Dem deutschen Wald geht es schlecht. Die Dürre der vergangenen fünf Jahre hat vor allem den Fichten zugesetzt und sie zu einer leichten Beute für den Borkenkäfer gemacht. Weil diese Nadelbaumart in vielen Regionen dichtgedrängt als Monokultur vorkommt, gibt es im Harz, dem Sauerland und in Waldhessen ganze Hügel, auf denen nur noch abgenagte braune Gerippe übrig sind.
Dieser deprimierende Befund beschäftigt auch Niclas Castello. Der Künstler, der eigentlich Norbert Zerbs heißt, hat eine Intensivstation für Baumstämme gebaut. Die hölzernen "Patienten" liegen in Krankenhausbetten unter bemalten Decken, dünne Schläuche führen von Infusionsflaschen in die zerfurchte Borke, und als Klangteppich ertönt im Raum angestrengtes Atmen und Stöhnen.
Das Bild, das Niclas Castello für die Klimakrise findet, ist nicht gerade subtil. Das Thema ist zweifellos relevant, die Umsetzung dagegen – der Begriff drängt sich auf – eher Typ Holzhammer. Dass in einem Pressestatement zur Ausstellung "Born To Be Alive" die ganz großen Referenzen ausgepackt werden und von "seinem Vorbild Andy Warhol" die Rede ist, hilft auch nicht weiter.
"Leidenschaftliches Engagement für Kunst und Kultur"
Es ist daher etwas überraschend, dass das Projekt dem städtischen Osthaus Museum in Hagen eine Einzelausstellung wert ist (bis 19. November). Es ist Castellos erste institutionelle Schau in Deutschland, vorher war er eher wegen seiner einstigen Beziehung zu Moderatorin Sylvie Meis in der "Bunten" oder der "Gala" vertreten. Im Februar 2022 stellte er – auf private Initiative – einen Kubus aus purem Gold in den New Yorker Central Park, der wegen seines Materialwertes und seiner schimmernden Dekadenz für einiges Aufsehen sorgte (auch Monopol berichtete). Auf Instagram hat Castello über 600.000 Follower, in der "klassischen" Kunstwelt spielte er dagegen bisher keine Rolle.
Dass ein Museum auch populärere Positionen und Neuentdeckungen zeigt, ist nicht ungewöhnlich und sogar Teil des öffentlichen Auftrags – schließlich sollen die Häuser mit ihrem Programm ein möglichst breites Publikum erreichen. So heißt es auf der Website des Hagener Museums, das nach dem Mäzen Karl Ernst Osthaus benannt ist und neben Werken der Moderne auch Sonderschauen mit zeitgenössischer Kunst zeigt: "Das Museum existiert, um anhand seiner ganz besonderen Geschichte sowie seiner heutigen Ausstellungspraxis zu zeigen, dass leidenschaftliches Engagement für Kunst und Kultur Freude bereitet, Lebensqualität erzeugt und Menschen zusammen bringt."
In Hagen ist jedoch auffällig, dass bei den eher untypischen Positionen in den Sonderausstellungen immer wieder solche auftauchen, die ziemlich direkt zu einer kommerziellen Galerie führen: der Galerie Geuer & Geuer in Düsseldorf. Niclas Castello hatte dort gleichzeitig zur Museumsschau bis zum 15. Oktober eine Einzelausstellung, und sowohl der Galerist Dirk Geuer als auch der Künstler bewerben die Osthaus-Präsenz prominent auf ihren Kanälen. Auch das ist an sich nicht bemerkenswert. Galerien kommunizieren natürlich gern die Erfolgsmeldungen ihrer Schützlinge. In diesem Fall passt es aber zu einem Muster.
Von Leon Löwentraut zu Julian Schnabel
Auch der Maler Leon Löwentraut, der lange als "Wunderkind" und "Nachwuchs-Picasso" durch die Medien gereicht wurde, hatte 2018 seine erste institutionelle Schau in Deutschland im Osthaus-Museum. Zu diesem Zeitpunkt wurde er von Geuer & Geuer vertreten, inzwischen streitet der heute 25-Jährige mit seiner Ex-Galerie vor Gericht um insgesamt über eine Million Euro. Der Kabarettist Dieter Nuhr, der unter anderem bildende Kunst studiert hat und neben seinen Auftritten fotografiert und malt, gehört ebenfalls zum Portfolio von Geuer & Geuer. Seine Einzelausstellung "Von Fernen umgeben" im Osthaus-Museum war im Sommer 2022 zu sehen.
Insgesamt gab es in Hagen seit 2017 außerdem Ausstellungen mit den Geuer-&-Geuer-Künstlern Heinz Mack (2023, direkt vor Niclas Castello), Hermann Nitsch (2018/19), Stephan Kaluza (2020) und Yvonne van Acht (2017). Mit der Doppelschau von Jiří Dokoupil & Julian Schnabel waren 2021 gleich zwei Vertreter der Galerie gleichzeitig im Museum vertreten, zusätzlich gab es eine Sektion mit Schnabels Grafiken, die Dirk Geuer nach eigenen Angaben als "weltweit exklusiver Verleger" vertritt.
Mel Ramos, ebenfalls bei der Düsseldorfer Galerie gelistet, war 2020 in der Gruppenschau "Lebensecht" zu sehen. Außerdem zeigte das Museum 2022 eine Einzelpräsentation des Musikers Bryan Adams, von dem sich Werke über den Online-Shop von Geuer & Geuer beziehen lassen. Eine Schau von Schauspieler und Maler Armin Mueller-Stahl von 2017 wird auf der Osthaus-Website als "Kooperation mit der Geuer & Geuer Art GmbH" beschrieben. Auch auf der Seite der Galerie taucht das Logo des Osthaus-Museums unter der Rubrik "Partner" auf. Schon 2012 zeigte das Haus eine Schau von Künstler Markus Lüpertz, nach Angaben auf der Website unter anderem "in Kooperation mit der Galerie Geuer und Breckner", einer Vorgängerfirma von Dirk Geuer.
Er war ja im Museum!
Das Verhältnis zwischen Museen und Galerien ist komplex, und es ist durchaus üblich, dass der Kunsthandel auch institutionelle Ausstellungen unterstützt. Eine museale "Adelung" einer künstlerischen Position hilft schließlich zuverlässig den Marktpreisen – gleichzeitig liefern die Galerien Kuratorinnen und Kuratoren inhaltlichen Input und Zugang zu Werken. Aber ist es legitim, dass sich eine öffentliche Institution wie das Osthaus Museum augenscheinlich so eng am Programm einer Galerie bewegt? Zumal die Präsenz in Hagen besonders im Fall Leon Löwentraut genutzt wurde, um eine Relevanz des Werkes zu kommunizieren – denn er war ja im Museum!
Osthaus-Museumsdirektor Tayfun Belgin weist auf Anfrage darauf hin, dass ihn an der Schau vor allem die Verbindung zum Unesco-Projekt "Art4GlobalGoals" gereizt habe, mit dem die Nachhaltigkeitsziele der UN-Organisation künstlerisch verbreitet werden sollen. "Die Ausstellung von Leon Löwentraut war eine Übernahme aus dem Unesco-Hauptquartier in Paris", schreibt ein Sprecher der Stadt Hagen an Monopol. Allerdings ist als Förderer der Initiative auf deren Website die Galerie Geuer & Geuer gelistet.
Auch bei Dieter Nuhr lässt sich dieser Mechanismus der künstlerischen Selbstvergrößerung beobachten. So verbreitete die Nachrichtenagentur Dpa am 19. April 2023 einen Artikel mit der Überschrift "Dieter Nuhr als Maler international gefragt". Der Text erschien anlässlich einer Ausstellung des Künstlers in der Galerie Geuer & Geuer in Düsseldorf und nannte als "Beweis" für seinen Erfolg die Ausstellung im Osthaus-Museum. Außerdem wurde eine Schau in der Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig erwähnt, in der 2019 schon Leon Löwentraut zu Gast war. Dabei handelt es sich jedoch ebenfalls um eine Station der Wanderausstellung "Von Fernen umgeben", die zuvor in Hagen zu sehen gewesen war und die danach nach Dakar und Rom weiterreiste.
Organisatorin der nach eigenen Angaben nicht-kommerziellen Nuhr-Wanderausstellung ist die Association for Art in Public. Als Geschäftsführer im Impressum steht Galerist Dirk Geuer. Da viele Online-Medien einen direkten Kanal von Agentur-Inhalten auf ihre Websites haben, findet sich der "international gefragte Maler" Dieter Nuhr nun unter anderem bei "T-Online", in der "Rheinischen Post" und in der "BZ". Das Kunst-System füttert sich in dem Fall selbst mit symbolischem Kapital.
Osthaus-Museumsdirektor Tayfun Belgin, der dem Haus seit 2007 vorsteht und gleichzeitig den Fachbereich Kultur der Stadt Hagen leitet, sieht in seiner Programmauswahl offenbar selbst kein Ungleichgewicht. Auf Anfrage von Monopol schreibt ein Sprecher der Stadt: "Herr Dr. Belgin hat als Museumsdirektor die Kompetenz zu entscheiden, welche Künstlerinnern und Künstler im Osthaus Museum gezeigt werden. Dies auch unabhängig davon, ob diese im Kunstmarkt eine Relevanz haben oder (noch) nicht." Es ist richtig, dass auch zeitgenössische Positionen mit anderer oder gar keiner Galerievertretung im Osthaus Museum gezeigt wurden (im Sommer 2022 beispielsweise der malende Schauspieler Sylvester Stallone). Eine ähnliche Häufung in eine Richtung gibt es aber nicht.
In dem Statement wird aus Hagen weiter darauf hingewiesen, dass die Künstlerinnen und Künstler aus dem Portfolio von Geuer & Geuer nicht ausschließlich von dieser Galerie, sondern auch von anderen vertreten würden. So seien die Ausstellungen von Hermann Nitsch, Bryan Adams, Jiří Dokoupil und Julian Schnabel sowie Armin Müller-Stahl auf anderen Wegen zustande gekommen. Dem steht allerdings entgegen, dass das Osthaus Museum die Müller-Stahl-Ausstellung auf seiner Website selbst als Kooperation mit der Geuer & Geuer Art GmbH markiert hat. Bei Jiří Dokoupil und Julian Schnabel steht beim Museum nichts von einer Zusammenarbeit - allerdings taucht auf der Website der Galerie unter der Ankündigung zur Doppelschau das Logo des Osthaus-Museums auf. Auf Instagram bezeichnet die Galerie die Ausstellung unter einem Foto von der Eröffnung als "Kooperation".
Auch Galerist Dirk Geuer teilt durch seinen Anwalt mit, "dass es sich in den meisten Fällen um keine exklusive Vertretung durch Herrn Geuer bzw. dessen Galerie handelt. Es besteht also keine notwendige Verbindung zwischen meinem Mandanten und Ausstellungen im Osthaus, auch wenn auch mein Mandant die Genannten vertritt."
Wie genau die Kooperationen aussehen, die dann doch kommuniziert werden, und was der Unterschied zwischen den markierten und den unmarkierten Ausstellungen ist, wollten weder die Stadt Hagen noch die Galerie beantworten. "Kooperation bedeutet im Allgemeinen, dass eine ideelle Unterstützung stattgefunden hat", heißt es aus Hagen. "Zu möglichen finanziellen Vereinbarungen können wir uns nicht äußern, da diese Bestandteil vertraglicher Vereinbarungen sind."
Galerist Dirk Geuer teilt durch seinen Anwalt mit, dass "die Ausweisung einer Zusammenarbeit mit wem und in welcher Form auch immer keinen finanziellen Bestimmungspunkt" habe. "Auch nicht wirtschaftliche Kooperationen sind üblich und alles andere als ungewöhnlich."
Namen kommen ins öffentliche Bewusstsein
Doch es geht im Verhältnis von Kunstmarkt und öffentlichen Institutionen nicht unbedingt nur um monetäre Werte. Das Osthaus Museum ist zwar kein weltberühmtes Haus, aber doch renommiert genug, um bisher institutionell unterrepräsentierte Künstler aufzuwerten und weniger begehrte Werke von bekannten Namen ins Bewusstsein des Publikums zu holen.
So ist Heinz Mack zweifellos einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Zero-Bewegung, institutionell bedeutend sind aber vor allem die Lichtarbeiten seines Frühwerks. Im Osthaus-Museum wurde dagegen ein Schwerpunkt auf neuere Zeichnungen und abstrakte Gemälde gelegt, die so oder so ähnlich auch auf der Website von Geuer & Geuer auftauchen. 2019 zeigte Mack mit Unterstützung der Galerie "39 Unikate" im Museé Théodore -Monod d'art africain in Dakar und stellte 2022 zur Biennale auf Geuer-Initiative in der Biblioteca Nazionale Marciana in Venedig aus, genau in denselben Häusern also wie Dieter Nuhr.
Galeristen steht es als Geschäftsleuten natürlich zu, ihre Schützlinge so gut wie möglich unterzubringen und zu vermarkten, und gerade im intransparenten Kunstbetrieb gehören Netzwerke zu den Überlebensstrategien der meisten Protagonisten.
Die Währung von Museen ist Glaubwürdigkeit
Interessant ist jedoch, welche Rolle öffentlich finanzierte Museen bei solchen Aufwertungsspiralen spielen, die für das Publikum nur schwer nachzuvollziehen sind. Ausstellungsprogramme sind keine demokratisch getroffenen Entscheidungen, sondern immer auch Abbild von persönlichen Vorlieben und Relevanzvorstellungen der Museumsdirektoren und -direktorinnen. Umso wichtiger wäre es also, jeden Anschein von "Marktklüngel" zu vermeiden, denn eine Währung von Museen ist auch Glaubwürdigkeit. Und umso seltsamer kann es wirken, wenn ein Kurator offenbar einen auffälligen Teil seiner Sonderausstellungen (exklusiv oder nicht) aus dem Portfolio eines Galeristen bespielt.
Niclas Castello kann sich jedenfalls über überwiegend wohlwollende Berichterstattung zu seiner Baum-Ausstellung freuen und als Künstler eine neu gewonnene institutionelle Reputation für sich beanspruchen. Und eine schwärmerische Ansprache von Museumsdirektor Tayfun Belgin auf seinem Instagram-Account.