Einige Ausstellungen sind schon wieder vorbei, andere haben noch gar nicht begonnen. Ray, die Triennale der Fotografie in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet, umfasst einen ganzen Sommer – mit festen Häusern, die den gesamten Zeitraum über geöffnet bleiben, aber ebenso vielen (und inzwischen beinahe unübersichtlich zahlreichen) Partnerausstellungen, die als eigenständig kuratierte Satelliten das Hauptgeschehen umkreisen.
Ein solch lohnenswerter Satellit war sicherlich Gaëlle Choisnes "Temple of Love – To Hide" in der Villa 102, einem historischen Bau, der heute der KfW-Stiftung gehört. Die französisch-haitianische Künstlerin trifft mit Schlagworten wie Spiritualität, Kollaboration und wissenschaftlich-künstlerischer wie historisch-persönlicher Spurensuche definitiv den Zeitgeist – allerdings ist Choisnes überbordend zusammengebrachte Unordnung in Form von Collagen, Installationen, Skulpturen und Reliefs auch schlicht eine große Freude, anzuschauen und drin zu stehen.
Zu den herausragenden Schauen der in ihrer fünften Ausgabe "Echoes" überschriebenen Triennale zählte auch eine vergleichsweise kleine, gewissermaßen Coming-of-Age-Präsentation. Allerdings mit Themen, die von adoleszenter Leichtigkeit kaum ferner liegen könnten. Bei "Part of Me" mit Anna Maria Boshnakova und Lilli Nass schlug derart Privates und Intimes in den Ausstellungsraum der Galerie Hanna Bekker vom Rath, dass man stellenweise gern weggeschaut hätte, obwohl der eigentliche Schrecken doch gar nicht zu sehen war. Nass zeigte eine Serie, in der sie ihren Vater während dessen Demenzerkrankung fotografisch begleitet hatte – und man konnte zuschauen, wie sie den gemeinsamen Momenten einfühlsam, aber ohne falsche Sentimentalität noch so viel Leben wie möglich abzutrotzen versuchte.
Farbemulsionen und Brandlöcher
Anna Maria Boshnakova rückte ihrerseits eine persönliche Geschichte in den Galerieraum, die man dort kaum zu hören bekommt, wenngleich die Statistiken leider dafür sprechen, dass es sich keineswegs um eine familiäre Ausnahme handeln kann. Sie suchte Bilder für den sexuellen Missbrauch durch ihren Stiefvater und fand sie in neuen wie alten Aufnahmen: Familienfotos rückte sie so zu Leibe, dass Urlaubsausflüge, Weihnachtsbäume und die Silhouetten drumherum zu Farbemulsionen oder Brandlöchern zusammenschmolzen. Mit eigenen Künstlerinnen-Fotobüchern sind die Arbeiten über die kurze Ausstellung hinaus präsent.
Das Schlachtfeld Familie bearbeitet auch Diego Moreno, aktuell gemeinsam mit Jesper Just, Anton Kusters und Jyoti Mistry im Museum Angewandte Kunst zu sehen. Seine Eingriffe ins fotografische Bild zeigen einige Verwandtschaft zu denen von Boshnakova. Nur während es bei der jungen Künstlerin in Richtung Auflösung und Zerstörung der teuflischen Täuschbilder tendiert, überschreibt der mexikanische Künstler seine Familienfotografien mit neuen Dämonen: Fratzen, Klauen und Teufelshörner blitzen unvermittelt auf Hochzeiten und Gruppenfotos auf, Haut und Kleidung fließen an den Menschen herab. Man wird Zeuge dieser Fotografiewerdung eines inneren Zustands - einer quälenden Internalisierung des vermeintlich Abartigen, die Moreno in seiner hochreligiösen, homophoben Familie erfahren hat.
Neben aktuellen Arbeiten präsentieren die Ray-Ausstellungen zahlreiche historische Positionen – manche, wie das lustvolle Genderbending eines Jürgen Klauke oder die frühen Selbstporträts von Joy Gregory im Fotografie Forum Frankfurt, entfachen heute fraglos nochmals ein ganz anderes Echo. Dazu gibt es Videoarbeiten über Raum und Zeit und die menschliche Verwandlung von Dinu Li (mit dessen eigener Mutter als Hauptdarstellerin) und Fotografien des Inuit Inuuteq Storch, der mit seinen 90er-geschulten Ansichten des grönländischen Alltags gerade den dänischen Pavillon in Venedig bespielt.
Die Unmöglichkeit einer Annäherung im Zoom-Zeitalter
Andere Ausstellungshäuser greifen auf die eigene Sammlung zu. Die Deutsche Börse Photography Foundation beispielsweise präsentiert neue Ankäufe und etablierte Fotografinnen, von Sophie Calle bis Maisie Cousins. Auch Lebohang Kganye ist dabei: Sie hat gerade in London den Deutsche Börse Photography Prize erhalten und wird derzeit noch mit einer weiteren Einzelschau im Ausstellungsraum gezeigt.
Noch diese Woche im Rahmen der Fotografietriennale zu sehen ist außerdem ein Gruß aus der Corona-Vergangenheit. Witold Riedel zeigt im Heussenstamm Raum für Stadt und Kunst fotografische Abstraktionen seines Sohnes, die vielleicht so etwas wie die Unmöglichkeit einer Annäherung im Zoom-Zeitalter widerspiegeln. Einige Jahre später ergeben die Farbflächen und Pixel, zu denen sich die geliebten Menschen gegenüber formierten, plötzlich Sinn. Manche Bilder finden ihren Widerhall eben erst mit einigem zeitlichen Abstand.