Pantone-Farbe 2022

Gefangen in der lila Bubble

Seit über 20 Jahren kürt das Pantone Color Institute die Farbe des kommenden Jahres. Wenn es danach geht, wird 2022 "Very Peri", eine Mischung aus Rot und Blau. Was sagt uns das?

Rötlich-violette Blasen, groß und klein, schweben durch einen fliederfarbenen Raum, platzen auf und sind plötzlich von einem seidigen blau-lila Fell ummantelt, das kurz darauf die ganze Fläche überdeckt. Ein paar wenige, bläuliche Bubbles gleiten durch die fließenden Fasern, wie Fische durchs Seegras. So wird das Jahr 2022 als Farbe aussehen. Eine Vorschau auf die Kunst, Kultur, den generellen Look und die Stimmung, zusammengefasst in dem 15-Sekündigen Video des Pantone Color Institutes, das so die Farbe des kommenden Jahres verkündete: Pantone 17-3938 "Very Peri". Eine Fusion von Rot und Blau, ein Veilchenblau, dass laut dem Unternehmen keinesfalls Lila genannt werden darf, obwohl es sehr daran erinnert. Es sei  "ein dynamischer, violettblauer Farbton mit einem belebenden violettroten Unterton." Eine Farbe, die offenbar so viel mehr ist als das, die den Status Quo unterschiedlichster Themengebiete widerspiegeln und durch den kommenden Wandel geleiten soll - und einen schon jetzt verfolgt. 

Es ist das erste Mal in der 23-jährigen Geschichte des Pantone Color of the Year-Programms, dass das Institut eine völlig neue Farbe kreierte, und keine der schon in seinem Spektrum vorhandenen wählte. "Es war sehr wichtig für uns, eine neue Farbe zu entwickeln, weil wir jetzt eine ganz neue Vision von der Welt haben", erklärt Leatrice Eiseman, Executive Director des Pantone Color Institute. Eine Ehre scheint es, die dem Jahr 2022 da zu Teil wird. Hoffentlich kann es den Erwartungen gerecht werden und orientiert sich an den Attributen, die die Entwickler dem Veilchenblau zuschreiben: "Very Peri bietet alle Eigenschaften von Blautönen sowie eine rötlich-violette Nuance und zeigt uns eine lebhafte, fröhliche Sicht auf die Welt und dynamische Präsenz, die zu mutiger Kreativität und fantasievollem Ausdruck inspiriert," so erklärt Eiseman. Auf 2022 kommt eine Menge zu, steht seine Farbe doch gleichzeitig für einen Neuanfang nach der Isolation. Omikron und Konsortien scheinen nur vorübergehende Phänomene zu sein, die Farbe deutet den Weg, raus aus der Pandemie.

Pantone: Was sehr ähnlich klingt wie ein bekannter italienischer Weihnachtskuchen, ist ein US-amerikanisches Unternehmen mit Sitz in Carlstadt, New Jersey. Es ist hauptsächlich für sein Pantone Matching System bekannt (PMS), ein standardisiertes Farbreproduktionssystem, das vor allem in den Branchen Grafik-, Mode-, und Produktdesign verwendet wird. Es umfasste im Jahr 2019 genau 2161 Farben mit einer jeweils zugeschrieben Nummer, was einen internationalen und objektiven Informationsaustausch zu jeder einzelnen Couleur ermöglicht. Das Pantone Color Institute wiederum ist ein Ressort des Betriebs, das eher in den Bereich Trendforecasting einzuordnen ist. Hier werden die Farben der Saison gewählt, die Farbe des Jahres, Trendreports erstellt und Unternehmen in Sachen Farb-Marketing beraten.

Braucht man das oder ist es doch nur Kauf-Reiz?

Das Institut setzt dabei auf die kommunikative Fähigkeit von Farben, sieht sie als Vernetzungstool, arbeitet mit Farbpsychologie, verknüpft Emotionen mit Farbkonzepten. Die richtige Farbe zur richtigen Zeit verleiht quasi Superkräfte. "Die Komplexität dieses neuen rötlich-violetten Blautons betont die umfassenden Möglichkeiten, die vor uns liegen," unterstreicht Laurie Pressman, Vizepräsidentin des Instituts, die Macht des Farbzuwachses, der womöglich unser aller Leben verändert. Eine Farbe als Multitalent, angelegt im Code 17-3839.

Doch "Very Peri" sei eben nicht nur eine Farbe, sondern stehe für eine Verschmelzung des physischen und digitalen Lebens, sei ein "Symbol für den globalen Zeitgeist des Augenblicks und den Wandel, den wir durchmachen". Und plötzlich fragt man sich, wie es je ohne "Very Peri" ging. Ganz schön viel Verantwortung für einen Farbton, der eben erst geboren wurde. Und gerade in einer Zeit, in der Konzepte der Langlebigkeit und Circularity von stetig wachsendem Konsum abhalten sollen, fühlt es sich widersprüchlich an, Ende des Jahres Pantone 2021 (Zitronengelb und Grau) und all die damit verbundenen Produkte rauszuwerfen, um Pantone 2022 hineinzulassen.

Und doch passiert genau das seit der Bekanntgabe der Nuance.  Die amerikanische "Vogue" bietet Online einen Shopping-Guide für Kosmetikprodukte in der Farbe des neuen Jahres an. "Hypebae" demonstriert fünf Möglichkeiten, sie in ein Outfit zu integrieren, mit lockenden "Very Peri"-farbenen Produktplazierungen. Und na klar, auch Pantone selbst hält eine Produktpalette im lila-blau bereit. Wählen kann man zwischen Pantone-Becher, Schlüsselanhänger, Sneaker oder Notizbuch. "Very Peri" everywhere. Und auch in der Mode der kommenden Saison kann man den Ton entdecken.

Was war zuerst da, die Pantone-Farbe oder die Pantone-Austellung?

"Vanity Fair Italia" ließ jemanden alle Frühling-Sommer-2022-Looks nach "Very Peri" durchforsten, um dann 15 auf seiner Website zu präsentieren, deren Farbkonzept mehr oder weniger an das Lila (man muss es dann doch so nennen) erinnert, das Pantone uns anpreist. Es lief bei Valentino, Tods und Missoni, bei Lanvin als Lederlook, bei Bottega Veneta als Oversized-Ensemble. Three is a trend, hieß es mal - doch gilt das auch heute noch, wo sich bei jeder einzelnen Fashionweek unzählige Farben, Formen und Texturen zu Trendgruppen willkürlich summieren ließen? Alles ist zu jeder Zeit tragbar, die aufgelisteten Trends, die sich nach dem Modemonat in Online-Magazinen wieder finden, scheinen mehr und mehr zufällig ausgesucht, verzweifelt gesiebt aus einer unübersichtlichen Masse. Ab und an stechen Modehäuser farbig heraus, wie etwas Bottega Veneta mit seinem "Bottega Grün", diese Farbfamilie jedoch war bei Pantone das letzte Mal 2017 mit "15-0343 Greenery" von Interesse.

Woher kommt also "Very Peri"? Wie kam es zu dieser Wahl und hätte es stattdessen auch ein sanftes Orange werden können? Das Pantone Institute gibt an, sich von Farbtendenzen aus Unterhaltungsbranche, Mode, Design und "nicht zuletzt den Kunstsammlungen und Werken neuer Künstler aus aller Welt" habe inspirieren lassen. Die Pantone-Farbe 2022 sei schließlich ein Symbol für den globalen Zeitgeist und eine Hommage an die Kreativität. Da kommt es gelegen, dass zum Release auch gleich eine kurierte Kollektion neuester Werke von über 10.000 Künstlerinnen erscheint, aus einer Zusammenarbeit mit der Kunstgalerie Singulart, die die Kunstwerke auf ihrer Website zum Kauf anbietet. Alle Arbeiten verbindet ein Element: Die Trendfarbe "Very Peri". Das lädt praktischerweise dazu ein, direkt allerlei Wände schnellstens im neubestimmten Must-Have zu gestalten.

Und es gibt einen weiteren Kollaborations-Partner der Farbschöpfer: Microsoft wird "Very Peri" in eine Reihe von Microsoft-Apps in Form von digitalen Bildschirmschonern und Oberflächenoptionen für PowerPoint, Teams, Edge und Windows integrieren. Die hatten dann wohl auch ein Mitspracherecht bei der Gewinnerfarbe und so ist es nur logisch, dass auch die Technologie als eine der großen Inspirationsquellen der Farbneuschöpfung genannt wird. NFTs, Space Shuttles und Mark Zuckerbergs neues Metaverse - mit "Very Peri" will Pantone die Automatisierung unseres Umfelds visualisieren.

Die passende Farbe zur Emanzipation? Lila natürlich

Und obwohl das Pantone-Veilchenblau ein gänzlich neues, nie zuvor gesehenes ist, hat der Farbton zwischen Rot und Blau eine lange Geschichte. Lila galt als Farbe der Homosexuellen-Bewegung in der frühen Weimarer Republik und in den 68er-Jahren als Farbe des Feminismus und der Emanzipation. Sie wurde zur Symbolfarbe vieler junger Frauen, die sich vom traditionellen Weiblichkeitsideal lossagten, und stand für ein neu erlangtes Bewusstsein über die Rolle der Frau in Politik und Gesellschaft. Lila wird dank dieses Hintergrunds immer wieder benutzt, gerade, als #MeToo plötzlich als salonfähig galt. Die "Elle" etwa schrieb im Oktober 2017: "In Zeiten des gesellschaftlichen Skandals von #MeToo sollten wir Frauen uns mit Stolz auf unsere Rechte und Werte zurückzubesinnen. Die passende Farbe dazu? Lila natürlich, denn sie ist nicht nur die Farbe der Gleichberechtigung und des Frauenrechts, sondern steht auch für Macht und Selbstbewusstsein. Einfach ein lila Outfit anziehen, schon Feministin, schon ist die Gleichberechtigung nicht mehr fern?

In der Kirche ist Lila in den liturgischen Farben vertreten. Es gehört in die Vorbereitungszeiten auf die großen Feste, in der Passionszeit und im Advent sowie auch am Buß- und Bettag sind die Altäre und Kanzeln in Lila gekleidet. Man verbinde damit die Sehnsucht nach Licht und Leben, vor allem aber Neubesinnung, sie stehe als Sinnbild für den Übergang und die Verwandlung. Daneben symbolisiert Violett, in all seinen Farben und Schattierungen von Flieder, Magenta über Veilchen bis Brombeere  Spiritualität und das Geheimnisvolle.

Das zuletzt gesehene ikonische Lila verkörperte wohl Lady Gagas Gucci Kleid, das sie zu der UK-Premiere von "House of Gucci" auf dem roten Teppich präsentierte. Das Kleid, in einem tiefen Violett gehalten, war über und über mit Plisseefalten versehen und am Mieder in einem eleganten Kreuzmuster gerafft. Die Seiten der Robe drapierte Gaga immer wieder wie riesige Flügel um sich herum, was ihrem Auftritt die Art von extravagantem Drama verlieh, das man nicht vergisst. Das muss "Very Peri" erst mal schaffen.

Lady Gaga in Lila bei der Premiere von "House of Gucci" in London
Foto: dpa

Lady Gaga in Lila bei der Premiere von "House of Gucci" in London