Die Ausstellung "Urban Nature" des Kollektivs Rimini Protokoll führt das Publikum an sieben exemplarische Orte. In der Kunsthalle Mannheim verdichten sich die Sphären der Stadt - vom Gefängnis bis zur Chefetage. Auch ein Rollenwechsel für die Besuchenden ist vorgesehen. Wie haben Dominic Huber von Rimini Protokoll um einen Ausblick auf die Ausstellung gebeten
Dominic Huber, was macht ein Szenograf, und was macht er an einem Museum?
Mein Kerngeschäft ist das Bühnenbild. Ich arbeite aber schon seit vielen Jahren mit eigenen Inszenierungen und eigenen Dramaturgien, Installationen, im Grenzbereich zwischen Theaterinszenierung und Rauminstallation. So kenne ich das Inszenieren vor allem über den Raum, aber auch über Zeitabläufe. Wenn wir jetzt in einer Kunsthalle eine immersive oder partizipative Installation entwickeln, also Zuschauerinnen mit auf die Bühne holen, integrieren wir sie in eine Narration. Dann geht um ganz ähnliche Dinge wie beim Schauspiel. Man braucht eine Art von Inszenierung, Situationen, eine Motivation, dieses oder jenes zu tun. Die Teilnehmenden müssen wissen, wozu sie gebeten sind. Das funktioniert nicht nur über Instruktionen, sondern auch über ein Raum-Kontinuum, über die Situationen, die ich antreffe.
Wie antizipieren Sie, wie ein Besucher eine Besucherin sich verhalten könnte?
Es sind Alltagsbeobachtungen, die wir auch an uns selber vornehmen können. Es geht auch immer darum, in einer guten Mischung zu finden und zu fordern, aber nicht zu überfordern. Eher über eine Einladung oder über das Prinzip Neugier zu funktionieren als über Kommandos. Und ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Situationen, in die ich gebracht werde, erstmal nicht komplett unbekannt sind.
Welche Situationen sind das?
Alltagssituationen, die wir kennen. Also wenn ich auf einen Platz komme, auf dem ein Brunnen plätschert und da ist eine Sitzbank, dann habe ich ja schon einen ganz natürlichen Impuls, mich da hinzusetzen, um mal zu gucken, was an diesem Platz passiert. Oder wenn ich in eine Bar hineinkomme und da sind zehn Barhocker an einem Tresen. Wir haben ein Leben lang geübt für diese Situation, und sind deswegen auch verführt, uns da erst mal niederzulassen, mal zu gucken, wer jetzt gleich hinter dem Tresen erscheint. Jetzt kann es natürlich nicht nur darum gehen, bekannte und banale Situationen zu verwenden, sondern im weiteren Ablauf auch neugierig darauf zu machen, sich vielleicht in ein Gefängnis zu begeben, wie es bei uns auch passiert.
Die Ausstellungsräume der Kunsthalle verwandeln sich in ein begehbares Labyrinth, in dem die Besucherinnen und Besucher auf Expertinnen des Alltags treffen. Was heißt das konkret?
Dieses Labyrinth ist gewissermaßen ein eine Modellversion eines städtischen Raumkontinuums mit ganz unterschiedlichen Orten. Also man verlässt eine Bar durch eine Schiebetür und landet sofort in einer Obdachlosenunterkunft. Dass im urbanen Kontext ganz unterschiedliche Lebensräume, Ökonomien Environments aufeinandertreffen und benachbart sind, das treibt unser Modell noch mal auf die Spitze. Mit so verschiedenen Orten wie einem Sitzungsraum in einem Bankbüro, einer Bar, einem Wohnzimmer und so weiter und so fort. Wir konfrontieren nicht nur diese Räume miteinander, sondern auch die Menschen, die diese Räume besiedeln oder beanspruchen. Was beschäftigt die Person, wie steht sie zu diesem Ort, an dem ich mich selbst auch befinde? Wie steht es um diesen Ort? Da gibt es beispielsweise diese Bankerin, die große private Vermögen verwaltet, die wir in ihrem Sitzungszimmer antreffen, und die dann auch auf ihrer Dachterrasse über der Stadt Tennis spielt. Wir begeben uns in ihr Leben, in ihr Arbeitsumfeld und Verhalten. Wir sind eingeladen, uns aus der Perspektive ihrer Kunden und Kundinnen ihre Position anzuhören.
Diese Rollen werden gespielt?
Genau. Aber hinter jeder Geschichte steht auch eine reale Person, die wir recherchiert und deren Narration wir entwickelt haben. Im Reenactment werden ihre Geschichte erzählt, es sind aber alles konkrete und reale Geschichten.
Werden sie mit den Besucherinnen und Besuchern auch interagieren oder bleibt es auf so einer Anschauungsobjekt Ebene?
Es gibt eine Ebene der Interaktion, und jede elfte unserer Besucherinnen und Besucher können selbst in diese Rolle schlüpfen. Man bekommt dann, wenn man Lust darauf hat, ein Tablet und performt gewissermaßen, indem man diesen ganz eigenen Video Walk geht und in die Haut der sieben verschiedenen Expertinnen schlüpft. Dann hat man ziemlich viel zu tun. Es gibt Manipulation auszuführen, man kommt in bestimmte Situationen und verlässt den Beobachterposten.
Ist das für Sie ein Unterschied, ob Sie diese Projekte im Theater umsetzen oder in einer Kunsthalle?
Von den Projekten ausgedacht, ist der Unterschied eigentlich nicht wahnsinnig groß, weil wir uns im Theaterbereich in Richtung Installation bewegen. Aber für die Veranstalter, die Kunsthalle Mannheim, ist es eine Herausforderung, denn das Zeitmanagement im Museum und im Theater sind ganz verschieden. Das ist die Herausforderung für einen Museumsbetrieb, unser doch relativ klares rigides Zeitmanagement mit den Timeslots auch auf ein Museumspublikum anwenden zu können.
In Mannheim ist ja die Zusammensetzung der Bevölkerung sehr divers. Es gibt 170 Nationen, es gibt die altehrwürdige Kunsthalle und ihr dazugehörendes Publikum. Aber das ist nicht die ganze Gesellschaft. Gab es spezifische Überlegungen für Mannheim?
Es sind fast generische Positionen, zum Beispiel eine Frau, die aus Marokko ausgewandert ist, im Prinzip eine sehr allgemeingültige Geschichte, die sich in diesem Fall zum Beispiel sehr gut auf Mannheim anwenden lässt. Oder ein Manager, der IT-Lösungen entwickelt für Social Economy, Food Delivery Services beispielsweise. Das ist im Prinzip auch eine Position der Ordnung, also auf eine ganz aus der Vogelschau, auf eine Stadt. Das finden wir in Mannheim auch sehr stark wieder. Also sind wir gespannt, wie in Mannheim sich die Leute dann wiederentdecken.
Ich gehe rein und ich komme wieder raus und gucke mir die Stadt danach anders an – ist das der Wunsch, wollen Sie das erreichen?
Das ist für mich persönlich eigentlich immer das Schönste, wenn die Leute auch vielleicht Tage später noch sagen: Es ging fast nahtlos weiter. Ich bin rausgekommen und ich habe wirklich anders geguckt, ich habe vielleicht auch mal nachgefragt.