Berliner Korbinian Verlag

Leg das Buch weg! Hol dir was anderes!

Was kann Literatur, wenn sie nicht nur aus Schreibschul-Schülern in ernsten Tweed-Sakkos bestehen soll? Der Korbinian-Verlag zeigt, wie es anders geht. Zum Beispiel mit dem rebellischen Buch des Künstlers Kevin Kemter über Körpermaschinen und Erwachsenwerden

Dass die Literatur in einer Krise steckt, kann man wirklich nicht behaupten. Aber sie hat im deutschsprachigen Raum in letzter Zeit vielleicht ein bisschen viel vom Studiengang “Literarisches Schreiben” abbekommen. Studiengänge, die schon früh eine gewisse Form und Ernsthaftigkeit verlangen. Nicht, dass dort nicht schöne, wichtige und manchmal auch spannende Literatur produziert würde, wie jüngst Helene Bukowski mit ihrem Debüt “Milchzähne” bewies. Aber die literarischen Stimmen kommen eben auch aus einer privilegierten Literaturszene, die nostalgisch an gute “Tempo” Zeiten zurückdenkt und unironisch Tweed- Jackets mit Leder-Ellbogen trägt. Die Idee einer eigenständigen Zukunft der Literatur ist dort schwer zu finden.

Vielmehr hat man bei diesen Stimmen das Gefühl, sie wollten in ihrem Habitus etwas wieder aufführen, das schon seit einiger Zeit unwiderruflich verloren ist. Eine nostalgische Sehnsucht nach einer Zeit, in der man mit Büchern noch reich werden konnte und Autoren echte Prominente waren. Nach einer Zeit, in der Journalisten 30.000 Euro zur Verfügung gestellt bekamen, um eine Reportage über die Verfasstheit Deutschlands zu schreiben. Einer Zeit, die Benjamin von Stuckrad-Barre und Moritz von Uslar hervorgebracht hat, bei denen man sich heute fragt, wovon die sich das Steak im Grill Royal eigentlich noch leisten können.
Trotzdem, oder gerade wegen dieser Veränderung, ist nicht ein Hauch von Nostalgie im Programm des Korbinian Verlags zu finden. Seit 2015 gibt es den Verlag, der von Sascha Ehlert, Katharina Holzmann und David Rabolt geführt wird. Zum selbst gebauten Universum gehört “Das Wetter - Magazin für Text und Musik”
und die Internet Kampfgruppe “Rich Kids of Literature” (RKOL
).

Mit dem Namen lehnen sie sich an einen 2012 ins Leben gerufenen Instagram Account an, der “Rich Kids of Instagram” heißt und den Reichtum junger Menschen dokumentiert. Da sieht man dann Champagner, dicke Rolex, junge schöne Menschen, Hermès Taschen und abfotografierte Restaurantrechnungen . “The life of the rich” und deswegen famous. Anstatt im Internet also dicke Uhren und Autos anzupreisen, prollen sie dort mit Literatur herum. Der Name suggeriert die gleiche lustvolle Verdingung und Genuss, der einer wohltemperierten Pulle Dom Perignon innewohnt.

Ist das noch Literatur?

Die Veranstaltungsreihe “Ist das noch Literatur?” war regelmäßig so gut besucht, dass daraus danach Parties wurden, und Trinken war ausdrücklich erwünscht. Sie wünschten sich “mehr Action & Fun” im Literaturbetriebund anstatt darauf zu warten, dass ihnen das jemand bieten würde, haben sie selber mehr “Action & Fun” in den Betrieb gebracht. Es war das Bedürfnis nach einer Szene, die durch die Veranstaltungen der RKOL einen Anlass fand, sich zu formieren. Der kleine Verlag hat bis jetzt elf Bücher herausgegeben. Von keinem haben sie sich einen großen finanziellen Durchbruch erhofft, und die Idee, von Magazin, Verlag und Veranstaltungsreihe allein leben zu können, scheint in weiter Ferne. Doch wer die Literatur retten will, muss sich immer wieder in das Fahrwasser der völligen Überarbeitung und der Angst vor der Altersarmut werfen.

Es ist gelebtes Kulturprekariat, woraus die drei auch keinen Hehl machen. Doch Geld ist nicht die Währung, mit der hier gehandelt wird. Das hier ist cool, weil es kein understatement ist und absolut unironisch. Die Macher haben einen unbedingten Glauben an die Literatur. Deswegen bauen sie ihr eine Zukunft.

Der Korbinian Verlag ist auch ein Beispiel dafür, wie sich die Sprayer Boys von früher aus der Subkultur retten und erwachsen werden. Mit “Book of Bot” zum Beispiel haben sie ein Buch mit Sprayer Geschichten herausgebracht. Und zwar keine, die sich aus einer zur Peinlichkeit verdammten Außenperspektive dem Thema widmen, sondern quasi aus dem Auge des Sturms berichten. So rauschhaft und schnell wie die Berliner U-Bahn nach Mitternacht. In dem Verlag tummeln sich einige Autoren, die dem Graffiti und der Subkultur zwar entwachsen sind, deren Sprache sich aber immer noch einer zuweilen anti-intellektuell klingenden Freiheit und Anarchie bedient.

"Eigenfikkung" mit Fragezeichen

So auch bei Kevin Kemter als neueste Veröffentlichung. “Immortal-Dead Soon III, Maniac 1.000.000 Eigenfikkung” heißt sein Buch, und der Titel löst ebenso viele Fragezeichen aus wie der Anfang . Dort wird man als fleißiger Leser, der auch das Vorwort liest, sofort weggeschickt. Das Buch geht nicht “um Leute wy dich, dy sich hyr ein Vorwort durchlesen (...) Also: Leg das Buch weg. Gibs zuruekk. Das hyr is nichts fuer dich. Hol dir was anderes”.

Man muss sich erstmal darüber hinwegsetzen und fühlt sich schon da rebellisch. Auf den recht überschaubaren 129 Seiten, von denen viele mit den knapp 90 Zeichnungen Kemters gefüllt sind, wird man durch ein schwer bis gar nicht zu decodierendes Dickicht geführt. Die Geschichte ist wie seine Kunst: Sie wirkt ungenau und ungelenk, generiert aber einen Sog. Kemter hat an der Weißensee Kunsthochschule in Berlin studiert und arbeitet meistens mit Filzstift-Zeichnungen. Für seinen Text hat er sich eine eigene Grammatik und eine eigene Rechtschreibung ausgedacht. Man gewöhnt sich daran, fühlt sich manchmal aber zwangsversetzt in Hölderlinsche Zeiten.

Verstehen tut man das Ringen der Hauptfigur trotzdem. Er muss sich emanzipieren von seinen “Babba Steinfels”, der mit ihm die Frage nach der Wahrheit von Kunst erörtert, ihn aber auch einengt und enttäuscht. Er muss sich emanzipieren von der Straße und den Aggressionen, denen ein junger Mann dort begegnet. Der Rausch des Erwachsenwerdens, der Rausch der nahenden Unabhängigkeit, die sich doch nie ganz einlöst. All das gepaart mit einem Berlin, das sich außerhalb des S-Bahn-Rings abspielt und in dem Hafermilch keine Rolle spielt. Eines, in dem junge Männer den Rapper Taktloss verehren und auf jeder Bartoilette ihr Tag, ihre Unterschrift, hinterlassen.

Doch die Entwicklung des Helden der Erzählung steckt fest. Alles ist entweder schon passiert oder wird noch passieren. Die Gegenwart ist leer. Da liegt er meistens im Bett und schont sich und sammelt seine Kraft für nahende Kämpfe. Die Passagen, in denen dann so etwas wie Dynamik aufkommt oder sich etwas zu verdichten scheint, sind meistens jene, in denen er vom Späti aus mit seinem Babba oder anderen beginnt, über das Leben als solches zu sinnieren. Ansonsten liegt er viel. Einmal auch in etwas, das man vielleicht als Psychiatrie interpretieren kann. Das Buch schwappt wie der Bodensatz des Unbewussten nach oben und bringt auch das Unappetitliche zum Vorschein. Auch das Medium Buch fordert Kemter heraus. So ist sein Werk nicht unbedingt literarisch zu bewerten, sondern eine Weiterführung seiner Kunst. Es ist ein Tagtraum, der nachhallt. Der Versuch, zu ordnen und zu strukturieren in einer Umwelt, die sich durch Chaos auszeichnet.

Der Körper ist mal Flugzeug, mal Maschine

Sein Protagonist, Maniac 1.000.000,  ist ein Körper, der sich fluide verändert, mal Flugzeug, mal Maschine ist. Kemter lässt seinen Protagonisten in dieser Erzählung, die keine ist, immer wieder in die eigene Körperlichkeit flüchten, abtauchen und sie erforschen. Strafe drückt sich durch das Wegsperren des Körpers aus, Erlebnis durch sichtbare Narben.

Die zahlreichen Abbildungen lassen einen noch weiter hinabsteigen in die Gedankenwelt und das vermeintlich Unterbewusste Kemters. Die Systeme und Strukturen, die man sich aufbauen muss, um einen Alltag zu bewältigen, die notwendigen Parameter, die es braucht um sich zurechtzufinden im eigenen Leben, werden hier in Echtzeit entwickelt und wieder über den Haufen geworfen und neu definiert. Hier sieht man jemandem dabei zu, wie er sich seine eigene Welt aufbaut.

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch des Verstandes

Das Buch ist schwer und phasenweise macht es wenig Spaß. Doch es vermag ein Gefühl von der verfahrenen Situation des Erwachsenwerdens heraufzubeschwören, ein Gefühl davon, wie es ist, den sogenannten eigenen Weg zu finden. Das drückt sich nicht über präzise Sprache aus, sondern über einen Sound, der sich durch die Aufzeichnung zieht. Aufzeichnungen aus dem Kellerloch des Verstandes.

Das ist eindrücklich, weil erwachsen werden heute ja nicht mit 30 abgeschlossen ist, sondern gefühlt dann erst losgeht. Deswegen ist das Thema Adoleszenz eigentlich für alle und immer interessant. Es ist ein immer wiederkehrender Kreislauf. Und zwar genau so einer, wie der, mit dem dieses Buch endet : “Und es spiralt und geht immer weiter. Und von vorne: Kapitel 1”.