Der kraftstrotzende steinerne Rapper Tupac vor dem Marta Herford wirkt wie ein Denkmal für die Popkultur der 90er-Jahre: Damals schwamm die Musikindustrie in Geld, und das Musikfernsehen war das CNN der Jugend. Paolo Chiaseras 2005 hier aufgestellte Skulptur ist zwar nicht Teil der aktuellen Ausstellung "Mix it – Popmusik und Videokunst" im Museum, schlägt aber einen schönen Bogen. Statt MTV schaut man heute YouTube, Musiker können neue Formate ausprobieren und überraschen mit 40-minütigen "visuellen Alben", und Filmer wie Kahlil Joseph stellen auf der Art Basel aus.
"Popmusik und Videokunst" ist also ein ergiebiges Thema. An die Maßstäbe setzende Schau "The Infinite Mix" der Hayward Gallery vergangenes Jahr in London kommt die Herforder Ausstellung mit dem verdächtig ähnlichen Titel zwar nicht ran, liefert aber interessante Ergänzungen. Christian Jankowskis Karaoke-Box und Wolfgang Tillmans, der inzwischen selbst ein "visuelles Album" veröffentlicht hat, sind echte Höhepunkte. Der Berliner Jankowski bezahlte eine koreanische Karaoke-Firma, jene abgedroschenen Filmchen herzustellen, auf denen typischerweise der Text zum Mitsingen läuft. Wir sehen den Künstler selbst in Szenen einer Liebesbeziehung – Aufblühen, Glück, Zerbrechen –, das ganze Drama. Ein ironischer Kommentar auf Pop als Abziehbild. Dazu kann man in Herford gemütliche Westfalen "Losing My Religion" schmettern hören – eine wahre Freude!
Weniger Spaß machen die in dieser Ausstellung angebotenen Kopfhörer, mit denen alles einfach blechern klingt, zumal man die Videos von Tillmans, Mohamed Bourouissa und Fatima Al Qadiri auch im Netz zu Hause anschauen kann. Lieber in die Blackbox, in der Doug Aitkens spektakuläre Videoarbeit "SONG 1" läuft, mit der er 2012 die Fassade des Hirshhorn Museum in Washington bespielte: ein nicht enden wollender Reigen aus verführerischen Bildern von Städten, Menschen, Autos, Lichtern, dazu der Jazzsong "I Only Have Eyes For You" von Musikern wie Beck oder LCD Soundsystem interpretiert. Hier begreift man, was Künstler und Musiker zusammenführt: die Möglichkeit einer synästhetischen Versöhnung von Licht, Farbe, Sound, Raum und Individuum.
Diese Sehnsucht hat seit den Anfängen des Films, seit Walter Ruttmann oder Dsiga Wertow, audiovisuell arbeitende Künstler nie losgelassen. Das Gegenbild zu Aitken liefert das italienische Künstlerduo Masbedo gleich nebenan: Es zeigt, wie eine Platte mit John Lennons "Imagine" mit einem Zahnsteinentferner zerkratzt wird und sich komponierte Musik in Rauschen verwandelt.
Wie der gefräßige Pop zur Ideologie verhärtet ist, dazu hätte man sich noch mehr Arbeiten gewünscht. Doch diesen Widerspruch kann wahrscheinlich immer noch die Popmusik am besten selbst bearbeiten.