Gastkommentar

Nürnberg braucht den Regenbogen

In Nürnberg hat ein anonymes Kunstkollektiv eine Tribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Regenbogenfarben bemalt. Die Stadt stuft das Gegendenkmal als Vandalismus ein - und vertut eine große Chance im Umgang mit dem NS-Erbe. Ein Gastkommentar  

 

Marie-Louise Monrad Møller ist promovierte Kunsthistorikerin und Autorin 

Fabian Schäfer ist Professor für Japanologie am Institut für Sprachen und Kulturen des Nahen Ostens und Ostasiens an der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen und Mitglied des Instituts für angewandte Heterotopie in Nürnberg


Auch in Franken wurde kürzlich auf die Titelvergabe der Kulturhauptstadt 2025 hingefiebert. Am 28. Oktober sollte es soweit sein. Während man in der Nacht zuvor auch in Nürnberger Bürgermeister*innenkreisen noch auf den Titel hoffte, zogen die Mitglieder eines  Künstler*innen-Kollektivs auf das ehemalige Reichsparteitagsgelände, um eine Zeichen setzende Aktion zu starten. Still und heimlich malten sie die grauen Pfeiler der Zeppelintribüne in den Farben des Regenbogens an. Als Zeichen für die LGBTQI*-Bewegung, die pluralistische Gesellschaft, selbst für Kinder zu verstehen in seinem "maximalen Kontrast" zu allem, was braun oder grau ist. So heißt es in der Pressemitteilung des Kollektivs, das bisher anonym bleiben will. Ihr Kunstwerk trägt den Titel "Das Regenbogen Präludium".

Wenige Stunden später, am Morgen des Tages an dem bekannt wurde, dass Nürnberg nicht Kulturhauptstadt 2025 wird, brachte das städtische Liegenschaftsamt die Kunstaktion bei der Polizei zur Anzeige. Prompt titulierte man das Kunstwerk als Sachbeschädigung. An dieser spontanen Nürnberger Reaktion zeigt sich ein antiquiertes Kultur- und Kunstverständnis, das den Geist eines tief in der Stadt verwurzelten Konservatismus atmet und konstruktiven kreativen Diskurs noch im Keim erstickt. Kulturbürgermeisterin und Honorarprofessorin Julia Lehner (CSU) fiel nichts besseres ein, als auf die Kunstaktion mit alles umarmendem Populismus zu reagieren: "Die Auseinandersetzung mit dem Erbe der NS-Zeit mit Mitteln der Kunst ist ein zentrales Anliegen. Temporäre künstlerische Interventionen sind deshalb zu begrüßen. Sie bedürfen jedoch der Absprache und müssen mit dem Denkmalschutz vereinbar sein."

Trotz dieser halbherzigen Fürsprache rückte bereits am nächsten Tag ein Trupp von Reinigungskräften an, der das Kunstwerk nicht einmal 48 Stunden nach seiner Entstehung in den Gulli kärcherte. Am Freitagnachmittag waren noch drei bunte Streifen übrig, mehr hatte die fleißige Truppe vor dem nachmittäglichen Feierabend trotz der großen Eile wohl nicht geschafft. Die nachgeschobene Begründung für diese überstürzte Beseitigung: die Farbpartikel hätten die unter Denkmalschutz stehende Bausubstanz nachhaltig beschädigen können.

Hilflosigkeit und fehlendes Vertrauen in die lokale Szene

Seit 1973 stehen die Bauwerke des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes unter Denkmalschutz (was im Übrigen niemanden davon abgehalten hat hier Rockkonzerte, Autorennen und Jahrmärkte zu veranstalten). Die von Albert Speer entworfene Zeppelintribüne diente während der zwischen 1933 und 1938 auf dem Gelände veranstalteten Reichsparteitage als gigantomanische Rednerbühne Adolf Hitlers. Es ist nicht leicht, einen angemessenen Umgang mit solch historisch brisanten Gebäuden zu finden. Werden sie abgerissen, eliminiert man Spuren der Vergangenheit und erschwert so die historische Auseinandersetzung. Zweistellige Millionensummen in die Erhaltung von NS-Gebäuden zu investieren, scheint allerdings ebenso fragwürdig.

Dass es sich bei der Zeppelintribüne um ein schwieriges Erbe handelt, steht außer Frage. Dass die Erinnerung und das Bewusstsein um die Problematik dieses Erbes kontextualisiert und wach gehalten werden muss, auch. Was also tun, wenn die Steine buchstäblich zu bröckeln beginnen? Im Jahr 2016 hat die Stadt Nürnberg ein umfassendes Konzept zum Umgang mit der maroden Zeppelinbühne beschlossen, das auch deren Instandhaltung vorsieht. Bundesregierung und der Freistaat Bayern wollen den Großteil der Kosten in Höhe von 85,1 Millionen übernehmen.

Informationstafeln sollen Interessierte über den historischen Ort aufklären, heißt in einer offiziellen Infobroschüre der Stadt, die den Titel "Lernort Zeppelinfeld – Projekt zum Erhalt eines besonderen nationalen Erbes" trägt. Zudem werde eine künstlerische Auseinandersetzung mit "internationaler Beteiligung" angestrebt. Eine Forderung gegen die im Prinzip nichts einzuwenden ist, im Falle Nürnbergs aber Hilflosigkeit und fehlendes Vertrauen in die lokale Künstlerszene vermuten lässt. Hätte man Millionen für dieselbe Kunstaktion gezahlt, wenn sie von international bekannten Künstler*innen stammen würde, wie etwa Jonathan Meese, der im Bid Book der Bewerbung um die Kulturhauptstadt als geeigneter Kandidat für die künstlerische Thematisierung des NS-Bauerbes genannt wird? In jedem Fall entlarvt sich im städtischen Umgang mit der Kunstaktion das fehlende Vermögen, die lokale Künstler*innen-Szene überhaupt einschätzen zu können.

Genau die gewünschten Kontrapunkte zum historischen Erbe

Dass Kunstaktionen als Vandalismus verstanden werden, ist kein neues Phänomen. Beispiele hierfür finden sich zuhauf. Frappierend ist allerdings, dass die Stadt Nürnberg nicht erkannt zu haben scheint, dass das Künstler*innen-Kollektiv mit seiner Aktion eben jenen Umgang mit dem problematischen Bauerbe gewählt hat, der von der Stadt Nürnberg im Jahr 2017 noch offiziell gewünscht wurde. In der Infobroschüre heißt es weiter, man wolle "(künstlerische) Angebote schaffen", die "politisch Interessierten und zufälligen Passanten und Freizeitnutzern andere Zugänge in der Beschäftigung mit dem Gelände der NS-Zeit ermöglichen." Es sollten "Kontrapunkte zum historischen Erbe“ entstehen, weder Mystifizierung noch Monumentalisierung seien angebracht, stattdessen müsse dem brisanten Erbe "das demokratisch-pluralistische Denken der Gegenwart" entgegengesetzt werden.

Eben dies hat das Künstler*innen-Kollektiv mit "Das Regenbogen Präludium" nun getan. Das Kollektiv bedient sich dabei einer künstlerischen Strategie, die in den vergangenen Jahrzehnten immer öfter angewandt wurde, wenn es um den adäquaten Umgang mit unliebsam gewordenen Denkmälern und Bauwerken ging: der Setzung eines Gegendenkmals. Gegendenkmäler zerstören weniger, als dass sie überschreiben. Sie setzen provokanten Aussagen etwas entgegen. Obsolet gewordenen Inhalten wird also mit künstlerischen Mitteln widersprochen. Ein Gegendenkmal erhält seine Legitimation allein aus der Existenz eines bereits vorhandenen Denkmals, schöpft seine Aussage aber aus dem aktuellen Geschichtsverständnis.

Typischerweise werden Gegendenkmäler in unmittelbarer Nähe zu ihrem Konterpart errichtet, können allerdings auch am problematischen (Bau-)Denkmal selbst lokalisiert sein. Dies war in Nürnberg der Fall. Die Idee, den grauen Pfeilern der Zeppelintribüne eine bunten Anstrich zu verpassen, ist so schlicht wie raffiniert. Hier eröffnet sich ein ästhetisches und inhaltliches Spannungsfeld, das zum Dialog anregt. Die Regenbogenfarben gelten als weltweites Symbol der LGBTQI*, also von im Nationalsozialismus verfolgten Gruppen. Mit den simplen Mitteln der Farbgebung überlagert das Künstler*innen-Kollektiv also die ursprüngliche künstlerische Ideologie der Tribüne, die als gigantische, monochrome Bühne für Hitlers menschenverachtende Reden diente, mit einem neuen Symbol der Toleranz und Menschlichkeit.

Was Nürnberg nicht ist: Kulturhauptstadt 

Die Symbolkraft des Regenbogens, der für Vielfalt und Gleichberechtigung steht, ist Teil des digitalen Gedächtnisses geworden und wird auch die missglückte Bewerbung um den Titel der Kulturhauptstadt für immer in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Schließlich hat die Stadt mit ihrer völlig übereilten und restriktiven Reaktion vor allem bewiesen, was sie nicht ist: eine Kulturhauptstadt.

Bewusst hat sich das Künstler*innen-Kollektiv dafür entschieden, wasserlösliche Farben zu verwenden. Regen hätte die Farbe innerhalb der nächsten Wochen also ohnehin wieder abgewaschen. Mit der mutwilligen Zerstörung dieses Gegenkunstwerks hat die Stadt nicht nur mangelndes Kunstverständnis unter Beweis gestellt, sondern auch die Wirkmächtigkeit digitaler Bilder und der sozialen Medien eklatant unterschätzt. Das Kollektiv hat von Anfang an auf die digitale Zweitverwertung gesetzt und eigene Fotos von dem Kunstwerk produziert, die seit der Aktion im Internet zirkulieren. Im Zeitalter der digitalen und sozialen Medien ist es schließlich völlig sinnlos, darauf zu spekulieren, dass etwas aus dem digitalen Gedächtnis verschwindet, wenn es nur schnell aus dem öffentlichen Raum entfernt wird.

Eine neue, zeitgemäße Bildikone

Die Bilder der in Regenbogenfarben leuchtenden Fassade, die jetzt zu hunderten auf Facebook oder Instagram geteilt werden, lassen sich nicht so leicht wieder löschen wie die wasserlösliche Farbe auf der Tribüne. Auch diese digitale Zweitverwertung kann als Teil des Konzeptes des Kollektivs verstanden werden. Gerade die Zeppelintribüne hat wie kaum ein anderes nationalsozialistisches Bauwerk den Status einer Bildikone inne. Leni Riefenstahl setzte sie in "Triumph des Willen" filmisch in Szene, nach Kriegsende filmte die US-Army die Sprengung des überdimensionierten Hakenkreuzes auf der Tribüne, Aufnahmen eines Denkmalsturzes, die sich als Symbol für das Ende des Nationalsozialismus in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Im Jahr 2020 hat das Kollektiv "Regenbogen Präludium" eine neue, zeitgemäße Bildikone geschaffen, die lange überfällig war.

Bis heute wird die Zeppelintribüne auch von Neo-Nazis als Selfie-Kulisse besucht. Die voreilig von der Stadt entfernten Regenbogenfarben hätten das in Zukunft womöglich verhindert, welcher Nazi will schon vor LGBTQI*-Farben posieren? Insofern bleibt der Stadt Nürnberg jetzt eigentlich nur eins, nämlich das Kunstwerk wieder anbringen zu lassen. Deshalb sollte dem Künstler*innen-Kollektiv die ernst gemeinte Möglichkeit gegeben werden, das Kunstwerk in einer permanenten Version mit Rücksicht auf den Denkmalschutz wieder anbringen zu lassen. Denn auch wenn weiterhin die Frage nach der Sinnhaftigkeit der millionenschweren Instandhaltung des NS-Bauerbes im Raume schwebt, fest steht wohl nur eins: Gute Kunst muss nicht immer teuer sein. Manchmal wird sie einem sogar geschenkt.