimmt seinen Lauf. Tiravanijas Signature-Zugang ist ja die teilnehmende Installation, die Zuweisung einer nicht nur beobachtenden, sondern handelnden Position an die Betrachter – angefangen hat er damit vor über 30 Jahren mit Koch-Performances, in deren Verlauf er den Museumsbesuchern vor Ort thailändische Gerichte zubereitete und servierte.
Die Verwischung der Grenze zwischen Alltag und Kunstaktion funktioniert auch hier: Man wartet, trinkt einen Tee aus einer schwarzen Tasse, redet mit der schwarz gekleideten Teemeisterin und wird gleichzeitig durch die inszenierte soziale Interaktion Teil eines Kunstwerks. Räume schaffen, in denen sich Menschen begegnen, sich Fragen stellen ist das zentrale Anliegen Tiravanijas, der sich selbst als Plattform-Schaffer beschreibt. Gerne auch als Kooperation: Gleichzeitig ist die Plexiglas-Bühne nämlich Teil der hier an mehreren Abenden in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsoper gezeigten einstündigen Kammeroper "Hanyo" von Toshio Hosokawa – einer Liebesgeschichte zweier Frauen, wartend auf den richtigen Menschen.
Im Terrassensaal des Hauses, dem schwer bespielbaren Raum an der Nordseite des Gebäudes mit Blick auf den Englischen Garten, der meist als Durchgang zur trotz der originalen Nazitapete angesagten "Goldenen Bar" dient, ist durch Tiravanijas Eingreifen ein barrierefreier Pausenraum entstanden. An fünf fabrikneuen, soliden Tischtennisplatten können sich Menschen begegnen und einfach spielen – durchaus eine Hommage an die Ping Pong Society des slowakischen Künstlers Július Koller, der 1970 mit seinem interaktiven Tischtennisraum in Bratislava auch ein Nachdenken über gesellschaftspolitische Themen anregen wollte. Hier nun auf jeder Platte, jeweils in einer anderen Farbe, große Klebebuchstaben: "Morgen Ist Die Frage". Bei Ballsportarten sollte man ja nicht zuviel nachdenken, hier ist das erwünscht.
In der Mitte des Saals eine Sperrholzbar. Dahinter ein Kühlschrank mit Bier und Cola for free. Und Barbara: Drei Stunden täglich arbeitet der Schauspieler Florian Troebinger als Kunstbarkeeper "Barbara" und gibt nicht nur Getränke aus, sondern spricht mit seinen Gästen extrem freundlich über alles Mögliche. Auf dem Tresen ein Röhrenfernseher, der Tiravanijas 2017 entstandenes Remake von Fassbinders "Angst essen Seele auf" zeigt – alle Rollen dargestellt von Männern, Troebinger spielt die Wirtin, die Rolle von Barbara Valentin.
Räume des Pausierens
Queere Erzählungen finden sich nicht zuletzt auch im Auditorium des Hauses der Kunst. In den dort gezeigten sieben Filmarbeiten Tiravanijas lässt sich auch auf der riesigen Leinwand seine lässige und ruhige Handschrift entdecken. Wie in dem Film "Karls Perfect Day" von 2017 mit dem schwedischen Textkünstler Karl Holmqvist, ein Freund Tiravanijas, in der Hauptrolle. Unaufdringlich und voller Bewunderung für die Spieler kulminiert die Vorstellung eines perfekten Tages für Holmqvist in einem wunderbar verrückten Konzert mit dem Jazzpunk-Gitarristen Arto Lindsay, das lange nachhallt.
Den unaufgeregten, punktuellen Interventionen Tiravanijas im Münchner Haus der Kunst gelingt es, dem Warten, dem Pausieren, scheinbar aus der turbohektischen Zeit gefallenen Tugenden, Raum zu geben. Für ganz einfache Dinge, die sich daraus ergeben können. Tiravanija verbindet Menschen. Mit einer Leichtigkeit.