Bei einem Besuch der Uffizien passiert man in den weitläufigen Räumen und Fluren unzählige Meisterwerke. Einige Figuren in den Rahmen teilen eine Gemeinsamkeit, die dem gemeinen Besucher oder der Besucherin beim müden Vorbeischlendern vermutlich gar nicht mehr auffällt: Sie sind ziemlich nackt. Die "Geburt der Venus" von Botticelli, die "Venus von Urbino" von Tizian oder der "Bacchus" von Michelangelo - sie alle sind gänzlich unbekleidet. Menschenscharen stehen täglich vor ihnen, sie werden in Universitäten diskutiert, und jüngere Generationen werden dazu ermuntert, sie sich doch anzuschauen, die wertvollen Schätze der Kunstgeschichte. Viele interessieren sie trotzdem nicht, uralte Malereien, langweilig. Vielleicht allerdings nur, bis klar wird, was man da eigentlich vor sich sieht.
Laut der kanadischen Porno-Website Pornhub sind es unbezahlbar wertvoller Erotik-Content. Die Politikerin, ehemalige Porno-Darstellerin und Jeff-Koons-Muse Ilona Staller, auch bekannt unter ihrem Künstlernamen Cicciolina, ist der Star in Pornhubs neuer Kampagne "Classic Nudes". In einem Promo-Video lüftet die Werbeträgerin ein unausgesprochenes, aber offensichtliches Geheimnis. "Einige der besten Pornos sind nicht auf Pornhub, man findet sie nur in einem Museum," sagt sie in ihrem starken italienischen Markenzeichen-Akzent. Und spricht damit offenbar den Alptraum vieler der wichtigsten Museen der Welt aus. Ihre Kunstwerke, Pornografie? "Pornos werden vielleicht nicht als Kunst betrachtet, aber manche Kunst kann definitiv als Porno betrachtet werden," ist das Motto der Kampagne. Und führt so den Besuchern die Verknüpfung deutlich vor Augen, die sie sich vielleicht nie zu sehen getraut hatten, selbst, als sie direkt vor ihnen hing.
Der Clip endet in einem Tableau Vivant mit Cicciolina als neugeborener Venus in einem beigefarbenem Einteiler und ist damit ein Vorgeschmack der restlichen Aktion. "Classic Nudes“ dient als ein erotischer Museumsguide und führt durch das Prado in Madrid, das Musée D’Orsay in Paris, die National Gallery in London und das Met in New York. Es werden dabei ausschließlich Aktbilder betrachtet, die zusätzlich mit kurzen, lustvollen Texten oder Audioguides versehen sind, eingesprochen von der Pornodarstellerin Asa Akira. Pro Museum gibt es auch einen Videoguide, der mit einer lebendigen Szene beginnt, etwa dem nachgestellten "Ursprung der Welt" von Gustave Courbet, und schließlich in einer Szene endet, die so oder so ähnlich sicher zahlreich auf Pornhub zu finden ist. Ein weitergesponnenes Gemälde, unterlegt mit klassischer Musik. In Licht, Szenerie und Ästhetik sind viele Gemeinsamkeiten mit dem gemalten Original zu finden.
Erotikbranche für kulturelle Schätze ungeeignet?
In Florenz waren es in der letzten Woche um die 35 Grad, aber nicht die Temperaturen sorgten für einen heißen Diskurs in den Uffizien. Nein, auch das weltberühmte italienische Museum war in dem sexy Guide vertreten gewesen - und offensichtlich entsetzt darüber. Man habe sich an zuständige Regierungsstellen gewandt, da eine schwere Urheberrechtsverletzung von Seiten Pornhubs vorliege, hieß es Anfang der Woche im "Corriere della Sera". Museumsdirektor Eike Schmidt wollte nicht einmal in der Presse Stellung zu der Aktion nehmen, um seinen Namen, beziehungsweise den des Hauses, nicht mit dem einer Porno-Seite in Verbindung zu bringen. Mittlerweile sind die Werke der Uffizien nicht mehr bei den nackten Klassikern dabei, genausowenig wie die des Pariser Louvre, denn auch hier war der Ärger groß.
Der Kunstkritiker Carsten Probst vermutet, dass es weniger um Prüderie gehe, sondern darum, dass keine Lizenzgebühr für die öffentliche Nutzung von Venus und Co bezahlt wurde. Gleichzeitig ist nicht auszuschließen, dass die Museen die Erotikbranche als eine ungeeignete sehen, um auf die von ihnen gehüteten Meisterwerke aufmerksam zu machen.
Aber warum eigentlich? Gerade die Uffizien hatten in letzter Zeit auf eine progressive Art und Weise ihre Kunstschätze vermarktet. Sie präsentierten als eine der ersten Museen einen erfolgreichen Tik-Tok- Account, auf dem sie ihre Alten Meister auf die Schippe nahmen, Medusa einen Mund-Nasen-Schutz verpassten und daraufhin von der "New York Times" in positivstem Ton als "Klassenclown" bezeichnet wurden. Die Tik-Tok-Beauftragte des Museums selbst hatte den Boom damals damit kommentiert, dass Kunst nicht langweilig sei, sondern etwas, das man für sich selbst entdecken könne. Auf seine eigene Art und Weise. Ist Erotik da der schlechteste Ansatz?
Porno kann auch Kunst sein
Vor einem Jahr war Italiens Liebling und erfolgreichste Bloggerin der Welt Chiara Ferragni offiziell in die Uffizien eingeladen worden, hatte Eike Schmidts Hand geschüttelt, vor Botticellis Venus posiert und den erhofften Ferragni-Effekt erzielt. Am darauffolgenden Wochenende waren zum ersten Mal seit dem Lockdown im Frühjahr 2020 wieder mehr als 3000 Besucher gezählt worden, davon 27 Prozent mehr junge Menschen als sonst. Chiara Ferragni war auf den Bildern zwar nicht nackt, hat in ihrem von 24,3 Millionen Followern verfolgten Online-Leben jedoch reichlich wenig mit Kunstgeschichte zu tun. Sie war ganz klar ein erfolgversprechender PR-Gast, der Aufmerksamkeit bei den jungen Italienern und Italienerinnen generieren sollte, und das so zeitgemäß wie möglich.
Die Alten Meister haben dabei keinen Schaden genommen, im Gegenteil, sie bekamen mehr Aufmerksamkeit. Die haben die Uffizien auch durch Pornhub jetzt en masse, genau wie die anderen fünf Kunsteinrichtungen, und doch wehren sie sich massiv. Dabei verlieren die Meisterwerke durch ein provokantes Zitieren nicht ihre Relevanz oder ihren Status als wichtige Werke, sondern bekommen diesen noch einmal bestätigt.
Sie sind von solch einer Bedeutung, dass sie als Porno-Version imitiert werden und es ihrem Image nichts anhaben kann. Außerdem sind die "Classic Nudes" ästhetisch ansprechend und geschmackvoll gestaltet, übernehmen Stimmung und Stil. Die Texte sind zum Schmunzeln, leicht verständlich, nicht respektlos, sondern kokett geschrieben. Man könnte fast sagen, Porno kann auch Kunst sein, nicht nur umgekehrt.
Beim Thema Alte Meister und Erotik gibt es eine Menge Gesprächsbedarf
Ilona Staller alias Cicciolina hat ihr ganzes Leben lang dafür gekämpft, dass Pornografie als Kunst anerkannt wird. Ihr darf also eine gewisse Expertise auf diesem Gebiet zugestanden werden. Außerdem stellen sich in der Malerei wie in der Porno-Industrie interessanterweise ähnliche Fragen: Wer begehrt wen? Welche Körper werden als sexy akzeptiert? Wer empfindet aktiv Lust und wer wird zum Sexobjekt degradiert? Welche Rolle spielt Gewalt? Wie man dieses Thema unterhaltsam, aber fundiert aus einer feministischen Perspektive beleuchtet, zeigt die französische Komikerin Hortense Belhôte in ihrer Serie "Bitte nicht anfassen" auf Arte. Und offenbar gibt es beim Thema Alte Meister und Erotik eine Menge Gesprächsbedarf.
Wo fängt Kunst an, wo hört sie auf? Und warum muss Humor dort enden, wo Erotik ins Spiel kommt? Grenzen aller Art werden glücklicherweise immer flüssiger, je mehr Platz geschaffen wird, um sich noch unbekannten oder unbeachteten Themen und Verschmelzungen zu widmen. Wer weiß, wie viele neue Kunstinteressierte es durch die "Classic Nudes" in die Uffizien und in den Louvre treibt? Die Reaktion der Kunsthäuser scheint etwas verklemmt fürs Hier und Jetzt. Und würde man heute neben den Direktoren durch die Gänge ihrer heiligen Hallen schreiten, würde man die Nackten vielleicht von den Wänden flüstern hören: "Regt euch nicht so auf, uns kann doch keiner was!"