Aus Perspektive seiner demokratischen Konkurrenten (und wahrscheinlich auch aus deutscher Sicht) hat sich Trump mit einem Post gegen die "Antifa" nun endgültig als Faschist geoutet. Trumps eher bildungsferne Kernzielgruppe wird sich dagegen fragen, was schon groß dabei sein soll. Ein rotes Dreieck, auf den Kopf gestellt. Schließlich, stellte sich auch sein Kampagnensprecher dumm, führe Facebook dieses Symbol selbst als Emoji. Und sogar Hakenkreuze sind in den USA nicht verboten.
Aber Facebooks Standards sind offenbar andere als die amerikanischer Gesetze und Provinzler. Für das Unternehmen aus Menlo Park war besagtes rotes Dreieck der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es prangte unter einem Aufruf, Amerika vor Linksradikalen zu retten. Wie in einem Kippbild wurde das an sich unverfängliche rote Dreieck damit als jenes Symbol erkenntlich, das in Konzentrationslagern politische Gefangene kennzeichnete. Das soziale Netzwerk zensierte den Post der Trump-Kampagne als organisierte Hassrede.
Lange hatte sich Facebook gegen eine Zensur Trumps gesträubt und wurde dafür heftig von Werbekunden und Mitarbeitern kritisiert. Nun geht es denselben Weg wie zuvor Twitter, das während der letzten Wochen das langgehegte Credo politischer Neutralität aufgegeben hat und die Posts des US-Präsidenten mit Warnhinweisen versehen hat: Weil sie manipulierte Medien zeigen. Weil sie Gewalt verherrlichen. Weil Trump gezielt Falschinformation streut.
Erst hochjazzen, dann genüsslich absägen
Natürlich ist das inhaltlich zu begrüßen. Aber es wirft auch eine Reihe von Problemen auf. Zuallererst ist es bigott, wenn digitale Plattformen nun in den Empörungschor gegen Trump einstimmen und ihn zensieren. Ohne den Kanal Twitter würde Trumps Präsidentschaft gar nicht funktionieren. Und gerade Facebook wurde in Zusammenarbeit mit Cambridge Analytica zu Trumps Königsmacher.
Wenn die digitalen Netzwerke sich jetzt gegen das Monster wenden, das sie schufen, sollte das mit einer Aufarbeitung ihrer Vergangenheit als Wegbereiter des Rechtspopulismus verbunden sein. Und entsprechenden Reformen. Sonst drängt sich der Eindruck auf, dass es sich hier ganz einfach um eine Machtdemonstration handelt, bei der soziale Medien zeigen, dass sie – ganz wie einst die Boulevardpresse – selbst noch die unfähigsten Präsidenten hochjazzen und dann genüsslich absägen können.
Ein Ansatz für solche selbstkritischen Reformen ist durchaus da. Wie in Zuckerbergs zahlreichen Canossagängen im Anschluss an Trumps Wahl angekündigt, hat Facebook seit einigen Wochen ein 20-köpfiges Oversight Board, in dem Menschenrechtler, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft sitzen. Dieses soll Facebooks Contentmoderation transparent und nachvollziehbar machen und in diesen Fragen mächtiger sein als Zuckerberg selbst. Aber weil es nicht unabhängig vom Unternehmen ist, kann es keine wirkliche Kontrollfunktion ausüben.
Freien Lauf für Aufrufe zum Genozid
Dass der notorisch größenwahnsinnige Zuckerberg das Gremium mit einem "Obersten Gerichtshof" vergleicht, ist auch nicht besonders vertrauenerweckend. Die mächtigste Demokratie der Welt hat ja schon einen Obersten Gerichtshof. Und dessen Sache wäre es eigentlich, Einschnitte in Grundrechte wie das der Redefreiheit zu verhandeln. Nicht diejenige Facebooks.
Bigott ist die Zensur Trumps auch, weil Facebook durchaus selbst nicht immer auf der Seite der Demokratie steht. Demokratische Dissidenten aus dem Nahen Osten werfen Facebook vor, regimetreu zu zensieren. In Vietnam blockiert Facebook regierungskritische Posts, was den Protest von Amnesty International auf den Plan rief. Facebook ließ auch den Aufrufen zum Genozid an den Rohingya freien Lauf und ist daher laut UN-Experten mitverantwortlich für diesen, der schätzungsweise 24.000 Menschenleben kostete und zu sexueller Gewalt gegen 18.000 Frauen und Mädchen führte. Gleichzeitig zensieren Facebook-Produkte Haare, Blut, Nippel und Genitalien, womit die bigotte Prüderie religiöser Eiferer zum globalen Standard wurde.
Eine eindeutige Linie in der Contentmoderation digitaler Netzwerke fehlt vor allem, weil das amerikanische Verständnis von Redefreiheit, im Unterschied zum europäischen, praktisch absolut ist. In den USA dürfen etwa Nazis in voller Montur marschieren. Sie können dabei auch die Südstaatenflagge schwenken, gerade in den USA ein unmissverständliches Symbol für Sklaverei. Privatunternehmen wie digitale Plattformen entscheiden weitgehend selbst, was sie zensieren. Diese gesetzliche Freiheit verleiht ihnen ungeheure Macht.
Gesetzgebung statt unternehmerischer Willkür
Zudem sind digitale Plattformen in den USA, anders als beispielsweise in Deutschland, für gepostete Inhalte ihrer User nicht haftbar. Gleichzeitig aber steht es Plattformen frei, Inhalte nach Gutdünken zu moderieren. Dass diese rechtliche Narrenfreiheit ihre Geschäftsgrundlage ist, weiß auch Trump nur zu genau. Als Vergeltung für Twitters Zensur brachte er eine Präsidialverordnung auf den Weg, deren Ziel es ist, das diese Situation festschreibende Gesetz aufzuheben, die vieldiskutierte Section 230 des Communications Decency Act. Dieses unterstrich er, paradoxerweise auf Twitter, mit einem Rant gegen die Allmacht digitaler Plattformen. Durch Zensur untergrabe das Silicon Valley die Freiheit.
Mit dieser Kritik rennt Trump nicht nur bei Rechten offene Türen ein. Und eine Reform der umstrittenen Section 230 ist, ungeachtet der politischen Verantwortungslosigkeit Trumps, keine schlechte Idee seiner Berater. Wären soziale Netzwerke für gepostete Inhalte haftbar, würde das ihre Zensurtätigkeiten sicherlich ausweiten. Aber wenigstens würden diese auf demokratischer Gesetzgebung basieren, nicht auf der Willkür privater Unternehmer.
Doch dann hätte die US-Gesetzgebung sehr große Macht über das weltweite Internet. Und vor allem Nicht-US-Bürger gerieten vom Regen in die Traufe. Sie wären von Gesetzen betroffen, über die sie nicht selbst bestimmen können. Ein guter Kompromiss wäre die Bildung einer nichtstaatlichen, aber wirklich unabhängigen Organisation, die für die Digitalindustrie allgemein gültige Standards zur Contentmoderation festlegt. So ein Gremium fordert beispielsweise die Digitalexpertin Kara Alaimo.
Zurück zum Underdogstatus
Nun aber zurück zum roten Dreieck: Wahrscheinlich wollte Trump mit dieser wirklich haarsträubenden Provokation seinen Underdogstatus wiederherstellen, der ihm gerade als Wahlkämpfer sehr viel besser liegt als derjenige eines Verantwortungsträgers, in dem er so offenkundig versagt hat. Maximale Provokation mit minimalen Mitteln. Das Ziel war gerade die erwartbare Gegenreaktion und weitere Polarisierung.
Die wenigen, wirklich hartgesottenen Neonazis unter Trumps Wählern dürften die Anspielung auf KZ-Kennzeichnungen genüsslich feiern. Sie sind zwar wichtig für Trump, falls es zu Auseinandersetzungen auf den Straßen kommt. Doch um sie geht es dabei eher nicht. Sondern vor allem um Trumps bildungsferne Stammwähler. Für unbedarfte Hinterwäldler muss der Vorfall wie eine hysterische Überreaktion der digitalen Westküstenelite auf ein harmloses rotes Dreieck wirken.
In der Herbeiführung einer inszenierten Opposition zu Silicon Valley liegt eine große Chance für Trump. Schon im letzten Wahlkampf hatte er immer wieder folgenlos angekündigt, gegen den digitalen Kapitalismus vorzugehen – und damit Ressentiments bedient. Vielleicht ist er damit Pionier eines antidigitalen Populismus, dessen Entwicklung nur einer Frage der Zeit ist. Schließlich gilt das Silicon Valley nicht ganz zu Unrecht als globaler Meinungsmanipulator, Vernichter von Arbeitsplätzen, Zerstörer der Privatsphäre und Drückeberger bei Steuerzahlungen.
Wenn es Trump nun gelingt, sich derart als Kämpfer gegen Silicon Valleys Allmacht zu inszenieren, dürften ihm die verbitterten Herzen der Frustrierten und Machtlosen auf der ganzen Welt zufliegen. Fraglich ist aber, ob ihn diese Strategie angesichts seines inkompetenten Verhaltens in den letzten Krisen retten kann. Zuletzt sah es so aus, als könnte Trump nicht mal etwas gegen die Teenieplattform TikTok ausrichten.