Es ist so etwas wie der "Turing-Test": Falls das Publikum beim besten Willen keinen Unterschied zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz erkennen kann, dann ist die Simulation gelungen. Nur wird die Probe aufs Exempel diesmal für Kunst angewandt. Die fünfte Biennale im Münchner Haus der Kunst, ausgerichtet vom Künstlerverbund, handelt vom Leben mit dem Coronavirus. Aber: Ein Teil der Ausstellung ist als direkte Reaktion auf die Pandemie entstanden – dem Rest der gezeigten Arbeiten wurde diese Interpretation nachträglich zugewiesen. Eigentlich hätten bei den Wandtexten noch die Jahreszahlen verschwinden müssen, die den Zeitabstand zwischen den beiden Gruppen verraten. Dann wäre die Verwirrung perfekt gewesen. So gibt "The World:Reglitterized" (die Welt glitzert wieder) eine eher schulterzuckende Antwort auf die Frage, ob wir ein Corona-Sujet in der Kunst brauchen und wollen. Früher war mehr Corona, könnte man hier sogar meinen.
Das Gefühl von Einsamkeit und schwebender Losgelöstheit wird schon seit längerem in Szene gesetzt, etwa von den konzeptuellen Fotografen Jeff Wall oder Rodney Graham in ihren jeweiligen Leuchtkastenbildern. Graham erreicht diesen Effekt über die penible Ausstattung von Kulisse und Kostüm, Wall montiert Malerei und Fotografie gegeneinander. Bereits seit den 1990er-Jahren lud Andrea Zittel in die behagliche Enge ihrer Wohnanhänger "A-Z Escape Vehicles" ein, in die maximal eine Person hineinpasst. Einen noch höheren Wiedererkennungswert bietet der Kurzfilm "Mad Mieter" (2019) des Münchner Duos M+M. Weil zwei Gottesanbeterinnen im selben Puppenhaus-Schlafzimmer miteinander auskommen müssen, beißt plötzlich ein Insekt das andere tot und frisst ihm genüsslich Stücke aus dem Leib.
Manche Zuschauerinnen nicken ungerührt, als der Abspann läuft. Unvorstellbar an dem Film ist eigentlich nur, dass er ohne Computereffekte mit zwei echten Gottesanbeterinnen gedreht wurde (das sterbende Tier nimmt sich einen Puppen-Stuhl zur Verteidigung, als spielte es die Rolle seines Lebens in einem Hitchcock-Film).
Nicht der Käfer ist der Schädling - wir sind es
Daniel Knorr, der 2005 den leeren rumänischen Pavillon in Venedig mit einer "Europäischen Grippe" infizierte und seitdem mit Installationen stets zu provozieren wusste, hat das Haus der Kunst mit bunten Plastik-Würmern auf jeder Höhe behängt, deren Berührung sich beim Hindurchgehen kaum ausweichen lässt ("Calligraphic Wig", 2019). Es sind die willkürlich gekneteten Ausschüsse einer Hongkonger Recyclingfabrik, die sich in Decke, Boden und Wänden aus leuchtender Spiegelfolie immer weiter verformen – die Installation ist aber eher ein Hingucker als ein Debattenbeitrag.
Das Umweltthema und die optische Brillanz teilt Knorr mit Stefanie Zoche. Diese hat den Spuren des Borkenkäfers eine schöne Skulptur in Schneeweiß und glossy Schwarz gewidmet. "Er ist nicht der Schädling, sondern die Folge unseres Schädling-Seins", verteidigt sie den Käfer, der in deutschen Wäldern nicht zuletzt dank des Klimawandels auf dem Vormarsch ist.
Derweil feiern zwei großformatige Videoinstallationen von David Claerbout und Paul Valentin ihre Premiere. Valentin zeigt eine Fata Morgana aus Segelbooten auf glitzernder See, denen sich bald ihre Mäste verbiegen und verknoten. Claerbout hypnotisiert mit einem glänzenden Flugzeug auf Holzstützen, das von strengen Schritten bewacht und vom Betrachter umkreist wird. Beide Videos wirken zunächst täuschend echt, sind in Wahrheit jedoch Computermodellierungen (im Kontrast zu den Gottesanbeterinnen, bei denen es genau umgekehrt ist, funktioniert das besonders gut). Bis die Besucherinnen und Besucher dann den neu interpretierten "Merzbau" (2021) von Rasso Rottenfusser erklimmen, dessen wacklige Treppe mit einem echten "Kein Zutritt"-Schild endet, dürfte ihr Realitätssinn schon vollkommen verwirrt sein.
Immersive Environments und kleine Objekte
Überhaupt ist der räumliche Aufbau eine Stärke dieser Ausstellung, die sowohl immersive Environments als auch kleine Objekte zeigt und sie manchmal ins Duell treten lässt. Friedrich von Borries füllt eine große Wand mit seinem "Manifest der Folgenlosigkeit" (2021). Ihm zufolge wäre es mittlerweile eine Tugend, ohne jegliche Effekte auf andere durchs Leben zu gehen. Auf den ersten Blick ist das tatsächlich eine Schnittmenge der Corona- und Umwelt-Appelle. Versinnbildlicht wird die Folgenlosigkeit durch den Eierlauf, der es zum einzigen Ziel hat, keine Folgen für das rohe Ei auf dem Löffel zu produzieren – als Lebensphilosophie würde dies aber wohl doch ziemlich langweilig. Jedenfalls kommt von Borries damit nicht gegen eine winzige Tonskulptur der großen Laurie Anderson an ("Alexander the Great (Talking Sculpture)", 2021), die ihm gegenüber steht. Auf der Oberfläche des Werks erzählt eine Projektion der Künstlerin, wie Alexander der Große einst sein eigenes Konterfei im Gold des Münzgelds verewigt sah.
Warum die Folgenlosigkeit eine Utopie bleiben muss, zeigt Warren Neidich. In seiner bunten Neonlicht-Skulptur "Pizzagate", die seit 2017 nur relevanter geworden ist, sind alle Wörter über gehängte Folgepfeile miteinander verbunden. Die moderne Netzwerkgesellschaft wird als Wortfeld, Edelstein oder Nervensystem dargestellt, und niemand kann sich ihrer ganz entziehen: Weil die Performancekünstlerin Marina Abramović im Jahr 2016 zum festen Inventar einer rechten Verschwörungstheorie aus den USA wurde, steht bei Neidich sogar ihr Name in Verbindung zu "Satanismus", "Menschenhandel" und "Pädophilie". Für diese Verleumdung reichte es aus, sich mit Kunstsammlern aus dem Dunstkreis von Hillary Clinton sehen zu lassen. Den Rest erledigte das Internet, die Kettenreaktion nahm ihren Lauf.
Eine solche guilt by association war bereits vor Corona ein Risiko von flüchtigen Sozialkontakten. Jede künstlerische Position im Haus der Kunst verweist wieder auf eine andere, ein Pfeil führt zum nächsten. Im Falle dieser an Leihgaben reichen, hochkarätig besetzten Glitzer-Schau, die Lust auf ein "Danach" der Pandemie macht (wenn es so etwas überhaupt geben kann), nahmen es alle Beteiligten jedenfalls gern in Kauf, miteinander gesehen zu werden.