Wenn von Andro Wekuas Kunst die Rede ist, fällt oft das Wort "Atmosphäre", gefolgt von dem Eingeständnis, dass diese nicht in Worte zu fassen sei. Auch Kate Fowle, Chefkuratorin am Moskauer Garage Museum, will nichts zur Ausstellung "Dolphin in the Fountain" sagen. Um deren Geheimnis nicht zu vernichten? Welcher Bannspruch könnte die beklemmende Stimmung lösen?
Mit enigmatischer Kraft zieht einen schon im ersten Raum die Videoinstallation "By the Window" von 2008 auf einen dunklen Grund: Puppen – mal ein Junge, mal eine Frau – sitzen an einem Fenster, an dem Neonlicht, ein Sonnenuntergang und körnige Ansichten von einem Küstenort vorbeihuschen, dazu ein dumpfer Sound. Es könnten Erinnerungsfetzen an Sochumi sein, die Heimatstadt des heute in Berlin lebenden Künstlers, aus der er 1992 als 15-Jähriger im Georgisch-Abchasischen Krieg fliehen musste. Sein Vater, der für die Abspaltung von der Sowjetunion kämpfte, war drei Jahre zuvor auf einer Demonstration getötet worden.
Immer wieder hat Wekua sich auf Sochumi bezogen, wenn auch zumeist vage. Eine biografische Lesart, die seine Arbeit lediglich als Bebilderung eines Traumas wahrnimmt, lehnt er ab. Dennoch öffnet sich dieser Horizont hier, in der Hauptstadt des ehemaligen Sowjetimperiums.
Im zweiten Raum begegnet man dem Jungen in einem überraschenden "Prinzessin Mononoke"-Moment wieder: eine lebensgroße, silberne Figur, die von einem riesigen Wolf gestützt oder angestupst wird. Der Junge (oder stellt die geschlechtslose Statue doch ein Mädchen dar?) wirkt steif und unfertig wie eine Schaufensterpuppe, am Hinterkopf eine Platte, die ihn abschirmt vor dem Wolf. Man ist versucht, die Figuren als Allegorie zu deuten, den Wolf etwa als verstecktes Unheil (Wekua hat in einem Interview berichtet, wie er bis zum Tod seines Vaters in Sochumi herumstreunte, ohne etwas von dem drohenden Krieg mitzubekommen).
Doch die Gegenwartskunst ist zwar voller Analogien, aber – zu Recht! – frei von Allegorien, weshalb der unfertige Junge wohl genauso wie das aufgesockelte Modell eines Hauses und die Porträtbilder eines Mannes, die alle offenbar auf derselben Vorlage beruhen, auf Gedächtnislücken verweisen, die wir in der Erinnerung ausstaffieren. Wekua ist ein Meister darin, dieses unheimliche kognitive Füllmaterial darzustellen. Wörter reichen da tatsächlich nicht ran – aber zerstören auch nichts.