Demokratie und Kunstmarkt

"Künstler müssen kundenfreundlicher werden"

Stefan Heidenreich (links) und Magnus Resch 
Foto: Courtesy Stefan Heidenreich und Magnus Resch 

Stefan Heidenreich (links) und Magnus Resch 

Magnus Resch und Stefan Heidenreich wollen die Kunst demokratisieren. Deshalb fordern sie ein Ende des Kults um Exklusivität. Im Interview erklären der Ökonom und der Medientheoretiker, warum die Betrachter selbst entscheiden sollten, was sie sehen wollen


Stefan Heidenreich, Magnus Resch: In einem Beitrag für die "Zeit" fordern Sie mehr Stimmrecht für Betrachter, was in Museen ausgestellt wird und was gute Kunst ist. Wie könnte das gehen?

Magnus Resch: Die Kunst ist in einer Sackgasse. Ein paar wenige Sammler, Galeristen und Kuratoren bestimmen, was in Museen gezeigt wird. Das sind meist die Lieblinge des Marktes, also die, die eh schon viel Aufmerksamkeit bekommen. Vielfalt, Inklusion, Beteiligung des Publikums: Fehlanzeige. Künstler, die am Markt derzeit nicht erfolgreich sind, leiden. Galerien, die keine Superstars vertreten, machen zu. Wir fordern deshalb mehr Demokratie in der Auswahl.

Stefan Heidenreich: Wir liefern Ideen für verschiedene demokratische Verfahren, von Wahlen bis zu sozialen Medien. Überall haben die Betrachter etwas zu sagen und beeinflussen damit, was gemacht wird. Nur in der Kunst nicht.

MR: "Gute Kunst" existiert nicht. Der Begriff „Gute Kunst“ ist eine Marketingphrase. Die Bewertung von Kunst ist ausschließlich subjektiv. Wenn wir also mehr Stimmrecht für Betrachter fordern, dann geht es darum die Leute zu fragen, ob sie damit etwas anfangen können. Erst damit kommt wieder Energie in den verschlafenen, abgeschotteten Betrieb, der sich zwischen aufgeblasenen Fördervereinen und Förderanträgen verfahren hat.

Sie kritisieren die Gegenwartskunst als "blasierten Kult der Exklusivität". Was genau meinen Sie damit?

SH: Exklusivität ist das Produkt der Kunst. Wenn man sich fragt: what's your business, was bietet ihr eigentlich an? Dann ist es im Kunstmarkt genau das: Exklusivität und nichts anderes. Wie Werke aussehen ... egal. Was sie zeigen ... egal. Was sie bedeuten, interessiert ein paar Experten, aber seien wir ehrlich, eigentlich keinen Sammler. Was dort zählt, ist: dass kein anderer das hat, was ich habe. Pure Exklusivität. Deshalb auch der wirre und technisch vollkommen rückständige Kult um das Original.

Was haben Sie gegen Kunst (und Kunstvermittlung), die Besucher auf Gedanken bringen könnte, die sie noch nicht hatten?

MR: Vermittlung ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung. Sie versucht den Leuten eine Auswahl näher zu bringen, die am Ende ein Galeristen-Sammler-Duo und ein meistens von ihnen abhängiger Kurator für sie zusammengesucht hat. Das zementiert die Schranke zwischen Betrachter und Künstler. Wir wollen beide zusammenbringen, so unvermittelt wie nur möglich.

SH: Nochmal, wir wollen, dass die Besucher selbst aussuchen, was sie sehen und nicht am Nasenring durch eine Ausstellung geführt werden, die ein Kurator mit Leihware oder Schenkung von Milliardären bestückt hat. Wenn die Auswahl nicht stimmt, lohnt es sich auch nicht, sie zu erklären. Wir glauben, dass die Leute selbst fähig sind.

Sie möchten, dass "Künstler auf Betrachter zugehen". Das klingt nach Kundenfreundlichkeit.

SH: Ja. Heute sind Künstler ja auch schon "kundenfreundlich", aber leider nur gegenüber Sammlern und Kuratoren. Wir hoffen, dass sie gegenüber dem Rest der Bevölkerung auch kundenfreundlicher werden. Aber dafür müssten sie wissen, was dort gut ankommt.

Herr Resch, wollen Sie als Ökonom nicht einfach Kunst auf die platte Zufriedenheits- und Bewertungslogik von Marktplattformen runterbrechen?

MR: Was ist falsch dran, auf den Besucher zu hören? Eine Ausstellung, die keiner besucht, aber Steuergeld verschwendet, ist für mich eine schlechte Ausstellung. Eine Ausstellung, die auf Instagram gefeiert wird, dadurch neue Leute ins Museum spült, für hohe Ticketverkäufe sorgt und durch Sponsorengelder die Kasse vollmacht - das ist eine gute Ausstellung. In der Kunstwelt denkt man jedoch genau andersherum. Was Instagram feiert, gilt für die Kunstelite als schlichtweg stumpf. Diese Arroganz ist unangebracht.

Sie rufen Künstler dazu auf, weg vom Unikat, hin zur Massenproduktion zu denken und zu handeln. Welche ökonomischen Folgen hätte das? Und welche in der Rezeption von Kunstwerken?

MR: Zwischen Unikat und Preis gibt es eine eindeutige Verbindung. Editionen sind günstiger als Unikate. Kunst ist heute zu teuer. Ein Student kommt von der Uni und will sofort 7000 Euro für sein Unikat. Wer soll das denn kaufen? Für den Erstkäufer ist das zu teuer. Macht Kunst günstiger, macht den Markt transparenter, nehmt ihm endlich diese elitäre Aura. Dann wird auch meine Generation kaufen. Davon profitieren vor allem Künstler und Galeristen.

SH: Auch kann das gleiche Werk an verschiedenen Stellen gezeigt werden. Und das wir wie in der Musik mit Mash-Ups und Samples arbeiten könnten. Endlich. Im Endeffekt war die Moderne in der Hinsicht nicht fortschrittlich, sondern extrem technikfeindllich. Sie hat dafür gesorgt, dass über fast ein Jahrhundert, von 1860 bis 1960, die Kunst von mittelalterlichen Produktionsverfahren dominiert wurde. Dass sie dazu noch das breitere Publikum verachtet hat, kommt dazu. Wir müssen also das Erbe der Moderne überwinden, und zwar ohne ihre Errungenschaften, die es zweifellos gibt, die Fortschrittlichkeit etwa, über Bord zu werfen.

Wenn man sich die Besucherzahlen anschaut, sind die am Markt erfolgreichen Künstler auch die Kassenschlager in den Museen. Müssen, um die Ungesehenen und Unbekannten zu schützen und zu fördern, nicht erst recht die Kuratoren ran? Sie können ihnen in den Institutionen Sichtbarkeit verschaffen.


MR: Es geht um den Ansatz. Wenn ein Museum es ernst mit Publikumsbeteiligung meint – also Diversität, Vielfalt und echte Beteiligung will – dann sind die Kuratoren von morgen diejenigen, die clever und innovativ ausführen, was das Publikum bestimmt hat.

SH: Vorgekaute Auswahlen, und seinen sie noch so gut, werden in Zukunft nicht alles sein. Klar, das Kuratieren kann zu guten Ausstellungen führen. Nur, wir sagen: In Zukunft darf das nicht mehr das nicht das einzige Ausstellungsverfahren sein und 100 Prozent der Museumsflächen beanspruchen.