Vor dem eindrucksvollen Portal des Museums für Naturkunde in Berlin steht sein Generaldirektor Johannes Vogel mit fröhlich gezwirbeltem Oberlippenbart und verkündet voller Enthusiasmus, dass Berlin die Hauptstadt der Natur sei! Und wenn die Schmetterlinge nicht gerade in seinem Museum ausgestellt seien, oder wie heute auf seiner Krawatte abgedruckt, dann könne man sie sehen, überall in der Stadt. Und jetzt auch hier, auf dem Vorplatz seines Museums, wo gerade ein neues Kunstwerk präsentiert wird. Der "Pollinator Pathmaker" nämlich, den seine Schöpferin als Kunst für Tiere, nicht über Tiere beschreibt.
Alexandra Daisy Ginsberg hat ihn sich ausgedacht. Ein Garten, der auf 722 Quadratmetern vor dem Museum angepflanzt wurde. Artischocken, Schnittlauch, Balkan-Bärenklau oder die Gemeine Wegwarte wachsen mit Abstand zueinander. 7.000 Pflanzen 80 unterschiedlicher Arten. Um ihre Blüten surren Bienen. Entlang führt ein Weg. Wirkt jetzt nicht wie ein von Carl von Linné angelegter Garten, eher wie eine geordnete Blumenwiese. Doch das Besondere: Diesen Garten hat ein Algorithmus errechnet.
Zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat die britisch-südafrikanische Künstlerin, die oft zu Künstlicher Intelligenz, synthetischer Biologie, Naturschutz und Biodiversität arbeitet, Daten zusammengeführt. Über Pflanzen und ihre Eigenschaften, über Bestäuber, wie Bienen, Motten, Schmetterlinge oder Käfer und ihre Nahrungsaufnahme. Auch über Bodenbeschaffenheiten und sich daraus ergebenden Bedürfnissen und Möglichkeiten. Aus diesen Daten errechnet der Algorithmus dann die beste Bepflanzung für einen Garten, um möglichst viele Varianten von Bestäubern anzulocken und das über eine möglichst große Periode im Jahr. Die Pflanzen wurden nach Blühzeitraum ausgewählt, nach Farben, die von unterschiedlichen Insekten unterschiedlich wahrgenommen werden können, manche ziehen bestimmte Arten an, andere werden von vielen angeflogen. Ein optimierter Garten. Die Ars Electronica hat sie für ihr Projekt nun in diesem Jahr mit dem "Grand Prize – Artistic Exploration" bedacht.
Ein Werk mit Experiment-Charakter
Ginsberg hat andere "Pollinator Pathmaker"-Gärten zum Beispiel bereits für die Serpentine Galleries in London angelegt. Hans Ulrich Obrist schwärmte von dem post-anthropozentrischen Ansatz der Künstlerin, deren Arbeit einen Perspektivwechsel anregen möchten. Ein Garten, der nicht nur schön sein soll, sondern nützlich für seine Bewohner. Ist das eine Lösung in der Klimakrise?
Der Garten in Berlin wurde von der LAS Art Foundation beauftragt. Die Kunststiftung arbeitet vor allem an Projekten, die Kunst mit Wissenschaft und Technologie zusammenbringen, mit dem "Pollinator Pathmaker" bringt sie den Algorithmus hinter dem Garten nun erstmals in kontinentaleuropäische Länder. Und auf der "Pollinator"-Website sollen und können interessierte Hobbygärtnerinnen und -gärtner hier nun ebenfalls pollinatorfreundliche Gärten entwerfen lassen. Die Künstlerin stellt sich vor, so sagt sie bei der Eröffnung, dass sich die Gärten vernetzen, bedingen, um die Lebensräume für möglichst viele Bestäuberarten zu erweitern. Das größte lebendige Kunstwerk solle es werden.
Mit einem entsprechenden Bildungsprogramm, dass das Museum für Naturkunde etwa für Schulklassen entwickelt hat, sollen weitere Möglichkeiten geschaffen werden, über unterschiedliche Bedürfnisse von Bestäubern zu informieren. Aber auch über ihre Bedeutung in unserem Ökosystem und mangelnde Biodiversität aufzuklären.
LAS-Direktorin Bettina Kames spricht vom starken Experiment-Charakter des Werkes. Und es ist weiter im Werden, wie es sich mit den Wetterbedingungen schlägt, welche Arten wirklich angezogen werden, all das bleibt abzuwarten, sagt auch die Künstlerin, während sie durch den Garten führt, der noch bis zum Jahr 2026 öffentlich zugänglich sein soll.
Algorithmus versus Gärtnerei
Aber was soll das denn nun alles? Dachgärten, Bienenstöcke, Vertikalbepflanzung von Bäumen, das ist doch ein alter Hut. Die Künstlerin steht bei der Eröffnung mit einem floral bedruckten Kleid in ihrem Garten und passt sich perfekt ein in die Blütenlandschaft gegen die eine mehrspurige Straße samt Straßenbahn anbrettert. Es gehe ihr um Empathie, es gehe ihr um Optimierung, sagt sie. Es gehe um die Frage, welche Entscheidung der Mensch treffe und warum, sagt LAS-Kuratorinnen Sophie Korschildgen. Es gehe Alexandra Daisy Ginsberg auch um eine Kritik der Technologie.
Und so steht man in dem Garten und fragt sich, was Computer besser können als Gärtnerinnen und Gärtner. Und ob die Optimierung von Gärten nun alles schlechter macht oder besser? Und warum der Algorithmus denn nicht die Gründe für Artensterben und mangelnde Biodiversität lösen kann?
Und somit ist die größte Schwäche des "Pollinator Pathmaker" seine größte Stärke. Er weist in seiner Quatschigkeit daraufhin, dass der Mensch die Dinge noch so gut meinen kann, die Gefahr ist groß, dass er im Bekämpfen von Symptomen übersieht, dass er sich eher zurückziehen muss, anstatt zu optimieren. Schmetterlinge sind bis jetzt noch keine da. Abwarten.